Drittes Capitel
Alte Bekannte

[1512] Egon suchte aber die Menschen nur, weil er den Moment, nun wirklich das von ihm mit so vielen Abenteuern gesuchte Bild zu besitzen, nicht ertragen konnte. Das Bild öffnen, nach seinem Inhalte forschen, er hätte es jetzt nicht vermocht. Er bedurfte eines Anhaltes an etwas, was ihm erst Beruhigung bot. Er glich in diesem Augenblicke jenen Menschen, die nicht im Stande sind, ein Gefühl mächtig und voll auf sich wirken zu lassen; Menschen, die weinen, wo sie lachen, lachen, wo sie weinen sollten; Menschen, die einen geliebten Freund, das Theuerste auf Erden, das ihnen lange entrissen war, nicht sofort wieder zu sehen vermögen, sondern in einen Winkel flüchten, wenn Alles dem Ersehnten schon in den Armen liegt, ihn herzt und küßt; in dem Winkel still für sich weinen, weil ihr Herz nicht im Stande ist, eine so furchtbare Erschütterung wie ein der menschlichen Kraft Mögliches zu erleben und das Unglaubliche wie wirklich zu ertragen.

Nur um sich von dem Schrecken, das Bild zu sehen, es wirklich überschwer zu finden, das Geheimniß seiner[1512] Mutter nun, er wußte nicht wie, in Händen zu haben, zu sammeln, riß Egon die Thür auf und rief:

Wer begehrt nach mir?

Der Erste, der eintrat, war ein schlichter gesundblickender, heiterer, frischer Naturmensch. Aus diesem Auge strömte Waldluft, strömte Erkräftigung. Freude und Treuherzigkeit, die sich zwar mit einer gewissen Überwachung mischte, lachten Egon an und mußten dem kranken, jungen Fürsten innig wohlthun.

Wir erkennen an seinem gesunden, vollen Gesicht, dem fuchsblonden Barte und der ruhigen Treuherzigkeit seines zahmen Löwengesichtes den Förster Heunisch aus Hohenberg.

Ich kenne Euch, Heunisch, sagte Egon, als der Förster seinen Namen genannt hatte und die lebendigste Erinnerung ihn an das Bild und was mit ihm zusammenhing jetzt fast folterte; ich hab' Euch gesehen. Bringt mich nur auf die Spur; wo? Wo?

Durchlaucht, vor Allem meinen herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer Genesung! sagte etwas zaghaft der Förster, schlug aber mit waidmännischer Biederkeit seine mit weißen waschledernen Handschuhen zierlich geschmückte kräftige Hand in die magere des Prinzen.

Jetzt weiß ich, Heunisch, wo wir uns gesehen haben! rief Egon, rieb sich jedoch noch zweifelnd die Stirn ...

Heunisch lachte, kratzte sich hinter'm Ohr und sagte:

Der Tausend! Wohl haben wir uns schon gesehen,[1513] Durchlaucht ... aber ... mein Seel', Der sind Sie doch nicht, Durchlaucht, der ich gemeint habe, daß ...

Daß ich wäre? Wer denn? Wer bin ich denn?

Sieh! sieh! ... fing Heunisch zu grübeln an und blinzelte mit seinem scharfen Auge unter den langen, weißen Augenwimpern prüfend zum Fürsten hinüber.

Er trennte sich offenbar von der Vorstellung, die sich auch ihm eingeprägt hatte, daß Dankmar Wildungen Prinz Egon gewesen wäre, mit großer Mühe. Noch lag ihm im Ohre, was im Gelben Hirsch der junge, gefällige Mann ihm über das Anlegen des Zeck'schen Goldes gesagt hatte, und nun fand er einen Andern, den er aber auch zu kennen glaubte.

Halt! sagte er. Wär' es nur möglich!

Ja, ja, Heunisch ... Ihr seid der Jäger –

Welcher Jäger?

An dem Vormittag ...

Ei wie könnt' ich denn die Dreistigkeit haben, Durchlaucht, zu glauben, daß ...

Ja, ja, habt sie nur ...

Der Handwerksbursche? Im Gelben Hirsch?

Der! Der bin ich –

Durchlaucht machen Eins confus!

Der Handwerksbursche bin ich!

Der mich gefragt hat, wo der Weg nach Plessen geht und in der Sägemühle übernachten wollte?

Der aber auf dem Kirchhof schlief am Grabe seiner Mutter, die Ihr hier in dem Bilde seht ...[1514]

O weh! rief Heunisch und schlug sich mit den Händen an den Kopf und gedachte sogleich seiner gewagten Anekdoten über die Fürstin Amanda.

Damals, sagte Egon, botet Ihr mir von Eurem Imbiß an und heute müßt' Ihr nun bei mir vorlieb nehmen. Louis, ein Glas Madeira! Ein Frühstück! Allons donc!

Durchlaucht, ich habe gefrühstückt! sagte Heunisch aufrichtig, ohne verbergen zu können, daß ihm ein solcher Empfang neuen Appetit machte.

Louis war schon auf dem Sprunge gewesen, fast noch ehe Egon den Befehl gab, eine solche Idee auszuführen. Er klingelte und lief selbst; halb Herr, halb Diener. Er wollte, daß man ihm schon auf halbem Wege entgegenkam. Wie froh war er, jetzt bessere Menschen zu sehen, die zu des alten Fürsten Verlassenschaft gehörten und denen er seinen Freund zurückließ, wenn er nach Frankreich wieder heimkehrte! Wie gefiel ihm dieser treuherzige Förster im grünen Leibrock mit goldenen Knöpfen und mit den waschledernen Handschuhen! Vor Vergnügen war er nahe daran, für sich hin ein polnisches Liedchen zu trällern, das er von der alten Jagellona oft hatte summen hören ...

