Zweites Capitel
Begegnungen

[1129] Als sich Helene etwas erholt hatte, begann die junge schöne Frau mit leidender Stimme:

Ich hörte die gute, kluge Freundin, ich schätze Ihren Rath, aber um Egon kann ich Alles dulden. Wie oft schon hat er in Zornausbrüchen mich in meiner Liebe gekränkt; ich fühle die Bitterkeit seiner Worte wohl und jammere, aber lieben muß ich ihn doch.

Machen Sie nur mich zu Ihrer Vertrauten; ich beschwöre Sie! Niemanden sonst! sagte Pauline dringend.

Ich versprech' es Ihnen, antwortete Helene. Ach, Sie sind glücklich. Ja! Sie sind Dichterin. Wenn Sie aus allen Adern bluten und Sie die Wunden, die Ihnen die grausame Welt schlug, dem Tode nahe bringen, dann kommt die Muse als Trösterin und Sie können sich wenigstens Ihre eigene Grabschrift schreiben. Ich habe keine Kunst, die mich rechtfertigt; kein Talent, das mich tröstet. Musik! Ein wenig Musik! Aber nur im Tanze könnt' ich mich eigentlich aussprechen, im rasendsten Tanze. Wie ein indischer Shamane möcht' ich mich so lange um mich selbst drehen, bis ich rasend werde und todt niedersinke ...[1129]

Sprechen Sie von der Kunst nicht, liebe Helene, sagte Pauline und legte die fröstelnde Hand auf Helenens heiße Stirn. Die Zeit der Kunst ist vorüber. Ich bin die nicht mehr, die Sie vor drei Jahren kannten, Helene. Die starken Gefühle sind einer frostigen, prüden Analyse erlegen. Nur die Unschuld noch wird bewundert und das Naive groß genannt. Tändelnde Kinder drückt man wie zarte Lämmer mit rothen Bändchen und Silberglöckchen an's Herz. Die liebenden und aufopfernden Ehegattinnen sind die einzigen, die man von unserm Geschlechte noch anerkennt. Die Politik soll, wie man sagt, eine Art Reinigung der Gemüther geworden sein. Ich weiß Das nicht, aber es ist so; es soll so sein. Man muß sich vor den allgemeinen Thatsachen demüthigen.

Es ist auch in Paris so, sagte Helene. Wenn aber eine gewisse Stabilität wieder hergestellt sein wird, wird sich auch diese Verirrung legen.

Sie sagen: »Verirrung?« ... bemerkte Pauline lächelnd und fuhr fort:

Glauben Sie daran! Sie sind noch jung, Sie vermögen noch alle diese Erscheinungen mit einem liebebedürftigen Herzen abzuwarten. Für uns aber, liebe Helene, lassen Sie uns besonnen sein. Sie werden hier bleiben, bis Egon wiederhergestellt ist. Auch ich nehme an Allem, was die Hohenbergs betrifft, den lebhaftesten Antheil. Sprach Egon niemals von mir, nie von den Harders überhaupt?

Egon war ein Franzose geworden. Er kannte Deutschland nicht mehr; antwortete Helene.[1130]

Ließ er sich niemals auf das Leben seiner Mutter ein? bemerkte Pauline lauernd.

Ich weiß von ihr nicht mehr, als was ich von Ihnen erfuhr, sagte Helene aufrichtig und offen. Wer Amarantha bewundert, kann nur erschrecken, daß Egon Amaranthens Sohn sein soll! Lassen Sie! Lassen Sie! Ja! Ja! Man sagte mir Das. Was thut Das? Ich lebte der Gegenwart und Zukunft. Egon selbst sprach ungern vom Vergangenen. Gerade zur Zeit, als seine Mutter starb, waren wir Beide die glücklichsten Geschöpfe der Erde.

Sie sind auch darin so gut, Helene, sagte Pauline aufathmend, daß Sie für Ihre Freunde Partei nehmen und für Das, was Sie einmal warm und treu ergriffen haben, Farbe halten. Schließen Sie sich mir an! Ich bin zwar manchen Stürmen preisgegeben gewesen. Aber noch wurzl' ich in festem Boden. Bleiben Sie eine Viertelstunde in der kleinen Gesellschaft, die ich heute um mich habe. Beobachten Sie flüchtig! Sie werden mit der Schärfe Ihrer Intuition bald bemerken, was jetzt die Menschen hier beschäftigt und beschäftigen darf. Versprechen Sie mir, besonnen zu sein? Besonnen um meinetwillen?

