Letztes Capitel
Die Morgenröthe

[3590] Auf dem Tempelstein lösten sich Schmerz und Freude, bangende Unsicherheit und endliche Entscheidung ... Dankmar's starres Brüten über den Verlust, konnte es andauern, als er Selma sah? ... Und Olga, wäre sie erstarrt gewesen wie Niobe, da ihr die Söhne starben, konnte sie auch noch nicht beim Anblick der Mutter, die sich streng und ernst von ihr abwandte, zum Leben erwachen, konnte sie da, als Siegbert vom bekümmerten Bruder sich losreißend in den Saal der Villa des Barons trat, da, als der Geliebteste vor Olga's entfalteter Schönheit staunend bebte, eine Jungfrau statt des Kindes fand, ihre Hand zitternd ergriff und sie zur Versöhnung in die Hand der Mutter legte, konnte sie da, die seit Jahren nicht geweint hatte, die Thränen wieder fortschleudern und ihnen sagen: Ich kenne Euch nicht? ... Und konnte, als Rudhard, ein gebückter, alter Mann, gefurcht, gebleicht von Kummer eintrat und er und Anna von Harder der Mutter sie zuführten, konnte Dystra, als Olga nun doch davon stürzen wollte, Siegbert aber sie zurückhielt und sie in seinen Armen fast[3590] ohnmächtig an's Herz drückte, etwas Andres thun, als sagen:

Chère enfant, Ihrem Vater, dem Fürsten Alexis Wäsämskoi, hab' ich einst versprochen, Rurik's Schwager zu werden! Ja, ja, Rurik! Papa Rudhard lehrte dich vielleicht aus den Alten, daß die delphischen Orakel vieldeutig waren. Ich that Alles, um dies Schicksalswort zu umgehen; ich wollte liebenswürdig, schön sein, ich hoffte irgend eine große Dame würde mich entführen. Ich wollte sterben und fing deshalb zu bauen an. Aber Alles vergebens. Was ist zu thun? Komtesse Olga hat eben, wie das dem Charakter unsrer Zeit entspricht, selbst gewählt, Paulowna zieht jedem Eheglück noch die Kunde vor, welche Torte es heute Mittag geben wird, und wo soll ich diese Gäste all' herbergen, wo anders meine Diners und Soupers nun veranstalten, als in dem fertigen linken Schloßflügel, wohin ich wiederum gelobt habe, nur die Dame zuerst zu führen, die einst die Meine sein wird?

Alles blickte auf Olga, auf die Fürstin ... Anna von Harder nahte sich aber Beiden, die sich abwandten, liebevoll ... Es war ein mächtiger Eindruck für Adelen gewesen, als sie nach so langer Trennung ihr wildes Kind wiedersah. Sie war ihr erschienen wie eine ihr fast Fremde, wie eine Jungfrau, die sie nie gesehen, nie gekannt hatte und doch war diese Gestalt die ihrer eignen Olga, das hoheitsvolle, schwärmerische Auge war das Auge ihres Kindes, dessen Erblühen zur Selbständigkeit[3591] sie nicht hatte ertragen können. Gedemüthigt durch Siegbert, der seiner Empfindungen jetzt kein Hehl mehr machte, sich würdevoll sammelnd vor Anna's sittlicher Hoheit sprach sie zum Baron:

Mon cher Baron, outre mes enfans il s'en trouve ici d'autres encore, parmi lesquels vous êtes le plus deraisonnable. Pour vous empêcher de vous ruiner par vos mille folies il vous faudrait une gouvernante, qui reglât un peu vos penchants dangereux.

Und Dystra erwiderte:

Madame, je suis ravi de vos bonnes intentions pour moi. Depuis bien longtemps il fallait un mariage de raison, comme celui que j'aurai l'honneur de contracter avec vous, pour en compléter ma collection de mille et une folies, les curiosités du siècle.

Damit gab Dystra mit der ihm eignen Grazie den Arm der Fürstin, die sich von ihm zum Schlosse hinaufführen ließ, während die Andern frohbewegt folgten. Spartakus und Cicero schritten aus Rücksichten heute in Tscherkessentracht voran ...