Nun setzt Euch, Heunisch, sagte Egon, nehmt Platz! Ja ich bin der Handwerksbursch vom Gelben Hirsch! Ich wollte Hohenberg sehen, wie die Gauner dort wirthschaften! Legt den Hut ab, Heunisch! Setzt Euch! Man bringt uns zu frühstücken. So war's bei meiner Mutter auch, wenn der grimmige Marzahn kam. Sacre bleu! Der war[1515] schlimm! Der hatte Zähne wie ein wilder Eber, aber er fing sie auch am Messer auf ... aus freier Hand, ein Teufelskerl!

Können wir auch, Durchlaucht; aber die Eber kommen nicht mehr.

Aha! So ist gewirthschaftet worden?.. Jetzt, bester Freund, sagt mir doch einmal ...

Hier unterbrach der Förster plötzlich den glückseligen Egon, der aber schon über seine eigene Gemüthlichkeit innerlich lächelte und sie den vielen Freuden und Überraschungen des Morgens zuschrieb.

Durchlaucht, sagte er mit leiser Stimme und zeigte auf die Nebenthür, nehmen Sie's nicht übel, aber es wartet da draußen noch Jemand ...

Wer denn?

In Egon erwachte die lebendigste Erinnerung an Dankmar. Schon hoffte er, der Förster würde diesen Namen aussprechen, als er sagte:

Der Herr Pfarrer aus Plessen, Herr Stromer ...

Der Pfarrer aus Plessen? wiederholte Egon und besann sich auch auf diesen. Aha! sagte er vor sich hin. Stromer ... der fromme Stromer?

Na – fromm! – meinte Heunisch und kratzte sich hinter'm Ohr ...

Der die Blumen band – sprach Egon für sich hin.

Als die selige Fürstin eingegangen war zu ihres Herrn Freude, da ...

Als sich der Zank erhoben hatte Abends ...[1516]

Einer hörte jetzt auf den Andern nicht. Heunisch brach seine einmal aufgezogene Gedankenreihe nicht leicht ab. Das Denken hüpft bei solchen Menschen nicht so behend hin und her wie bei den Dialektikern der Bildung und der Lüge.

Er sagte, fuhr er fort, ich sollte nur vorerst gehen. Ich würde doch gleich absolvirt werden und da wolle er lieber nach mir kommen. Und nun, Sapperlot, nun – fangen wir hier ordentlich zu frühstücken an. Was wird der Pfarrer denken!

Die Thüren gingen auf.

Zwei Bediente sprangen hinzu und deckten.

Der alte Wandstabler leitete diese Unternehmung wie eine große Staatsaufgabe. Er wackelte vor Seligkeit, daß nun etwas kam, was an die alten Zeiten erinnerte, setzte die Stühle und warf so schmachtende, thränenverklärte Blicke auf den jungen Fürsten, daß diesem himmelangst wurde über den Umstand wegen eines kleinen Frühstücks! Das lärmende Bedienen hatte er nie geliebt. Doch blieb er bei guter Laune und sagte zu Heunisch:

Der süße Schleicher, der so rasch von Eurem kurzen Empfang urtheilte, soll nun gerade warten und hören, wie hier die Teller und die Messer und Gabeln und Gläser klingen.

Ach! Durchlaucht, entgegnete Heunisch ängstlich und mit bittender Gebehrde. Ne ... ne! Das nicht! Lassen Sie den Herrn Pfarrer doch lieber auch gleich hereinkommen. Geheimnisse hab' ich Ihnen keine zu erzählen und der[1517] Herr Pfarrer möchte gar meinen, der Förster Heunisch erlaubte sich etwas Despectirliches, wenn Der hier wie in Abraham's Schooß sitzen wollte.

Auf Euer Fürwort will ich ihm diese schmeichelhafte Vergleichung ersparen, sagte Egon und rief:

He, Wandstabler!

Der Haushofmeister und Vater der drei Huldgöttinnen des Hohenberg'schen Palais wußte nicht, wie ihm geschah. Angerufen von der jungen Durchlaucht! Berücksichtigt! Geduldet! Wandstabler gerufen aus seinem eigenen gnädigsten Munde!

Kaum noch hatte er sich umgewandt, die starke, schnurrbärtig gewichste Figur auf dünnen beschuhten Beinchen, um die Befehle zu vernehmen, als Egon schon sagte:

Vier Couverts!

Vier Couverts! keuchte der Haushofmeister und schnurrte dabei, wie wenn seine Sprachwerkzeuge an einer innern Rolle abliefen, asthmatisch oder zu einem Kropf disponirt. Vier Couverts! Mit dieser Losung schwankte Wandstabler aus der Thür und umarmte fast seine lauernde älteste Tochter, die schon in voller Thätigkeit war, sämmtliche Schränke, alle Weißzeugkisten öffnete, Gläser, Messer zählte, doppelt für jeden Gang, und die Bedienten in Galopp brachte ... Wandstabler! Vier Couverts! ... Mit dem Vollgewicht dieser ersten errungenen Berücksichtigung mußte sich der Haushofmeister an der großen Treppe über den Strohdecken auf einen der[1518] dort befindlichen Wartesessel niedersetzen und seinen glänzendgewichsten Schnurrbart mit einer Thräne anfeuchten, die das in einem ewigen, wie man es in der Volkssprache nannte, »Thran« schwimmende, gedunsene Wein- und Liqueurgesicht immer bereit hatte.