Ich verspreche es, sagte Helene und reichte ihre weiße schwarzbeflorte Hand der auf Melanie, die jetzige Rivalin Helenens gespannten Freundin, die schon auf Wagen im gekieselten Fahrwege lauschte und mit Helenen an ein von der Abendsonne beschienenes Fenster der vorderen schon erleuchteten Salons trat.[1131]

Sie wissen doch, daß Adele Wäsämskoi dort drüben wohnt? fragte Pauline.

Und noch ehe sie Helenens Antwort abgewartet hatte, brach sie schon in den lebhaftesten Ausdruck ihres Erstaunens aus, die königlichen Livreen vor dem Hause zu erblicken ...

Sehen Sie! rief sie. Die Fürstin ist eine tugendhafte trauernde Gattin, eine zärtliche Mutter! Da steht schon der Wagen der Oberhofmeisterin vor ihrer Einfahrt!

Meine Schwester scheint gefeiert zu sein; sagte Helene verächtlich. Der zweite daneben haltende Wagen scheint ihr ebenfalls Besuch zugeführt zu haben.

Was seh' ich! rief Pauline. Das ist ja der alte Rumpelwagen meiner Schwester? Anna mit der Altenwyl zusammen? Ludmer! Ludmer! Wo ist die Ludmer? Anna hat ein Rendezvous mit der Altenwyl!

Die alte Charlotte Ludmer hatte sich schon längst in der Nähe gehalten und bestätigte, was sie schon ausspionirt hatte, daß bei der Fürstin drüben, so wurde übertrieben »ein Wagen nach dem andern« vorführe, und eben wären Anna von Harder und die Gräfin Altenwyl dort zusammen ...

Helene begriff nicht, was Pauline darin so Außerordentliches finden konnte und hörte befremdet zu, als Pauline in die Worte ausbrach:

So müssen sich denn die schönen Geister wirklich schon begegnen! O ich sehe es, wie sie aufeinander lauschen, aneinander sich entzünden und entflammen! Dort[1132] die Tugend, da die Tugend und überall die Tugend! Ha! Ha! Ha! Ludmer, was wettest Du, Anna wird morgen in die kleinen Cirkel eingeführt! Was wird die Königin sie an ihr Herz drücken und ihr eingestehen, wie sehr sie nach dem Umgang mit solchen Naturen geschmachtet hätte! Pfui! Lächerliche Welt! Helene, was sind die Männer zu beneiden! Die Männer können Das, was sie verachten, zu stürzen sich verschwören! Sie können Stirn gegen Stirn ihren Widerwärtigkeiten entgegentreten. Wir Frauen müssen unsere Ideen, wenn wir welche haben, niederkämpfen und nach Gebetbüchern greifen, um nur nicht die Thorheit zu begehen, einmal eine That zu versuchen ...

Ich erstaune, sagte Helene, daß man hier so vom Hofe abhängt! Noch vor drei Jahren ...

Alles ist anders geworden, unterbrach die aufgeregte Pauline. Wissen Sie, Helene! Hier treiben die Frauen jetzt nichts mehr als Werke der Liebe, der christlichen Liebe ...

Oeuvres de charité! Wie in Paris! sagte Helene lächelnd.

Wer liest noch ein Buch! fuhr Pauline fort. Wer spricht noch von einem Roman! Verachtet ist jetzt jede Frau, von der man mehr weiß, als daß sie ihre Kinder selbst wäscht, selbst anzieht und die Zeit, die ihr sonst übrig bleibt, mit Kirchenmusik und Colportage von Loosen für die Ausspielungen der Frauenvereine zubringt. Man nennt Das die innere Mission! Man spricht von Krankenpflege, von Wärterinnen in den Hospitälern, von der Armuth und den[1133] unehelichen Kindern, von den Skropheln und Kartoffeln, von den Gefangenen und ihrer Besserung ...

Wie Rafflard und meine Schwiegermutter in Paris!

O, es mag vortreffliche gutmüthige Leute darunter geben, die sich gern damit beschäftigen, Charpie zu zupfen und die Warteschulen zu besuchen, aber ich kann es nicht. Ich fühle mich zu schwach für diese Tugenden ...

Pauline von Harder konnte nicht ausreden; denn die Thür öffnete sich und einige Gäste traten schon herein ...