Das die Freude! ... Und auch Louis Armand hatte Fränzchen liebevoll begrüßt. Auch er war erlöst von seinem früheren ohnmächtigen Träumen, auch er hatte durch den Umgang mit bedeutenden Männern, die ihn zu sich emporzogen und zu einem großen Wirken verwandten, das einseitig nagende Isolirungsgefühl des begabten höherberufenen Handwerkers verloren und an seinem Beispiele gezeigt, wie alle Gefahren des Kommunismus[3592] verschwinden würden, wenn der Staatsbau auch die regste Theilnahme des heraufdrängenden vierten Standes an ihm zuließe, ordnete und regelte; auch er hätte froh sein dürfen. Aber ... die Männer kamen vom Herzensglück bald auf das Leid des Allgemeinen zurück, auf den Tod Hackert's, den Untergang des Vermögens. Dankmar gab jede Hoffnung auf. Er sagte, daß aus Rücksicht der vielen zweideutigen Umstände, die den Verlust begleiteten, keine Hoffnung auf den Erfolg eines Amortisationsprozesses und der Erneuerung der schon theilweise in Umlauf begriffenen Zahlung da wäre. Rodewald's rechtskundige Meinung sollte befragt werden. Man suchte ihn, rief ihn. Er fehlte, war eben verschwunden, hatte aber die Bitte, seinetwegen nicht bekümmert zu sein, selbst wenn er bis morgen ausbliebe, beruhigend zurückgelassen. Man rieth, daß er sich wol um das Schicksal Murray's kümmerte. In Murray den Vater des unglücklichen Hackert wiederzufinden – die Mutter blieb denn in der That Jedem unbekannt – war den Freunden eben so überraschend wie schmerzlich gewesen. Ihre Blicke gingen in die Zukunft. Jeder gedachte des Looses, das er gezogen ... Dystra blieb vielleicht mit der Fürstin und den Kindern auf dem Tempelstein, dessen Einfriedigung den Baron halb zum deutschen, halb zum fränkischen Bürger machte; denn noch tief in das jenseitige Land ging sein Besitzthum. Rudhard blieb sicher noch treu in ihrem von Frohsinn, Glücksgütern und Bildung gehobenen Kreise. Leidenfrost vollendete ohne Zweifel[3593] den Bau. Vor Entdeckung seines Namens schützte die Rückkehr zu seinem wahren: Max Brüning. Sein Vater, der greise Invalid, bewohnte eine Grenzhütte auf dem jenseitigen Abhang des Gebirges. Werdeck fehlte in diesen Tagen nicht in der Tempelabtei. Aber er kehrte nach Paris zu seinem Weibe zurück. Unterricht in der Mathematik von seiner, die Kunst, Blumen zu machen von ihrer Seite fristeten das Loos zweier Menschen, die dem Kreise der Anschauungen, in denen sie erzogen waren, sich mit einem Heroismus entwunden hatten, der Bewunderung verdiente. Wir haben von diesem Ehebund, der kinderlos blieb, den Vorhang nur dann und wann gelüftet gesehen. Bedurfte das feste treue Ausharren an einer einmal erfaßten Idee der gleichen Schilderung, wie die in Krümmungen irrende allmälige Entwickelung sich langsam läuternder Herzen? Was bedarf es auch jetzt mehr, von diesen Edlen zu sagen, als daß Werdeck die Theorie der Curven und Gleichungen in Paris lehren wird, Jagellona Blumen macht, wie sie in dem Kloster gefertigt wurden, das sie und Max Brüning erzog? Diese Flüchtlinge lebten zu Paris im fünften Stock, entbehrten, hatten Sorgen genug, aber unter dem frühgebleichten Haar glühten die alten Hoffnungen, die unversöhnten Nemesisgedanken der Geschichte. Jagellona ertrug den Widerspruch ihres Herzens mit dieser kalten Erde nicht lange. Ein Grab auf dem Père la Chaise, in der Nähe des Denkmals von Abälard und Heloise, nicht zu fern von Ludwig Börne, von Foy, Lafayette, Armand Carrel schmückten Immortellenkränze[3594] einen Hügel, auf dem sich Werdeck und Leidenfrost zuweilen des Jahres die Hände reichten und nur beklagten, daß Jagellona's Heldenseele in diesem matten Frieden, nicht im Donnerrollen großer Thaten aushauchte.. Und Louis Armand? Was konnte ihm die Zukunft Schlimmes bringen? Er nahm nur für einige Zeit in Frankreich mit seinem begüterten Weibe den Aufenthalt, er hoffte die Rückkehr auf einen Boden, der ihm zur zweiten Heimat geworden war ... Und Dankmar und Siegbert? Sie, die in der Grenzhütte des alten Invaliden auf fremdem Boden zu übernachten pflegten, verbanden sie sich nicht bald durch die Ehe mit den Mädchen ihrer Liebe? Jener rüstete sich gewiß auf die ersten großen Wirkungen des Bundes, an dessen Ausbildung er fortarbeitete; dieser beschloß, begleitet vom Bruder bis zur Schweiz, weiter zu ziehen – mit Olga – in das Land der Ideale und zu einer Kunstübung, zu der ihm Oleander einst als Regel schrieb:


Wie lieb' ich, wenn ein Mädchen auf sich hält,

Nicht jeden Tänzer nimmt, nicht jeder Fiedel tanzt!

So auch der Künstler, der nicht schmeichelt aller Welt

Und gegen Vortheil sich zumeist verschanzt!

Deshalb ist Gunst und Kunst verwandt und Gönnen Können,

Weil Können soll die Gunst dem Rechten gönnen.


Anna ließ sich doch wol Selma nicht nehmen? Sie blieb doch wol bei Dankmar, dem die Schweiz ein Asyl werden sollte bis zum Tage, wo die ersten Schranken der künstlichen[3595] Ordnung, die uns jetzt regiert, einst fallen würden. Ihm und Rodewald, der sicher nach Hohenberg zurückkehrte, schien dieser Tag nicht zu fern. Selbst Louise Eisold blieb hinter Denen nicht zurück, die auch von ihr eine Zukunft prophezeien wollten. Die Einigung mit Mangold wurde ein Liebesopfer für ihre Geschwister, wenn sie auch dann und wann wehmüthigst an Danebrand dachte und an Hackert, der ihr kein Begriff wie Oleander'n, sondern ein Mensch war, ein Mensch mit einem verhängnißvoll beklagenswerthen Leben! Ein Mensch, der, wenn all' unser Dasein ein Versuch zum Lichte aufwärts sich zu schwingen zu nennen, in diesem Fluge so früh scheitern mußte! Ein Mensch, wunderlich wie jene Pflanze, die auch halb ein Thier ist, wie jener Stein, der auch Pflanzenform angenommen, aber fühlend auch und, hätte er Liebe gefunden, nicht doppellebig! Ein Mensch, der, weil er zu früh die schönsten Blüthen des Lebens zu flüchtig abgestreift, den Rest des Daseins schaal und nichtig finden mußte!

Damals aber beim Dämmerlichte des verschleierten, hinter den Tannenwipfeln aufsteigenden Mondes versammelten sich Abends nach dem Brande aus den ringsumliegenden Weilern, Gehöften, Dörfern und Schlössern die geheimnißvollen Maurer des Tempelsteins noch einmal und eines Jünglings Stimme sprach:

Der Bund ... er ist geschlossen! Der Segen aber, den irdische Mächte darüber sprechen sollten, ist bedroht und für jetzt verloren. Der Hort – versunken! Ob Kunst[3596] der Rede, ob Auslegung der Gesetze ihn wieder heraufbeschwören werden aus den Fluthen, ich weiß es nicht. Der Bund des Geistes, ich ahn' es, soll ganz vom Geiste sein. Nicht können wir kämpfen mit goldenen Waffen, nicht mit dem Klang des Silbers locken und mit metallener Musik aufspielen, wenn wir Märtyrer ermuntern und belohnen wollen. Sie müssen leiden um ihrer selbst willen. Die Wahrheit selbst muß sie lohnen, die Dornenkrone ihr Geschmeide sein. Hunger, Entbehrung, Verachtung ... wer nennt die grauen Trabanten des Genius, die ihm das Geleite geben durch diese Erde, diese Vorschule irgend eines Himmels! Klingt mir nicht nach ein Wort aus der Jugend, ein Wort, das einst auch in diesen Räumen widerhallte, wenn die Templer hier belehrt wurden, daß das Kreuz auf ihrem Mantel das größte Lebensgut wäre, klingt mir's nicht nach, daß einst ein großer Heiland sprach: »Das Reich Gottes ist eine köstliche Perle und besser denn Silber und Gold sind seine Schätze. Das Reich Gottes ist in uns; der verborgne Mensch des Herzens, unverrückt im sanften stillen Geist, der ist kostbar vor dem Herrn!« Sanft und still kann der Geist dieser Zeit nicht sein, Ihr Brüder! Ach, daß die Zeit der Langmuth nichts gefruchtet hat zwei Jahrtausende lang und daß nicht mehr des Geistes Symbol die Taube sein darf! Wie die Möve flattert vor dem Sturme, so irrt das Denken der Gerechten hin und her und sucht und klagt und stößt Schmerzenslaute aus. Wer kann schlafen? Will es die endliche Natur auch des Geistes, so sei's mit der[3597] Hand an dem Griff des Schwertes. Wirket! Werbt! Sucht auf den Gemeinplätzen der Alltäglichkeit die Vierblätter der Gesinnung! Krieger, Gelehrte, Dichter, Künstler, Staatsmänner, Handelnde, Gewerbfleißige, daß wir Opfer bringen wollen, daß wir irdischem Lohn entsagen, daß wir nur mit dem Gedanken wirken können, kann es Euch schrecken? Bleibt Ihr heute Die, die Ihr gestern waret?