Egon aber öffnete nun die Thür und ließ den zweiten Besuch auch herein. Er war dabei in seinen nun mit ganzer Macht hereingebrochenen Erinnerungen an Dankmar und in seinem mit Gewalt niedergekämpften Gelüsten nach dem Bilde so ergriffen, daß es ihm war, als spränge ihm der Kopf ...

Hätte Louis ahnen können, was Alles jetzt mit wunderbarer Gewalt auf seinen so gütig herablassenden Freund eindrängte, er würde nicht so schüchtern bei Seite getreten sein und wol das gemüthliche, Wichtigeres verdrängende, weitläuftige Frühstück mit den Hohenberger Gästen hintertrieben haben. Er vergaß, daß Egon Reconvalescent war, der Schonung bedurfte, und von Egon selbst galt die Erfahrung: Was muthet sich nicht Alles der Mensch an Kraft zu, wenn sein Herz bewegt ist!

Der höfliche und mit vielen Verbeugungen Eintretende war in der That Guido Stromer, der Pfarrer von Plessen.

Guido Stromer mit dem zurückgestrichenen graublond-gelben Haare, der hohen Stirn, dem aufgerissenen Auge, der zwar hervorspringenden doch etwas stumpfen Nase und dem ganzen unruhigen, gespannten, überreizten Wesen, war gewählt gekleidet, trug schwarzen Frack, schwarze Beinkleider, Kamaschen an den Schuhen, eine[1519] weiße Piquéeweste und Halsbinde und die feinsten Glacéehandschuhe. Das lange Haar war nicht so sorgfältig gehalten, wie ohne Zweifel zu Zeiten der Fürstin Amanda oder wenn seine Gattin für die Ordnung dieses schon in's Graue spielenden blondgelben Wulstes sorgte. Es war nur von der hohen, breiten Stirn mit einer leichten genialen Tournüre zurückgestrichen. Man glaubte einen Dichter, einen Künstler, eine inspirirte Persönlichkeit zu sehen, die sich mit Wohlgefallen in die leichte Form der Mode geworfen hatte, ohne indessen den starken Geist ganz unter ihre strengen Gesetze beugen zu können. Ein kleines weißes Bändchen, das hinten am Halse vorguckte, verrieth, daß dieser jedenfalls vor einem Spiegel gemachten Toilette doch die letzte weibliche Revision fehlte. Es war eine übertünchte Eleganz, in welcher Eitelkeit, Dorftournüre und wirklich geniale Formverachtung zu einem sonderbaren Gemisch zusammenliefen.

Zwei Boten aus Hohenberg! rief Egon dem Eintretenden entgegen, und auf den durch den Pfarrer nun gedrückten Heunisch deutend setzte er hinzu: der Wald und die Kirche grüßen mich!

Und dem Schöpfer, der in Beiden wohnt, fiel Guido Stromer sogleich mit der ihm eigenen Geistesgegenwart und Wortfülle ein, danken wir die Genesung unsres geliebten, jungen, uns doppelt neugeschenkten Fürsten und Herrn.

Da sich Louis sehr zurückgezogen hatte, stellte ihn Egon anfangs nicht vor.

Nehmen Sie Platz, Herr Pfarrer, sagte Egon. Wir wollten[1520] eben den Göttern ein Opfer bringen, eine Libation des Dankes und hoffentlich auch allenfalls einen Hahn, den man jawol im Alterthum opferte, wenn man von einer Krankheit genas ... nicht wahr?

Stromer erwog den Ton, den Vortrag, sozusagen die Tonart, aus der der junge räthselhafte, nun endlich entschleierte Fürst zu ihm sprach und setzte mit seiner leise bedeutsamen Art, in dem Streben, einen Accord zu erzeugen, forschend und fast lauernd ein:

Sokrates befahl einen Hahn zu opfern als er den Todesbecher trank. Er verstand darunter eine andere Genesung, deren bittern Kelch die Götter uns erspart haben; denn Ew. Durchlaucht leben!

Egon schwieg, erschreckt von der Manier des Pfarrers ... Aber Heunisch, der auch sein Wort darein geben wollte, sagte:

Götter, Herr Pfarrer? Götter?

Guido Stromer wandte sich mit gehobenen Nasenflügeln um und sah den Sprecher von oben bis unten an.

Heunisch biß sich auf die Lippen, wie Einer, der zu sich spricht: Herr Gott, was hast du da gesagt!

Egon vermittelte mit freundlicher Bonhommie die beiden ungleichen Gesellschaftsstellungen seiner Gäste und meinte, der Herr Pfarrer könnte sich freuen, ein Beichtkind zu haben, das so fest an dem Gebote hielte: Du sollst nicht andre Götter haben neben mir!

Beim Beichtkind vollends klappte Heunisch wieder mit den Fingern, als wollte er sagen:[1521]

Ach, liebe Zeit, Beichtkind!

Richtig, sagte Egon, diese Ablehnung wohl verstehend. Jetzt besinn' ich mich vom Gelben Hirsch, daß Ihr ja ein recht schlimmer Heide seid, Heunisch! Meine gute Mutter und der Herr Pfarrer waren Euch viel zu heilig.

Heunisch wurde vor Verlegenheit blutroth. Er gedachte der vielen argen Spottreden, die er in Gegenwart des Handwerkers in der Blouse gesprochen hatte. Stromer aber horchte hoch auf und begriff nicht, was »zuvörderst« die Erwähnung des Gelben Hirsches sollte?

Zu schweigen aber und lange eine Antwort schuldig zu bleiben, war seine Sache nicht.