Es waren zwei. Erstens der Hofmaler Lüders, eine schleichende höfliche Figur, ein Mann, der sein schönes Talent früh gelernt hatte an den Meistbietenden loszuschlagen, und Sanitätsrath Drommeldey.

Ganz gegen die Abrede mit Paulinen stürzte Helene gleich auf diesen Letztern zu und fragte nach Egon, den er mit mehren andern Ärzten behandelte ...

Drommeldey erwiderte mit einem eigenthümlich gekniffenen, lauschenden Blicke seines scharfen Auges, daß der junge Fürst sich durch mancherlei Aufregungen ein Nervenfieber zugezogen hätte, dem er deshalb den glücklichsten Ausgang vorhersage, weil es sogleich im ersten Stadium in ganzer Heftigkeit ausgebrochen wäre und den ganzen Organismus ergriffen hätte. Wenn es eine schleichende, unausgesprochene Form angenommen hätte, sagte er, würde er besorgt sein. Allein eine so gewaltige Erschütterung und der schnelle Ausbruch des Phantasirens erzeugt rasche und gute Krisen. Wir haben ein Nervenfieber, nicht den Typhus.[1134]

Phantasirt Egon und was? wollte Helene in ihrer leidenschaftlichen Theilnahme eben fragen; aber Pauline zog sie fort und flüsterte ihr zu:

Mäßigung!

Drommeldey mußte sich nun mit Paulinen beschäftigen, mit ihrem Pulse, den er zu aufgeregt fand, mit ihrem Appetit, den sie für gering erklärte ...

Sie haben keine Badereise gemacht, sagte Drommeldey, Sie grübeln zuviel, Sie nehmen das Leben zu ernst.

Als Pauline diese »Kur durch Leichtsinn« ablehnte, vertiefte sie sich mit Drommeldey in homöopathische Gespräche, die ihr den Genuß verschafften, mit sich selber zu theoretisiren und eine Art von autodidaktischer Quacksalberei zu treiben ...

Sanitätsrath Drommeldey war der gesuchteste Arzt der vornehmen Welt. Er mischte das allopathische Princip mit dem homöopathischen und praktizirte auf diese Art à deux mains. Wer an das Eine nicht glaubte, dem half vielleicht das Andere. Besonders behauptete der kleine, feine, magere, starkgeröthete Herr mit den stechenden listigen Augen, daß die Seele des Patienten ein Hauptaugenmerk des sorgenden Arztes sein müsse. Er hatte durch dies Zauberwort alle vornehmen Frauen gewonnen. Denn eine verstimmte Seele wollen sie alle haben und mehr durch das Gemüth und seine Anregungen, als durch die Pharmakopöe kurirt werden. Drommeldey führte ein Buch über seine Patienten, eine förmliche Chronik ihres ganzen Lebens. Man kann sich denken, wie ihm[1135] die Gläubigen anhingen. Die Malades imaginaires behandelte er homöopathisch und ließ sie aus ihren kleinen portativen Apotheken sich die unschädlichsten Dinge selbst dispensiren; die wirklichen Kranken griff er aber mit vielem Geschick allopathisch an. Er galt nicht nur bei Hofe, sondern mit gleicher Autorität in einem ganzen Bezirk von zwanzig bis dreißig Meilen bei allen Reichen und Vornehmen. Er war fast in jedem Monat einmal auf einer größeren Reise begriffen. Ihm ganz besonders kamen die Eisenbahnen zu statten, denn sie gaben ihm eine Universalpraxis. Im Übrigen war er keineswegs so kopfhängerisch, wie man nach seiner Verehrung vor der Homöopathie und der medizinischen Wichtigkeit, die er der Seele zuschrieb, hätte glauben sollen. Er liebte ein Glas herben Ungarweins und stritt oft mit dem Justizrath Schlurck, ob die englischen oder holsteinischen Austern nahrhafter wären. Seine Philosophie war so ziemlich die des vorigen Jahrhunderts. Er liebte Anekdoten von Voltaire, Friedrich dem Großen und der Kaiserin Katharina. Ein bon mot stand ihm höher als eine Abhandlung. Sein Wissen wurde besonders von den jungern Ärzten sehr bezweifelt; allein darum hätt' er es doch längst zu einem höhern Titel als dem eines Sanitätsrathes – was in der medizinischen Welt soviel wie ein Commerzienrath in der bureaukratischen ist – gebracht, wenn er nicht als halber Homöopath gewissermaßen außerhalb der offiziellen Medizinalverfassung des Landes stand. Die Homöopathie war noch nicht akademisch vertreten. Er[1136] verzichtete auf Ehrenämter, begnügte sich mit seinen Orden und den Dukaten, die ihm von allen Seiten zuströmten.