Feierlich widerhallte die Ruine von der einstimmigen Betheuerung. Es war wie der Schlag einer einzigen großen Welle, die kommt und so wie sie kam, auch wieder vom Ufer weicht.

Zwölf schlug es von den Thürmen aus dem Thal. Man hatte sich spät versammeln müssen, weil der Brand von Buchau manche Herberge entlegener gerückt hatte. Die Ritter vom Geiste trennten sich mit der Loosung der neuen Versammlung im nächsten zweiten Jahre und dem Vorsatze, auf die Zeit zu wirken mit der Lehre: Wächst nur das schnellere Einverständniß der Edlen und Guten, zielen wir nur auf einen solchen majestätischen Akkord der Übereinstimmung, wie wenn gleichsam ein Naturphänomen am Himmel von Millionen um dieselbe Minute beobachtet wird, mit denselben Empfindungen, demselben elektrischen Schauer über die halbe Welt hin, so fallen die Fesseln des Geistes von selbst und sind wie Spinnenweben!

Man staunte in allen Fremdenbüchern der Umgegend, grade in diesem Herbst so viel hochgefeierte Namen zu[3598] lesen ... man pries deshalb die bisher fast unbekannte Gegend, das grüne sonnenwarme Thal zwischen rauhen, hohen Bergebenen, die Geschichte dieses Thales, die in erwiesensten Thatsachen zurückgeht auf die Römerzeit, pries den Fluß, der, sich ringelnd wie eine gezähmte Schlange, von den Uferwänden nicht loskommen, sich nicht trennen könne von dem frohen Leben dieser Städte und Weiler und von einer Bewegung vorwärts immer wieder eine rückwärts versuche, man rühmte den klaren, perlenden hier gezogenen Wein und wie er mit Emsigkeit gewonnen würde auf den künstlich gepflegten und durchbauten Abhängen, man sang Lieder auf den Fluß, seine milde Rebe, rühmte Buchau, Dystra's Bauten ... Das Auge der Uneingeweihten wußte nichts von den beiden Mondnächten in der Abtei der alten Templer.

Nach Mitternacht stiegen Siegbert, Dankmar, Louis Armand, Werdeck und Leidenfrost zu der Höhe empor, wo sie auf fremdem Gebiet in der Hütte des greisen Invaliden übernachteten ...

Die Sonnenrosse waren fast schon sichtbar an dem rothen Glanz, den ihre Nüstern aussprühten und ihre Hufen auf das östliche Thor des Himmels schlugen, als die Freunde von dem Alten, der sie bewirthete wie bei ihm Eingemiethete, für heute Abschied nahmen ... Werdeck wollte nach Paris.

Wäre der Verlust des Schreins, das entsetzliche Ende Hackert's, die Ungewißheit über die Folgen eines Verlangens um Wiederherstellung der Stadtkämmereischeine[3599] nicht gewesen, sie hätten fröhlich blicken, glücklich sich trennen können. Aber auch so sagte Dankmar:

Freunde, mit meinem Erbe war mir's immer wie mit einem Traume! Die Wirklichkeit der Entscheidung zieh' ich allen halben und schwebenden Lagen vor. Man bindet die jungen Bäume an einen Stab, den später ihr Wachsthum und Gedeihen von selbst entfernt. So ist der Prozeß, der all' unser Streben und Wollen emporhielt, ein solcher jetzt überflüssig gewordener Stab gewesen. Nur wenn die Kinder Geschichte noch nicht fassen, naht man sich ihnen mit Mährchen.