Mein guter Heunisch, sagte er, sein Staunen über den Gelben Hirsch unterdrückend, hat schon, wie ich einzutreten die Ehre hatte, vernehmen können, daß ich der Kirche den Wald an die Seite stelle. Die Gottheit wohnt nicht, predigte ich oft, in Tempeln, von Menschenhänden gemacht. Das Rauschen der Blätter im Waldesgrün ist auch eine Offenbarung. Wohl Dem, der sie versteht! Mein guter Nachbar Heunisch machte sich diese Wahrheit immer zu Nutz. Er gehörte nie zu meinen fleißigeren Kirchenbesuchern.

Heunisch konnte nichts dagegen einwenden, schüttelte aber den Kopf und brummte erst das kostbare, sylbengezählte, in Tonschwingungen vorgetragene Wort »fleißigeren« nach und sagte dann:

Es ist doch wahr! Sieh! Es ist doch wahr![1522]

Was ist denn wahr? fragte Egon, der zwischen den beiden Männern nicht klar sah ...

Die Gottheit! Die Gottheit! betonte Heunisch.

Nun, Heunisch, meinte Egon, was haben Sie denn gegen die Gottheit? Sind Sie ein Atheist geworden?

Atheist? Was ist Das, Durchlaucht ... ich meine nur:

Gottheit! Wissen Sie, Herr Pfarrer, vor neun Jahren ... es war Reformationsfest ... vor neun Jahren war ich einmal bei Ihnen in der Kirche und da ging's recht über die Gottheit her. Wissen Sie? Sie sagten, Herr Pfarrer: Eine Gottheit gäb's gar nicht, sondern blos einen allmächtigen Herrn des Himmels und der Erde, der da heiße: Herr, Herr Seligmacher und Friedensfürst! Fürstin Durchlaucht ... Lieber Heiland, da steht ihr Bild ... zweimal, dreimal ... das ist sie auch; ja, ja! Tausendmal steht sie da drinnen in unsern Herzen! ... Fürstin Durchlaucht nickten Ihnen sehr gnädig aus dem vergitterten Stuhl oben, quer über's Schiff weg, auf die Kanzel zu, als Sie sagten: Es gäbe blos einen Gott, Namens Seligmacher und Friedensfürst, aber keine Gottheit! Wie?

Stromer lächelte.

Anschauungen, die auf einem bestimmten Standpunkte ihre Wahrheit haben! sagte er und nahm nun von den inzwischen aufgetragenen Speisen ein halbes kaltes Rebhuhn auf seinen Teller, während Egon Louis herbeirief und ihm, während er selbst nichts genoß, den vierten Teller anbot und Heunischen selbst vorlegte.

Herr Louis Armand, sagte Egon dabei, ein Freund aus[1523] Paris, er versteht hoffentlich sehr gut, was deutsche Rebhühner sind. Iß, lieber Freund!

Egon machte sehr gefällig den Wirth und schenkte aus Krystallflaschen Madeira ein, ohne selbst davon zu genießen.

Louis setzte sich zögernd und verbeugte sich vor den beiden Andern.

Ziehen Sie doch Ihre Handschuhe aus, Herr Pfarrer, sagte Egon, nicht merkend, daß der Pfarrer von überwundenen Standpunkten sprechen wollte, und erzählen Sie uns, was Sie herführt, und auch Heunisch soll sagen, was ihn gerade jetzt von seinem Walde trieb, wo es: Hab' acht! heißt. Ich hoffe, ein Jeder von Ihnen bringt mir noch einige Nachrichten, wie es in Plessen, Randhartingen, Schönau aussieht.

Stromer merkte hier wirklich, daß man noch nicht mit der Art bekannt war, wie er sich bei Auseinandersetzungen zu ergehen pflegte. Man hatte kein Ohr für dieses stille Aufschnurren seiner Gedanken, sprach in seine Vorbereitungen zu einer Rede ohne Weiteres hinein und hätte sich eigentlich sagen müssen, daß er in Plessen die Zeisel's, die Sänger's, die Sengebusch's, die Bensheim's und andere Herrschaften schon ganz anders zum Cultus seines Genius abgerichtet hatte.

Ja, ja, ergriff Heunisch das Wort; Das wäre nun wol mit Verlaub des Herrn Pfarrers die Hauptsache ...

Hat Schlurck schon die Ernte eingetrieben? fragte Egon mit einer Miene, die sich etwas verdüsterte.[1524]

Schlurck? sagten beide Gäste einstimmig und blickten verwundert auf.

Sie vergessen Prinz, sagte Louis mit höflichem und sich völlig unterordnendem Ton, daß sich alle diese Dinge geändert haben.

O, o –! fiel Egon ein und bezog seine ablehnende Ausrufung auf die Rolle, die Louis plötzlich in Gegenwart der Andern wechselte ...

Doch fuhr dieser sogleich fort:

Kurz vor dem vollen Ausbruch Ihrer Krankheit besaßen Sie noch die ganze Kraft des Geistes, einen Befehl zu ertheilen, dessen Vollziehung die besten Folgen für Ihre Besitzungen gehabt hat.

Durchlaucht, sagte Heunisch, wir sind glücklich, daß wir in unserm alten Verhältnisse bleiben und nicht an die Wucherer und die Juden kommen. Der Herr Ackermann fängt das Ding im Großen an. Das ist ein Hexenmeister und muß den Teufel im Bunde haben. Entschuldigung, Herr Pfarrer! ...

Allerdings, setzte Stromer hinzu, allerdings hat das Auftreten dieses Herrn Ackermann etwas Zauberhaftes. Dem gemeinen Manne erscheint er in der That wie ein Hexenmeister, der Gebildete muß ihn für einen Adepten seltener agronomischer Kenntnisse nehmen. Wenn Ackermann in dieser Weise fortfährt, die Bedingungen des Bodens und die Fortschritte der neuen Landwirthschaftstheorieen zur Grundlage seiner Verwaltung zu machen, wird man über den Aufschwung, den Ew.[1525]

Durchlaucht Besitzungen nehmen werden, allgemein erstaunen.