Die Säle füllten sich ... Offiziere, Beamte, Künstler kamen, manche nicht ohne Ruf. Es kann nicht unsre Absicht sein, sie Alle zu katalogisiren ...

Es war da die stehende Garde der Geheimräthin zu gegen. Sie bildete den Stamm ihrer Gesellschaften und konnte recht verletzt werden, wenn sie bei irgend einem größern Mittage oder Abende fehlte. Alle gehörten sie der Richtung an, die noch bis vor kurzem von Pauline von Harder leidenschaftlich vertreten war. Da es ihr nicht möglich wurde, sich nach der Krisis, in der ihre ästhetische Lebensauffassung zu Grunde ging, auf die Werke der Liebe, die Frauenvereine, die Institute der inneren Mission zu werfen, eine »graue Schwester«, Diakonissin oder Schwanenjungfrau zu werden, so hatte sie es leidenschaftlich mit der Politik und dem conservativen Systeme. Alle diese Anhänger ihrer Fahne waren Beamte, Adlige, Offiziere, auf's beflissenste damit beschäftigt, die alte Ordnung der Dinge wiederherzustellen und das demokratische Princip zu bekämpfen. Einige von ihnen sahen in diesem Princip nur die rohen und gemeinen Straßenausbrüche der Demokratie, Andere waren gerechter und gestanden zu, daß die Demokratie das Unglück hatte, in ihren ersten Bildungsformationen eine Menge Schlacken involviren zu müssen; doch auch das reinere Metall erschien ihnen verderblich und gefährlich. Der[1137] Unschuldigste dieser Conservativen war noch der alte Graf Franken, den nichts in seinem Hochtorysmus berührte, an dem Alles abglitt und der erst seit kurzem wieder dauernd die Gnade gehabt hatte, in der Residenz zu wohnen. Viel schroffer schon war der Kammerherr von Ried, ein Schwager Paulinens aus erster Ehe, ein sehr reicher Gutsbesitzer, der zu verarmen fürchtete, wenn die progressive Einkommensteuer und die neue Grundzinsgesetzgebung in Kraft blieb. Die Gespenster des Communismus ließen diesen Mann nicht schlafen. Er hatte eine große Korn-Ligue gestiftet zwischen allen Grundbesitzern des Landes, um den Ministern und Kammern die Spitze zu bieten, ein Unternehmen, über das der Hof nicht wußte, sollte er Freude oder Schrecken empfinden. Kammerherr von Ried organisirte Bauernvereine, die die Gesellschaften der Demokraten bei passenden Gelegenheiten überfielen und Jeden halbtodt prügelten, der sich nicht bereit erklärte, auf der Stelle eine gewisse Landeshymne zu singen. Diese patriotischen Banden wurden fast in der ganzen Monarchie organisirt und von Gendarmen oder eben ausgedienten Soldaten, die zwar den Bauernkittel wieder anzogen, aber nicht viel Lust zum Arbeiten hatten, geleitet. In großen Städten wurden von Sackfiedern, Lastträgern, Karrenschiebern solche Kraft-Vereine gebildet. Der Kriegsrath Wisperling, der zugegen war, gehörte zu den schleichenden Naturen, die es verstanden, unter Kanalarbeitern und Schiffsablädern mit einer gefüllten Börse Mannschaften zu werben zu solchen loyalen[1138] knüttelhaften Demonstrationen. Er mischte sich auf naive, kindliche Weise unter Brücken- und Bauarbeiter, scherzte, späßelte, theilte Viergroschenstücke aus und veranlaßte eine Zeit lang jeden Sonnabend spät in der Dunkelheit einen Überfall der Clubs und einige halbtodt geschlagene Opfer dieser unzurechnungsfähigen Loyalitätswuth. Einige Sendapostel der Enthaltsamkeitsvereine unterstützten darin diesen sanft flüsternden, immer liebevoll lauernden Kriegsrath Wisperling. Dafür, daß er bei seinen Sonnabend-Abends-Werbungen manchmal irre ging und an die unrechten Elemente im Volke kam und fürchterlich oft schon selbst geschlagen wurde, hatte ihn das Bedauern, das Lob und manche Gratification seiner Vorgesetzten schadlos gehalten. Er wußte, daß er auf der Liste stand, bei nächstens thatkräftigerem Durchbruch der Reaction für dieses eigenthümliche Rekrutiren Geheimer Kriegsrath zu werden. Auch einer dieser Sendapostel war zugegen, Baron von Held. Er reiste für die Ausrottung der sogenannten Alkohol-Vergiftung und gehörte zu den gewandtesten »Colporteuren« der innern Mission, die ja die politische Krankheit der Völker auch scharf genug in's Auge gefaßt hat und sie als Teufelswerk auszurotten sucht. Das christliche Werben gibt sich da zum Deckmantel einer ganz weltlichen Industrie, für eine Menge Bücher, Zeitschriften, Gesellschaften u.s.w. her, warum nicht auch für das reactionäre Wühlen? Einen der kecksten Agitatoren lernen wir in dem anwesenden Grafen Brenzler kennen. Dieser hatte, um Conflikte herbeizuführen,[1139] sich nicht gescheut, schon an den Straßenecken oft zum Bau von Barrikaden aufzufordern und durch geschickte Manöver in solcher Art gleichsam den Feind herauszulocken, um ihn besser auf's Haupt schlagen zu können. Graf Brenzler, noch jung, war ein förmlicher Flibustier seiner Partei und lag in einem fortwährenden bald listigen bald offenen Kampfe mit seinen demokratischen Gegnern.