Die Freunde aber trennten sich, auf die Wiederherstellung hoffend. Leidenfrost kehrte zum Bau zurück, um dessen wirkliche, heute rückkehrenden Arbeiter als Meister zu begrüßen. Werdeck schlug einen Seitenweg ein, um im Thal zur nächsten Post zu kommen. Die Brüder wollten eine Strecke Louis Armand begleiten, der nach einer andern Richtung im Interesse des Baus Geschäfte hatte. Jeder von ihnen Dreien hatte nun sein Lieb gewonnen, sah die Welt zu neuen Bahnen geöffnet. Die drei Stände der Gesellschaft waren in ihren Mädchen vereinigt, die Adlige, die Bürgerliche, das Mädchen aus dem Volke.

Sie hatten hinunterzuschreiten in den Tannenwald. Noch sprachen sie von Rodewald's plötzlicher Entfernung, seiner Meinung als Juristen, Murray's Zeugniß, als sie auf einer grünen Stelle zwei Männer wie auf sie wartend erblickten. Ein Fahrweg schimmerte durch die[3600] Tannen. Abseits getreten in die Waldung schien ihnen der Eine Rodewald zu sein; den Andern, der in der herbstlichen Morgenkühle einen Mantel trug, erkannten sie nicht, da er das Antlitz abwandte.

Indem kam ihnen Rodewald schon grüßend entgegen, fragte, ob sie sich drüben gesammelt, gefunden, ausgesprochen hätten? Als er leidlich wohlgemuthe Mienen fand, er auch Siegberten zu Olga's ihn nicht überraschendem Besitze Glück gewünscht hatte, antwortete er auf die Frage nach seiner Entfernung, seinem nächtlichen Aufenthalt und dem abgewandten, dort im Grünen stehenden Gaste:

Auf Eurem Tempelbau hattet Ihr diese Nacht einen Zeugen, den Ihr vor einem Jahre kaum frei aus Eurer Mitte hättet scheiden lassen ...

Statt Templer, sagte Dankmar, wären wir Assassinen geworden?

Seht ihn Euch an, sagte Rodewald und zeigte auf den Fremden, der näher tretend den Mantel auseinanderschlug.

Das Unerwartetste geschah den Freunden ... Es war Egon ...

Nur an seinem Auge, nur an seinem Gruß erkannten sie den Fürsten. Sonst erinnerte in Haltung, Frische und Lebendigkeit nichts mehr an den alten Egon, den sie zum letzten Male den Ihrigen genannt hatten, als er mit ihnen im Pavillon seines Vaters speiste und von Helenen sich losreißend zum Könige fuhr.[3601]

Euer Kleeblatt, sagte Rodewald zu den Erstaunen den, soll vier Blätter tragen ... Begrüßt Euch ohne Groll und denkt, sich so wiederzufinden ist ein Weiheaugenblick!

Rodewald selber trat, als er diese Worte gesprochen, zurück, wandte sich dem Gebüsche zu, wollte die alten, von ihrem Glauben auseinandergerissenen Freunde nicht stören. Die Gewißheit: Dieser einsame Wandrer da im Dickicht der Landesgrenze ist der vielgenannte, vielbewunderte und vielverwünschte allmächtige Egon! hatte etwas Überwältigendes. Wie kam Rodewald zu dieser nahen Verbindung? Man wußte nur, daß sie sich in jüngster Zeit erkannter gefunden hätten. Die ganze Nähe ahnte Niemand.

Egon ergriff zuerst das Wort. Er reichte Jedem die Hand und sprach:

Louis Armand, Siegbert, Dankmar Wildungen! Auf dem Schlosse Buchau hab' ich gestern die Gewalt, die ich zwei Jahre bekleidete, in die Hände des Fürsten zurückgegeben und stehe nun wieder Euch eben so frei gegenüber wie damals, als wir so eng verbunden nach dem Schlosse Solitüde fuhren. Mistraut Dem nicht, was ich Euch zu sagen habe, Euch sagen muß, um mit erleichtertem Herzen die Wiederherstellung meiner zerrütteten Gesundheit in südlichen Ländern zu suchen. Wisset zuvörderst, ich war Zeuge Eurer beiden Nächte auf dem Tempelstein!