O, sagte Heunisch, jetzt ist das Alles blos noch das erste Buch der Chronika! Von Neujahr an wird Das ganz anders kommen, wenn Ackermann's Maschinen erst da sind!

Ackermann? Ackermann? sprach Egon vor sich hin. Er besann sich jetzt auf Alles, was in diesem Betracht vor seiner Krankheit geschehen war; und Eins trat so lebendig aus dem Andern wie ein plötzlich entwickeltes Nebelbild hervor, daß ihm schwindelte und er Louis statt seiner reden ließ, der, ohne zu thun, als wenn Egon über diese Veränderung noch nicht völlig unterrichtet wäre, die näheren Veranlassungen derselben deutlicher angab.

Da hab' ich mich auch, fuhr Heunisch fort, den die freundliche Aufnahme seines Gutsherrn und der Wein ermunterte, gar nicht lange besonnen und Herrn Ackermann gebeten, die zweihundert Louisdors, die er uns selbst ... die ich für Jemanden Anders aufzubewahren und gut anzulegen den Auftrag hatte, ihm anzubieten. Er mochte sie nicht nehmen; aber aus Gefälligkeit that er's und die Zinsen legte er gleich von dem Capital zurück.

So golden geht es jetzt auf meinen Gütern zu? rief Egon mit einem mehr künstlichen als natürlichen Erstaunen. Denn sein Befremden galt jetzt weit mehr seiner nun völlig geweckten Erinnerung, als diesem einzelnen Falle.

Man spricht, fuhr Stromer fort, von Verbesserungen der Cultur, von Entdeckung neuer, bisher unbekannt[1526] gebliebener Braunkohlenlager, von Entwässerungen und Anderem.

In den Wald, sagte Heunisch, muß eine ganz neue Ordnung kommen. Es thut ihm noth, denn noch vor kurzem, als Herr Bartusch schon wieder drei Morgen halbwüchsiges junges Holz schlagen ließ, glaubt' ich, daß wir nun bald werden roden, säen und ernten können, wo sonst Buchen und Eichen standen.

Trinkt doch, Heunisch, sagte Egon zu dem gegen Stromer gehalten zaghaften und zurückhaltenden Jäger; erzählt uns, was Euch hergeführt hat. Herr Pfarrer, wirklich, Sie kommen dem Geflügel nicht gut bei, wenn Sie Ihre Handschuhe schonen ...

Egon suchte jede Schranke, die ihn von Stromern trennte, wegzuräumen, freilich aber auch jede, die Stromern von Heunisch trennte. Sie sollten sich als seine Angehörigen, Sendboten von seinen Gütern fühlen. Stromer vermochte nicht, sich ganz naiv und unbefangen in diese Situation hineinzudenken. Er blickte um sich, musterte die Statuen, wog die silbernen Gabeln, maß seine Worte, kurz er wollte den bedeutenden Moment, jetzt mit dem so vielfach abenteuerlich genannten Sohne seiner weiland Gebieterin zusammenzusein, auch in aller Schwere und thatsächlichen Wucht genießen.

Heunisch merkte, daß er, wenigstens den Pfarrer, störte.

Nachdem er einige Gläser getrunken, beim Geflügel seine Tranchirkunst zuletzt mit den Fingern unterstützt[1527] und sich den Mund abgewischt hatte, sagte er aufstehend:

Durchlaucht, es ist doch zuviel, was sich Unsereins hier herausnimmt. Ich glaubte, Das sollte ein Gläschen auf Ihre Gesundheit werden, und nun wird's ordentlich eine Mahlzeit ... und ich vergesse ganz, daß mir's eigentlich gar nicht appetitlich zu Muthe sein sollte.

Guido Stromer hob die Augen scharf auf den unbefangenen Waldsohn und schien ihn in der Absicht, sich zu entfernen, bestärken zu wollen.

Habt Ihr einen Verlust gehabt? fragte Egon. Ich hoffe, eine gute Sache hat Euch in die Residenz geführt ...

Nein, Durchlaucht! antwortete Heunisch, verbesserte sich aber sogleich und sagte:

Das heißt, wenn ich wegen unsers jungen, schönen Herrn gekommen wäre, aber, glauben Sie's nicht, Durchlaucht ...

Was soll ich nicht glauben?

Daß ich wegen Ihrer und von wegen der Nachfrage nach Ihrem Befinden hergekommen bin.

Sehr naiv! bemerkte Guido Stromer halb für sich mit einem vertraulichen Blinzeln auf Egon und Louis, da Beide lachen mußten.

Nun warum! Es wäre doch eine Lüge! sagte der ehrliche Förster. Der Herr Pfarrer sind vielleicht deshalb hier, der Justizdirector von Zeisel und die gnädige Frau Justizdirectorin sind bestimmt auch deswegen hier ...

Auch Herr von Zeisel ist hier? fragte Egon lächelnd und[1528] seines Verhörs, noch mehr seiner Wohnung im Thurme gedenkend.

Wird bald aufzuwarten die Ehre haben! fügte Stromer bei.

Sehen Sie Durchlaucht! fuhr Heunisch fort, dem der Wein etwas in den Kopf gestiegen schien und der deshalb nun ernstlich sich zum Gehen entschloß. Das war ein Stich vom Herrn Pfarrer, der soviel sagen sollte als: Heunisch, macht, daß Ihr Euch Eurer Wege schert!