Auch einige politisch sehr fanatische Frauen waren schon zugegen. Sie gehörten zu den wildesten Parteigängern, unter denen man Erscheinungen in neuerer Zeit getroffen hat, die die grausamere Natur der Frauen in ein entsetzliches Licht stellen. Für die Aussicht, ihre Männer könnten jährlich hundert Thaler weniger Gehalt beziehen, waren manche vom schönen Geschlecht Furien geworden. Von denen, die um einen bei dem Lärm der Aufstände flatternden Kanarienvogel, um einen winselnden Schooshund wüthen konnten, will ich nicht reden; auch die wollen wir bemitleiden, die auf der Straße von einem betrunkenen Arbeiter übel angeredet, nach Hause kommen und in Ohnmacht fallen und die Welt mit Feuer und Schwert vertilgt wissen wollen. Aber die Damen waren entsetzlich, die die Besteuerung der Pensionen fürchteten, die, die etwas von den Abzügen der hohen Gehalte gehört hatten. Diese glichen Mänaden und hätten ruhig neben Karl IX. in der Bartholomäusnacht ausgehalten, als dieser mit der Flinte an einem Fenster des Louvre stand und immer schrie:

Tuez! Tuez! Tuez![1140]

Begrüßen wir nun Diejenigen in Paulinens Salon, die wir schon einmal nennen hörten oder genauer kennen.

Vor allen ist die Excellenz selbst zu nennen. Kurt Henning Detlev von Harder zu Harderstein kam mit dem Großkreuz auf der Brust, sehr gewählt toilettirt, die Perücke frisch gebrannt und neu gelockt. Seine Haltung verlieh ihm Würde. Er belächelte Jeden sehr gnädig und war gegen Helene d'Azimont in dem Zelte sogar herzlich. Diese fand ihn, als er in dem blauen Zelte sich neben sie setzte, außerordentlich vergnügt. Sie gestand ihm, daß ein gewisses Etwas in ihm läge, was man kaum anders nennen könnte als Unternehmungsgeist ...

Finden Sie Das?

Unverkennbar. O! O! Sie haben etwas!

Die Reisen auf die königlichen Schlösser bekommen mir gut.

Man athmet dort eine so gesunde Luft ...

Das ist es.

Auch die Zeit regt an.

Die Zeit? Wie so, Frau Gräfin? Die Zeit ... Ach! abscheulich! Sie thun, als wenn ich ein Greis wäre!

Bitte! Ich spreche von der Zeit, nicht vom Alter.

Ach so! ... Werden Sie Papa nicht besuchen?

Papa? Wer ist Papa?

Meinen Papa in Tempelheide ...

Dies Gespräch wurde für die erschöpfte Helene schon zu angreifend. Es war ihr drückend, leidlich heiter sein zu sollen. Sie machte Miene, sich doch zu entfernen, während[1141] außerhalb des Zeltes Pauline empfing. Der Geheimrath hielt sie aber mit Schmeicheleien auf. Er fand sie bewunderungswürdig. Verdrüßlich antwortete sie:

Wovon sprachen wir?