Die Freunde erstaunten, schraken fast zurück ...

Beim Brande erkannte ich Euch und bewunderte die[3602] Großherzigkeit, mit der Ihr das Geschick Eures Erbes ertruget! Und nicht die Furcht der Entdeckung allein vor den ringslauschenden Späheraugen war es, was Eurem Schmerz die laute Sprache raubte, es war die gefaßte Ergebung. In der Reihe von Wägen, Reitern, die beleuchtet vom Flammenschein in der Ferne standen und das Schauspiel, wo Rettung vergebens, betrachteten, wurde Euer Muth bewundert, wie Ihr Drei noch überall waret, überall noch angriffet, den Nachtwandler suchtet, der schon Asche war, ihn suchtet, nicht das Eurige ... ein Unglück, das Niemand ahnte. Nach Abgabe meines Portefeuilles sprach ich Rodewald, erfuhr Alles, was geschehen, sprach in dieser Nacht auf Dankmar's Frage das majestätische Ja! das feierlich in den Ruinen widerhallte –

Ist's möglich? konnte Louis Armand nicht umhin, den alten Freund, den Geliebten seiner Schwester Louison, zu unterbrechen ...

Ja, Louis, sagte Egon, sich zu ihm wendend. Da bin ich nun von meinem Feldzuge zurück! Seht in mir den müden Kämpfer, der aus tausend Wunden blutend sein Haupt auf jenen Stein legt, den man Undank nennt. Sagt nicht, daß ich der Erste war, der auf Euch, die Ihr mich emportrugt, diesen Stein warf ...

Dankmar runzelte die Stirn ...

Dankmar, unterbrach Egon die Erregung des strenger Urtheilenden, Dankmar, wär' es meiner würdig gewesen, ein Anderer zu sein, als ich sein konnte? Mit Euch in den Hainen der Akademie wandeln und über Gott, Freiheit,[3603] Unsterblichkeit, Staat und Gesellschaft unter den von Epheu und Asphodelos umschlungenen Arkaden der Philosophie, unter dem blauen Himmel der Idealität, Sokratische Ansichten tauschen und diese feudale Welt regieren, das sind zwei Gegensätze wie Süd und Nord. Konnt' ich Euch von der Tribüne des modernen Staates in Eure luft'gen Träume folgen?

Dankmar begann die Erwiderung, daß der oben im Tempelstein geschlossene Bund ein von der sonstigen möglichen Einwirkung auf die Zeit völlig unabhängiger Traum wäre. Aber Siegbert, der milder Gestimmte und von Egon's Anblick Gerührte, schnitt die strafende Rede des Bruders sogleich ab und winkte nur Egon zu sprechen.

Haltet mir nicht entgegen die Zerrbilder, wie Ihr mich auffaßt! sagte der Fürst. Adelsstolz zuvörderst? Ich kenne die Geschichte des Adels ... Was Euch die plötzlich in mir erwachte aristokratische Regung schien, war nur mein Erstarren über die Nothwendigkeit, die Geschichte der Grundsäulen, auf denen die einmal gegebene Gesellschaft ruht, nicht lange erst untersuchen zu dürfen, den Blick abwenden zu müssen von dem Werden und nur das Gewordene festzuhalten, das Wie zu opfern, um das Was zu schützen ... Freunde, Ihr sprachet dann von Rechten, ich von Pflichten, wir waren ehrlich gegen einander und ich bin es noch jetzt, daß ich nicht die mir gewordene Offenbarung verschließend und mein Haupt verhüllend davonziehe, sondern Euch sage: Dieser Zeit muß wohl etwas kommen, wie Euer Bund oder wenigstens der Geist[3604] Eures Bundes, sonst bricht diese Gesellschaft in Trümmer!