Heunisch verrieth, daß er, wie alle Naturmenschen, angetrunken, etwas händelsüchtig wurde ...

Bewahre, bester Freund, versicherte ihn Egon. Herr Pfarrer freut sich wie ich, daß ich mich einmal im Schooße der Meinigen fühlen kann. Kann ich Euch nur in Etwas dienen, Heunisch? Wie lange bleibt Ihr? Sucht Ihr hier Etwas?

Ich wünscht', es könnte mir Einer helfen! meinte Heunisch und kraute sich in den Haaren. Aber ... Frauenzimmertücke! ...

Eine weibliche Angelegenheit also?

Herr Heunisch, sagte Guido Stromer, der diese Fährte als die rechte vermuthete. Es wäre Zeit, daß Sie dem Junggesellenstande entsagten ...

Wandstabler, der Haushofmeister, leitete inzwischen einen zweiten Gang des Frühstücks ein, indem er gewissermaßen die Honneurs einer Omelette aux confitures machte, die man eben in einer großen silbernen Schüssel hereinbrachte.[1529]

Guido Stromer verstummte über den behaglichen Anblick und sah mit erwärmterem Antheil seinen mit Knöchelchen belegten Teller verschwinden und einen neuen an dessen Stelle schweben ...

Heunisch aber hielt seine Gedankenreihe fest und schüttelte den Kopf.

Herr Pfarrer, sagte er, an mir verdienen Sie keine Copulationsgebühren. Nein, da kommt aus Schönau der reiche Bauer Sandrart zu mir – Durchlaucht kennen wol die Namen Ihrer getreuen Unterthanen nicht – der reiche Bauer Sandrart aus dem Ullagrunde –

Sandrart? sagte Egon. Wohl! Wohl! Er ist aus dem Ullagrund und hat einen Sohn, der hier beim Militair steht und vor sechs Wochen zum Sergeanten avancirte.

Heunisch erstaunte über diese genaue Kenntniß der nächsten Beziehungen seiner Bauern, die er hier bei dem jungen, in der Heimat doch wildfremden jungen Fürsten antraf.

Aber auch Stromer und Louis Armand fanden die Antwort überraschend.

Das muß ich sagen! rief Heunisch. Da wird Segen über unser Ländchen kommen –

Beim Worte: Ländchen, warf Stromer dem Jäger einen bedeutenden Blick zu, den Egon wohl verstand, aber Heunisch noch nicht.

Recht so, Heunisch! sagte Egon. Ein Ländchen ist gerade Das, was sich gut übersehen läßt. Aber den Sandrart kenn' ich durch Zufall.[1530]

Und den Sohn auch? bemerkte Heunisch gedehnt, der noch nicht verstanden hatte, was eigentlich der strafende Blick des mächtig kauenden Stromer hatte bedeuten sollen ...

Und den Sohn auch! fuhr Egon fort. Ein lieber, heiterer Gesell! Ja, ja, der Alte hat Batzen; aber der Junge bringt sie ihm auch gewiß an. Ein Glück, daß er Soldat sein muß und unter Raison steht.

Heunisch gab das Grübeln über die blitzenden Augen des Pfarrers auf und rief voll Verwunderung:

Aber Das muß ich sagen! Grade wie's ist! Nicht um eine Linie vom Schwarzen! Mitten in die Scheibe!

Während selbst Armand aufmerksam war, ob diese Bekanntschaft nicht etwa mit Egon's Rückreise zusammenhing, und er gespannt wartete, ob der Freund sich über jene Reise überhaupt jetzt genauer auslassen würde, fuhr Heunisch fort:

Kommt der Sandrart zu mir und sagt: Heunisch, sagt er, ich hab' einen Jungen, Ihr kennt ihn..? Ja, sag' ich, Sandrart, er ist jetzt Sergeant, ich kenn' ihn. Sagt' er drauf: Ihr habt in der Stadt eine Nichte? Meiner Geschwister Kind, sag' ich, Fränzchen Heunisch, Wallstraße Nr. 14 im Hofe eine Treppe hoch, links bei Tischler Märtens.

Ohne Heunisch zu stören und den Andern aufzufallen, horchte jetzt Louis, dem der Dialekt des Försters etwas schwer zu verstehen wurde, an dieser Stelle hoch auf. Soviel begriff er, daß hier plötzlich von Franchette Heunisch die Rede war ...[1531]

Heunisch fuhr fort:

Nun, Heunisch, sagte Sandrart, ich wünschte, Eure Nichte wäre ein Bischen saubrer als sie ist. Das ist eine Mamsell ... Fahr' ich auf und sage: Sandrart, hier steht der Tisch zwischen uns, redet mir nichts Unebenes von meiner Geschwister Kind. Sie macht Putz, das ist wahr, aber darum ist sie die sauberste Person von der Welt, und eine Mamsell werd' ich nie in meine Försterswohnung nehmen, denn Das ist mein Wille, daß sie mir die Wirthschaft führt, wenn es mit der alten Ursula Marzahn zu Ende geht. Nun, sagte Sandrart tückisch – er kann tückisch sein! Er hat Geld! – nun, Heunisch, sagt' er dann, macht denn nur bald, daß Ihr sie in den Wald hineinnehmt, denn sie läuft jetzt bei Nacht auf die Bälle und hat's auf zweierlei Tuch abgesehen. Mein Sohn Heinrich Sandrart, der Sergeant, will sie heirathen.

Der Eindruck dieser Erzählung auf Louis stieg, ohne daß die Übrigen seine Aufregung bemerkten.

Fränzchen Heunisch, sag' ich, auf die Bälle? Fränzchen Heunisch zweierlei Tuch? Das ist nicht wahr, antwort' ich und schlage auf den Tisch, daß er knackt und die Ursula ihr altes Lachen kriegt. Sie ist närrisch die Ursula und lacht, wenn sie sich ängstigt ...