Von Papa, Comtesse! Papa!

Nein, nein, nein! Ihr Papa? Es muß Ihr Großvater sein! Sie sind zu schalkhaft, zu jung, um nur noch einen Vater zu haben. Treibt er immer noch Zoologie, der alte Herr? Gehen Sie zu ihm, Excellenz! Er muß Sie noch zähmen, Sie blicken heut so wild! Und dabei ist nicht einmal Ihre Cravatte fest geschnürt!

Cravatte? Trägt man in Paris Cravatten? Der Graf versprach mir Moden zu schicken ...

Recepte!

Recepte? O!

Ach, Excellenz, fuhr Helene seufzend fort, so lang ich hier bin ... Schicken Sie mir denn auch manchmal, wie sonst, Blumen aus Monplaisir und Sansregret?

Wenn ich sicher bin, nicht durch die Eifersucht eines gewissen –

Sprechen Sie von Blumen, Excellenz! Ich will Solitüde besuchen ... Sie haben dort Treibhäuser. Was gibt es Neues in Solitüde?

Ich habe eine neue Methode des Bewässerns erfunden ...

In der That? Erfinden Sie?

Eine Gießkanne, Comtesse, die aus verschiedenen Schläuchen besteht –[1142]

Eine Feuerspritze –! Excellenz, das ist nichts Neues.

Doch! doch! Comtesse ... Die Majestäten waren entzückt davon. Die Gießkanne ruht auf zwei Rädern; statt des einen Halses gehen zwei Schläuche, etwa in der Länge von – erlauben Sie, daß ich Ihnen Das genauer vormache! Hier steht die Gießkanne ...

In dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die das Element des Intendanten der königlichen Schlösser war, wurde er aber durch seine Gattin gestört, die mit den Malern Heinrichson und Reichmeyer in das blaue Zelt trat und Helenen in Letzterem einen alten Bekannten aus Paris zuführte.

Helene empfing den Maler ihrer Villa von Enghien sehr freudig und tiefbewegt. Sie rückte sogleich so, daß Reichmeyer die eben von Excellenz verlassene Stelle des Divans einnehmen mußte. Noch mit dem Worte: Gießkanne! auf den Lippen stand Herr von Harder einige Sekunden schwebend und ließ sich dann mit Heinrichson in eine weitere Auseinandersetzung über diesen Gegenstand ein. Harder gehörte zu jenen Menschen, deren Ideenarmuth es mit sich bringt, daß sie einen einmal gefaßten Gedanken nicht wieder fallen lassen können. Ganz unbekümmert darüber, ob Heinrichson, der besondere Schützling seiner Gattin, ein Interesse haben konnte, die Construction einer neuen Gießmaschine kennen zu lernen, setzte er diesem doch jene durch den Mechanismus des Denkens einmal in ihm aufgezogene Einrichtung des neuen Bewässerungswerkzeuges auseinander.[1143] Heinrichson, der an Alles dachte, nur nicht an die Annehmlichkeit, mit der Excellenz in ein hydraulisches Gespräch verwickelt zu werden, mußte ausharren. Mit den Bücken hier und dorthin forschend, die Gräfin d'Azimont mit seinen heißen, sprechenden Augen fast verschlingend, dann einmal wieder auch pflichtschuldigst mit einer gewissen Schwärmerei nach dem biblischen Turban Paulinens blickend, unterbrach er die Auseinandersetzungen des Geheimrathes, ohne ihrer im Mindesten zu achten, fortwährend mit den näselnden Worten: Ah! Sehr wohl! Sehr schön! Sehr praktisch! Aha! ... Und Excellenz waren entzückt über die Gelegenheit des Beweises, wie sehr das Vertrauen Sr. Majestät gerechtfertigt war, als man ihm, dem altgewordenen Kammerherrn und ehemaligen Reisemarschall des Hofes, die Intendanz der königlichen Gärten und Schlösser überließ.

Kaum war Heinrichson hierauf zu Paulinen geschritten und hatte sein Amt angetreten, das eben darin bestand, ihr den ganzen Abend eine gewisse »Assiduität« zu widmen, das heißt: eine gewisse beflissene Emsigkeit des Aufmerkens und ein scheinbares leidenschaftliches Drängen, immer in ihrer Nähe sein zu dürfen, als die unvermeidliche Trompetta mit ihrer ebenso unzertrennlichen Begleiterin, der blonden Friederike Wilhelmine von Flottwitz eintrat.