Rodewald war näher getreten und hörte ruhig der Erörterung zu, die sich im langsamen Gehen über die Rückblicke auf die Vergangenheit ergab. Egon erklärte, daß eine Zeit, wo die Könige auf den Egoismus mehr hörten als auf die Stimme einer sich selbstbeherrschenden, auf Geschichte begründeten Weisheit, in ihrer gegenwärtigen Ordnung verloren sei. Egon war mehr Republikaner als selbst Louis Armand, der den um ihn geschlungenen Arm des alten Freundes an sein Herz drückte und die Thränen seiner Rührung nicht verbergen konnte. Dankmar aber erfreute Alle, indem er zugestand:

Egon uns also wiedergewonnen! Nie schätzte ich dich mit dem Maaße geringer Naturen! Du hast versucht, ein Staatsmann zu sein, der die Gesellschaft vor dem Schicksale einer regellosen, wilden Auflösung bewahren wollte. Du suchtest das Prinzip der Ergebung in das Bestehende, der Ordnung, der allmäligen Besserung, der Legitimität selbst bis in die Werkstatt auf, wo du patriarchalische alte Gliederung verlangtest. Du hast gesehen, daß dies System der absoluten Ordnung an dem wühlenden Zorn des sich Gott gleichmachenden Königthums und seines schlimmen Gefolges von Egoismus und falscher Lehre selbst scheitert. Die Machthaber wollen keine Begriffe sein, sondern nur Personen. Ich gebe dir die beiden Mondnächte auf dem Tempelstein Preis! Du bist noch zu erfüllt von den Mitteln, mit denen du regieren mußtest, die[3605] ganze Maschine der üblichen Gesellschaftspraxis tönt dir noch in ihrem ewigen groben Gehämmer zu dröhnend in's Ohr, du siehst deine Gendarmen, deine Richter, deine Soldaten, deine Kanonen noch zu metallen ...

Nein, nein, unterbrach Egon, diese Waffen sind nichts ohne ein strahlendes Banner, das über Aller Häuptern weht! Deine Reisige vom Geiste brauchen nicht einmal zu kämpfen. Sie haben nichts nöthig, als den Blick empor zu richten, in ein Buch, das sie studiren, zu sehen, in eine Harfe zu greifen, wo sie ihre Empfindungen austönen, in ihr Herz, das sie reinigen und läutern wollen. Sie haben nichts zu thun als nur dieser Gesellschaft der ewigen Lüge sich abzuwenden, ihr nicht zu dienen, ihr zu fehlen, stumm zu bleiben, wenn sie reden sollen, das Haus zu schließen, wenn man sie um Hülfe ruft. Dann wird sich die furchtbare Isolirung dieser herrschenden Gesellschaft bald zu Tage geben, die schaudererregende Minorität, in der sich plötzlich der Stolz und die Anmaßung betreffen müssen. Ich habe so tief in die Abgründe der Zukunft geblickt, daß ich schweige, um Euch nicht zu ermuthigen, mehr zu wagen als jetzt schon geschehen ist.

So wechselte man die Meinungen, legte die Hände ineinander, fand sich in den überraschenden Augenblick, ergriff ihn mit Liebe, mit Vorsätzen für die Zukunft, auch mit dem Austausch der gegenwärtigen Lebensschicksale. Egon sprach von der ihm zulässig scheinenden Wiederherstellung des Vermögens, von den geschlossenen Liebesbünden, von seiner Reise und machte die Freunde auf[3606] einen Wagen aufmerksam, der langsam mit ihnen zugleich bergab gefahren war auf der durch den Wald nicht ganz verdeckten tiefer liegenden Straße. Jetzt wurde das große Coupé sichtbar. Egon stand still und umarmte Jeden der Anwesenden zum Abschied mit Herzlichkeit. Und zu Louis Armand sagte er:

Auch du willst dir eine Hütte bauen mit einem deutschen Mädchen! Nach einigen Jahren hoff' ich dich wieder und dein Weib zu begrüßen. Nenne deinen ersten Knaben: Egon! Nicht um Meinetwillen! Nein! Es ist gut, daß man an sein Ich so oft erinnert wird, daß man schon darum die Welt sich ewig zurufen hört: Vergiß auch mich nicht! Louison, Helene, Ihr Alle nanntet mich das Prototyp des Egoisten und Jedes der Beklagenden hatte Ursache, sich verletzt zu fühlen. Dennoch wollt' ich zu allen Zeiten nur wahr gegen mich selber sein. Denkt über die Grenze dieses Wahrheitstriebes nach! Mir zeichnet sie leider nur meine kranke Ruhe und die Ergebung –

Man blickte auf den Wagen und vermuthete in ihm die Fürstin ... Die Umarmung Rodewald's durch Egon, der zitternd stille Abschied zwischen diesen Beiden blieb im Forschen nach der Fürstin fast unbemerkt. Mit tausend Glückwünschen für das Leben, Abschiedsworten für die nächste Trennung und den Hoffnungen des Wiedersehens schieden endlich die so wunderbar sich Wiederfindenden.

Als der Wagen dahinrollte, grüßte aus ihm ein Frauenantlitz. Es war die Fürstin, die nicht ahnte, was ihr nach[3607] Nizza, wohin die Reise zunächst ging, für eine Schmerzenskunde über den Vater würde geschrieben werden ...

Es ist Melanie! sprachen die Brüder, bewegt genug durch Das, was ihnen Beiden einst, ehe sie die festen Sterne: Selma und Olga fanden, dieser leuchtende, irrende Komet gewesen war. Dankmar gedachte der Empfindungen, die Melanie bei der Nachricht über Fritz Hackert's Ende überrieselt haben mußten ... Er konnte nicht umhin zu sagen:

Seit ich nun weiß, daß Egon in Nizza für eine entschwundene Jugendkraft und ein wilddurchkostetes Leben letzte Sammlung und Ruhe sucht, versteh' ich diesen Bund und begreife, daß es eine Stimmung im Manne gibt, wo er von den Frauen nichts, nichts als nur noch ein schönes, heitres, ihm dankbar ergebenes Umwehen und holdes, stilles Umwalten besitzen will!

Von Rodewald nahm nur Louis Armand Abschied, den die Versicherung beglückte, daß er in Franziska Heunisch ein bewährtes, treues, sinniges, deutsches Weib sich gewonnen. Die Brüder sahen Rodewald heut' Abend wieder und trugen ihm einstweilen an Selma und Olga, an Anna von Harder, Dystra, Rudhard und die so plötzlich in die Bahn der Besinnung und des sittlichen Taktes eingelenkte Fürstin Adele die liebevollsten Grüße auf.

Hinuntersteigend zu dem fränkischen Städtchen, wo sie von Louis Armand schieden und wo sie im Gasthofe an Freunde, Bundesgenossen, auch an den Wohlweisen und Wohledlen Rath der königlichen Residenz Briefe und Eingaben[3608] schreiben und zur Post befördern wollten, blickten sie noch einmal aufwärts und sahen Rodewald mit dem Tuche winken ...

Sie wußten nicht, galt dieser Gruß ihnen oder galt er Egon, dessen Wagen in den Krümmungen des absteigenden Weges noch eine Weile sichtbar blieb, bis er sich in dem Staub und den Sonnennebeln der großen nach Süden führenden lothringischen Landstraße verlor.

Rodewald's Grüßen hatte aber – dem Sohne gegolten. Wie er so einsam den Gebirgskamm überstieg, überschlich ihn der wehmüthige Gedanke: Du hast ihn zum letzten mal gesehen! In ihm hat ein vulkanisches Feuer gebrannt und die Hülle seines Geistes ist wol für immer zerstört.

Erst in den Umarmungen Selma's, in den frohen Grüßen der Jungen und Alten auf dem Tempelstein, deren regierendes und berathendes Haupt er bald geworden war und nun bleiben sollte, sammelte sich Rodewald zu seinem offen dargelegten und der Welt bekannten Leben wieder, von dem wir, da die Gränze der Gegenwart wol von uns schon längst überschritten ist, auch nur noch ahnen können, daß es reich an ernsten Pflichten und von mancher Sorge getrübt verlaufen sollte, aber doch vieler eignen Freude und des erhebenderen Blickes auf die Freude Anderer sicher nicht entbehrte.

Und Oleandern einst begrüßend in dessen kleinem Erkerstübchen, alles Nahe und Ferne, Lebende und noch Webende, Abgeschnittene und doch wie die Wiederherstellung des verbrannten Schatzes hoffnungsvoll neu[3609] sich Anknüpfende, überfliegend, klagend über die durcheinanderlaufenden Fäden des Menschengeschicks und die unbefriedigend plötzlich oft durchschnittene Lösung des Momentes, vernahm er von diesem die beruhigenden, fast lächelnd gesprochenen Worte:


Ein Faden, ewig ausgesponnen,

Ist jedes Stäubchen Sonnenlicht!

Die Ewigkeit hat nie begonnen –

Was nie begonnen, endet nicht!


Ende des Romans.

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 3590-3610.
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