Psychologisch interessant! bemerkte Guido Stromer etwas ungeduldig über die breite Art, wie sich dieser Förster eine fürstliche Audienz fast nur für sich selbst nutzbar machte und dabei die Kenntniß von Namen voraussetzte, die dem Prinzen ja völlig unbekannt sein mußten ...[1532]

Ich habe Beweise davon, bemerkte Egon, daß Sandrart grob sein kann ...

Heunisch wurde bei aller Aufregung neugierig, antwortete aber nur:

Ja, ja, er kann's! Er hat Geld!

Fahrt nur fort, Heunisch! erwiderte Egon und bemerkte nichts von der Spannung seines französischen Freundes.

Mein Sandrart aber ärgert mich mit seiner Ballläuferei und dem zweierlei Tuch so, daß ich mich ganz vergesse und das Fränzchen so lobe, daß die alte Ursula immer noch mehr lacht, aber auch nach Feuer, Wasser, Erde ruft, um sich begraben zu lassen. Ich höre nicht auf ihre Hexerei – sie meint es gut mit mir die Alte – und sage dem Bauer, was ich von Fränzchen Heunisch denke und was sie mir werden soll, die Stütze und die Pflege meiner alten Tage. Da sagt' er denn, sein Sohn, der Sergeant, der Herr Sergeant – der Alte trägt den Kopf höher als der Junge die neuen silbernen Litzen – der wollte das Fränzchen heirathen und er sollte eigentlich bei mir um sie anhalten und ich ihr befehlen, daß sie ihn nimmt. Allein aber – Durchlaucht; das war Alles Hohn! Der Alte denkt nicht daran, daß sein Sohn, der Sergeant, so eine Partie macht ...

Aber das Mädchen, die Franziska? fragte Egon und flößte dem Pfarrer, der sich inzwischen in gelassener Geduld die Omelette schmecken ließ, Bewunderung über seine Leutseligkeit ein, während Louis Armand mit dem[1533] lebendigsten Interesse jedes Wort aus des Jägers Mund aufgriff und seine ihm schmerzlichen Mittheilungen mehr errieth als verstand.

Egon's Frage elektrisirte ihn.

Ja, Das ist's ja, sagte Heunisch. Die Fränz will ja den Sergeanten gar nicht. Ich mache mich stantâ pê gleich auf den Weg und hierher – und sehe die Bescherung. Da krieg' ich einen schönen Spaß zu hören. Meine Fränz läuft wirklich auf die Bälle und hält's mit einem alten Franzosen, der sie besucht ... ja, ja, sollte man's denken, einem so jungen blutjungen Ding läuft ein alter Franzose nach, von dem sie vorgibt, französische Lectionen zu nehmen ... Auch Das sagte mir der alte Sandrart schon im Walde und da sagt' ich schon, ich wollte doch hier einmal sehen, wieviel Vokabeln die Mamsell von dem Franzosen schon gelernt hat ... Donnerwetter! ... Vergeben Sie, Herr ...

Diese höfliche Milderung seines Zornes und erschrockene Rücksichtnahme war an Louis gerichtet, der unruhig und bewegt genug die vielen bedauerlichen Nachrichten über ein junges Mädchen gehört hatte, das ihm seines bescheidenen und lieblichen Wesens wegen so theuer geworden war. Seitdem er ihr Siegbert's Übersetzung seines Gedichtes geschickt, hatte er nichts mehr von ihr vernommen. Und nun diese Entdeckungen über Soldaten, alte Franzosen, Bälle, Heirathen, Vokabeln! Es brannte ihm der Boden unter den Füßen. Er hätte aufspringen und fortstürzen mögen und nur mit Mühe und dem Glauben, er selbst würde wol jener Franzose sein, bezwang[1534] er sich zu der Antwort auf Heunisch's an ihn gerichtete Rede:

Wenn die Tochter Ihrer Schwester französisch lernt, so ist es wol nur die Eifersucht des jungen Sergeanten, die in dem Lehrer gleich einen Liebhaber vermuthet.

Das dacht' ich auch, fiel Heunisch seinen Zorn über das Französischlernen aus Rücksicht auf Louis Armand's gebrochenes Deutsch mildernd ein, und sagte dann der Ursula Lebewohl. Ist sie noch zu retten, bring' ich sie mit, du wirst alt, du mußt eine Stütze haben. Es war der Ursula recht. Verbrennen und ertrinken, sagte sie, kann man überall. Gut! Läuft sie nicht auf die Bälle, so kann der Sergeant, wenn er ausgedient hat, hier um sie anhalten, als: in meinem Wald. So bin ich hergekommen, und da ich doch einmal da war und ich hörte, Durchlaucht sind durch Gottes Schutz am Leben erhalten, so hab' ich's gewagt, auch bei Ew. Durchlaucht anzuklopfen und nun fahr' ich morgen in aller Frühe in Gottes Namen wieder heim. Das ist's! Und Das war's! Und nun Adieu, Durchlaucht, und kommen Sie bald einmal sechsspännig nach Hohenberg, daß man ein paar Büchsen in die Luft knallen und wieder ordentlichen Staat mit seiner Herrschaft machen kann.

Damit wollte Heunisch gehen. Aber Egon hielt ihn fest und sagte:

Ja! So wollt Ihr fort? Mit der besten Spannung unserer Neugier? Das geht nicht! Erst meldet uns von Fränzchen und vom Sergeanten!