Man nannte sie die Inseparables, falls sich, wie Heinrichson boshaft hinzusetzte, naturhistorisch nachweisen[1144] läßt, daß alte Kakadus sich mit jungen Kanarienvögeln paaren ...

Wie dem sei, die Trompetta brachte Leben in jede Gesellschaft. Die kleine kugelrunde Frau rollte sich bald da, bald dorthin und schied von keinem Cirkel, in dem sie nicht mehrfach jedem Einzelnen à part einen guten Abend gewünscht hatte. Während Helene glücklich war, mit Reichmeyer allein von Paris, vom See zu Enghien und ihrem Spiegelzimmer reden zu dürfen, zu dem er einige enkaustische Wachsmalereien geliefert hatte, wußte die Trompetta, die ihrer noch nicht ansichtig geworden war, sogleich eine Fülle von Thatsachen über die Zeit und die Menschen anzubringen, die Alle anregte und unterhielt. Da sie Jedes im Tone der Liebe und des herzlichsten Antheils vorbrachte, auch jede Verleumdung, auch jede Nachrede eines schlimmen Gerüchtes, so war es recht boshaft von Heinrichson, daß er zu Paulinen sagte:

Da hat man schon wieder die gute Dame aus Sheridan's Lästerschule, die nur deshalb die böse Lästerung der Andern tadelt, um wiederholen zu können, was über diese Menschen gelästert wird.

Die Flottwitz aber war sogleich von einigen Militairs umgeben, die mit ihr über den neuen Achilles, den Prinzen Ottokar sprachen und ihr Manches im Vertrauen mitzutheilen wußten, was sich auf der nächsten Avancementsliste bestätigen würde. Sie erzählte dafür ihrerseits, daß im weiblichen Reubunde wäre beschlossen worden, für Weihnachten in jedem Kasernenzimmer der ganzen[1145] Monarchie einen Weihnachtsbaum anzuzünden, jedem Krieger für die bewährte Treue Äpfel, Nüsse und einen Pfefferkuchen zu bescheeren, der wahrscheinlich den allgeliebten Prinzen Ottokar darstellen würde, falls es nicht schicklicher wäre, den König selbst in dieser Form seinen Landeskindern zum liebevoll flüchtigen Andenken zu übergeben. Das junge schwärmerische Mädchen war so demokratenfeindlich, daß sie mit großer Begeisterung auch von einigen neuen Verhaftnahmen sprach und die guten Aussichten für die nächsten Wahlen lobte.

Frau von Trompetta musterte die Anwesenden und fand sogleich heraus, daß sie nur dem politischen Kreise der Geheimräthin angehörten. Pauline hatte sich also noch immer nicht entschließen können, die christlich soziale Richtung der Gräfin von Mäuseburg einzuschlagen, mit der sie die Trompetta in ihrer Weise schon vor einiger Zeit glaubte liirt, richtiger verkuppelt zu haben. Pauline hatte wirklich einmal schon einen schwachen Versuch in der »Krankenpflege« gemacht, es aber nicht sehr weit bringen können in so schweren, den ganzen Menschen und seine Eitelkeit in Versuchung bringenden Aufgaben. Die Trompetta fand also nur politische Elemente ... Ihr war Das ganz gleich, der betriebsamen Frau. Sie plätscherte ja wie ein Meerufer-Fisch in beiden Elementen, im Süßwasser der sozialen Richtung, wie im Salzwasser der Politik. War sie doch auch schon zu der Erkenntniß gekommen, daß eine Frau, die etwas auf sich hält, in Gemeinzwecken nicht ganz zu Grunde gehen dürfe! Sie hatte ihre[1146] aparten Liebhabereien. Sie veröffentlichte Bücher, Bildersammlungen, Stickereien durch wohlthätige Lotterieen. Dies war eine Agitation, die sie ganz auf eigene Hand betrieb und bei der sie sich eine gewisse Selbstständigkeit ihres Namens sicherte. Sie fühlte sich gehobener, bedeutsamer durch die Bitten der Vereine, doch ihrer eingedenk zu bleiben und für sie zu wirken. Denn wenn die Trompetta wirkte, so bekam ein Magdalenenstift, eine Diakonissenanstalt, ein Blindenasyl, ein rauhes Haus für verwahrloste Kinder u.s.w. gleich eine sehr bedeutende Summe. Mit den schweren Liebesdiensten der christlich sozialen Richtung selbst gab sie sich nicht ab. Dazu war sie zu flüchtig, zu eitel, zu vergnügungssüchtig. Und oft sagte sie so laut, daß es ihre intimsten Freundinnen, Pauline von Harder und die Flottwitz, hören konnten: Was thut denn auch die Gräfin Mäuseburg anders, als daß sie jeden Morgen die Rapporte von einer alten Kammerjungfer und von ein paar alten Nähterinnen anhört, die statt ihrer zu den armen Wöchnerinnen, zu den Kranken und Hilflosen gehen und ihr die Thatsachen mittheilen, denen sie durch die disponiblen Fonds der Kassen auf ihrem Sopha eine andere Wendung gibt! Sie notirt sich die Fälle in ihren Büchern und setzt daraus die Statistik zusammen, die sie dem großen Centralausschusse vorlegt!