Guido Stromer seufzte hier etwas überlaut. Da er aber[1535] die rege Geschäftigkeit der Bedienung bemerkte und einen dritten Gang ahnte, stillte er seine Ungeduld. Wandstabler, der Haushofmeister, eröffnete in der That noch einen dritten Frühstücksakt, der zwar nur in einer Scene, aus einem Dessert von Obst bestand, allein die Vasen und durchbrochenen Porzellankörbe, in denen die Birnen, Nüsse, Weintrauben, malerisch geordnet, dargereicht wurden, fesselten doch seine Neugier. Er glaubte vielleicht auf Spuren von Entbehrung zu stoßen, er hätte sich sagen müssen, daß ein Frühstück von kalten Rebhühnern, einer Omelette aux confitures, Obst und etwas Schweizerkäse mit Madeira mit den Frühstücken der Madame Schlurck sich nicht vergleichen ließ, allein die Art des Servirens hatte doch etwas für ihn höchst Imposantes. Der Haushofmeister, der jede Abwechselung gleichsam wie ein Herold mit geräuschvoll stummem Blicke ankündigte, die beiden Bedienten, die seine bedeutsamen Winke und augengeblinzelten Befehle mit stiller Sicherheit ausführten, das Silberzeug, das Porzellan, die Malerei der Teller, das Wappen, die weißen wollenen Handschuhe der Bedienten, die Art des Einschenkens, hinterwärts, unversehens, das Alles erfüllte seine Phantasie mit angenehmer Behaglichkeit und hob seinen, die Plessener Pfarrexistenz wie eine Fessel abstreifenden idealen Sinn um so mehr, als er bei der Liebenswürdigkeit, die Egon zeigte, hoffen durfte, mit einem Anliegen, das ihm auf dem Herzen lag, keine Fehlbitte zu thun.

Egon, dem das Arrangement des Frühstücks, dessen[1536] eigentliche Seele, Dorette Wandstabler, hinter den Coulissen waltete, ein eigenthümliches Interesse bot – war es doch die erste Benutzung seiner eignen Situation, das erste Festhalten seiner neuen heimatlichen Existenz! – Egon ermunterte Heunischen, nun auch noch den Rest zu sagen.

Der ist ganz kurz, antwortete Heunisch. Ich komme an, höre und sehe, daß mein Fränzchen die Unschuld ist wie sonst. Mit dem Ball und dem alten Franzosen hat's freilich eine kuriose Ursache, aber sie will ihm den Abschied geben. Und den Heinrich Sandrart mag sie wirklich nicht, obgleich den stattlichen, braven Jungen zu sehen eine Freude ist. Was sie auf dem Herzen hat, weiß ich nicht. Sie weint und in den Wald bei Hohenberg will sie auch nicht. Da hab' ich ihr gesagt: Kannst du's nicht, so laß es: wer weiß, ob die alte Ursula nicht einmal ein brennend Scheit Holz nimmt und zu guter Letzt mein Dach illuminirt und dann verbrennen wir Alle im stillen Wald und das letzte Wild rennt mit hinein in's Feuer, oder wir löschen auch ohnedem wie die Lichtlein aus ... Da wollte sie dann mitgehen. Aber wie sie mir zuviel weinte, mocht' ich's nicht und so gehe ich morgen in der Frühe allein. Nun aber ... Gott erhalt' Ew. Durchlaucht! Adjes, Herr Franzose! Nichts für ungut wegen der Vokabeln! Adjes, Herr Pfarrer! Kommen Sie bald nach, sonst schließen Ihnen die Bauern die Kanzel zu und machen den Ackermann zum Pfarrer. Wer Den sieht, denkt gleich, der muß auch gut predigen können ...[1537]

Wäre Heunisch, der die schärfsten Sinne für die Thiere, aber nicht die geringste Kenntniß der Menschen hatte, ein besserer Beobachter gewesen; so hätte er sehen müssen, daß der junge Franzose in einer auffallenden Erregung mit ihm zugleich aufstand. Louis mußte sich gewaltsam beherrschen, nicht loszubrechen und dem Oheim des jungen Mädchens zu gestehen, daß er Franziska Heunisch als ein gutes, ihren Pflichten treuergebenes, engelreines Kind hätte kennen lernen. So aber brach Heunisch rasch ab und ließ ihn in der aufgeregtesten Spannung zurück. Da Stromer Miene machte, sein Alleinsein mit Egon nun gründlich zu seinem Besten auszubeuten, so zog sich Louis Armand in aller Stille zurück, um sich zum Ausgehen anzukleiden. Es hielt ihn nun nicht länger, er mußte seine alte Wohnung, den Tischler Märtens, seinen eigenen Wirkungskreis und Franziska Heunisch wiedersehen.

Die Bedienten trugen das Frühstück ab. Wandstabler erwartete fernere Befehle und entfernte sich, als er diese nicht empfing, mit der letzten Serviette unterm Arm, gerührt, fast dankend emporblickend.

Egon war durch einige Tropfen des starken Weines, den er versucht hatte, angeregt und ermüdete nicht, nun auf Guido Stromer und die etwas umständliche Art, wie sich dieser Mann in Scene setzte, einzugehen, ja selbst noch zu wagen, den Gerichtsdirektor von Zeisel zu sprechen, falls dieser sich noch sollte anmelden lassen.

Guido Stromer, gesättigt, vom Weine mächtig gehoben, mit rollenden blitzenden Augen, entfesselt wie ein alter[1538] Bursch, der mit seinen Universitätsgenossen nach zwanzig Jahren sich zu einer Reminiscenz eines Commersches vereinigt, brannte vor Verlangen, mit dem Anliegen, das ihn hergeführt hatte, nun hervorzutreten.[1539]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 1512-1540.
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