Besonders wegen der lieben Flottwitz sah die Trompetta heute mit Vergnügen, daß im Salon der Geheimräthin die politischen Elemente überwogen. Die Flottwitz und die Trompetta gehörten zwar zu den musikalischen[1147] Akademieen der feindlichen Schwester in Tempelheide, allein Pauline hatte gerade gern eine Verbindung mit dem jenseitigen Feldlager. Die Trompetta sagte oft zu ihr:

Pauline, brauchen Sie mich bei der guten Anna als versöhnenden Parlementär! Aber Pauline schüttelte den Kopf und sagte lächelnd, wie zum Scherz, aber sie meinte es ernstlich: Nein, ma chêre, als Spion! – Pfui! Pfui! hatte zwar die Trompetta darauf erwidert, aber sie besaß ein merkwürdiges Talent, in Form harmloser spielender Berichte gleichsam nur wie beispielsweise und ohne alle Absicht die ganze Chronik der großen Welt in Umlauf zu bringen. Sie entzweite und verband, wie es kam. Junge Mädchen, die ein Herz schon gefunden hatten, mußten sich vor ihr in Acht nehmen. Sie hatte die Leidenschaft, »unpassende Parthieen« zu hintertreiben und blinder Liebe bei Zeiten den »Staar zu stechen«. Denen aber, die noch nichts gefunden hatten, hielt sie gern immer ein ganzes Register vortrefflicher Parthieen entgegen, die sie allenfalls »vermitteln« konnte. So der Flottwitz. Friederike Wilhelmine dachte, bei ihrem Verkehr mit Offizieren, nur an das Wohl der Monarchie und die unbefleckte Ehre und Treue des Kriegsheeres, nicht an eine prosaische Heirath; aber die Trompetta schob ihr immer doch diese kleinlichen Gedanken an Liebe und Ehe unter. Die Augen der älteren Freundin kuppelten fortwährend für die jüngere und noch vorm Eintreten in den Salon der Geheimräthin hatte sie auf der Treppe zur Flottwitz gesagt:

Wenn wir unter den Malern, die bei Paulinen sich versammeln,[1148] heute einmal den Siegbert Wildungen wiederfänden! Sie waren zwar schon auf dem Wege nach Tempelheide verletzt, liebe Friederike Wilhelmine, durch seine demokratischen Äußerungen, wie ich durch seine Blasphemieen; allein es ist doch ein hübscher, artiger, recht idealischer Mann ...

Die Flottwitz hatte darauf nichts erwidert, sondern nur noch beim flüchtigen Vorüberstreichen an einem von Oleandern versteckten Spiegel ihre langen blonden Tirebouchons geordnet. Aber als zu Aller Erstaunen jetzt ihre Antipathie, Fräulein Melanie Schlurck, mit einem alten Herrn eintrat, warf sie doch der gleichfalls überraschten Trompetta einen Blick zu, der etwa sagen sollte: Das da ist ja der Gegenstand, für den dieser junge staatsgefährliche Künstler entflammt ist!

In dies Geschwirre und Gesumse rauschte wirklich gegen neun Uhr, als man schon die verschiedenen Sorbette herumreichte, Melanie Schlurck, geführt von ihrem Vater.[1149]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 1129-1150.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Ritter vom Geiste
Die Ritter Vom Geiste (5-6); Roman in Neun Buchern
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun B Chern
Die Ritter Vom Geiste: Roman in 9 B Chern, Volume 1
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun Büchern, Volume 2 (German Edition)
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun Büchern, Volume 6 (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon