Elftes Capitel
Ein Nachhall aus dem Walde

[598] Heunisch, der Förster, war ein so zerstreuter, gutmüthig vergeßlicher Mann, daß er nicht errathen konnte, was er eigentlich Dankmarn zu berichten versprochen hatte.

Er fing sogleich, als ihm Lenchen einen Trunk Bier gebracht hatte, den er neben sich auf die Bank stellte, während Dankmar durch Abrücken Platz machte ... er fing sogleich von Dem an, was Dankmar bereits wußte.

Ja, ja, sagte er, hier hab' ich meine erste Braut, das Riekchen Drossel verloren. Da die Scheune ist, wie Sie sehen, neu gebaut und auch das Wohnhaus ist fast neu; doch sind's schon wieder fünfzehn Jahre her und Alles sieht schwarz und vergessen aus. Haben Sie denn in der Ullaschlucht das Kreuz gesehen?

Welches Kreuz? fragte Dankmar, selbst zerstreut.

Das Kreuz um Sägemüller's Nantchen! Die Leute weisen ja jeden Fremden dahin und erzählen ihm mein Elend ...

Dankmar besann sich und bedauerte, sich die Stätte nicht angesehen zu haben.

Das Kreuz an dem Wasserstrudel, sagte Heunisch, ist[598] gleich von Hause aus schwarz. Drum hält sich's immer wie neu. Die Frau Fürstin ließ es setzen. Sie war doch gut ... und eigentlich ist's nicht recht, daß ich öfter hierher gehe als an das Kreuz.

Warum nicht? Hier findet Ihr Trost und Labung.

Nein Herr, sagte Heunisch, oft werf' ich mir's wirklich vor, daß ich lieber hierher gehe und mich gewöhnt habe, fast alle drei Tage bei Drossel's zu sein, als auf die Sägemühle zu, wo ich selten hinkomme und doch weiß ich nicht, wessen Tod mich mehr geschmerzt hat ... Nantchen's oder Riekchen's. Nantchen war schelmisch und behend wie ein Reh; sonst hätte sie mich Riekchen nicht vergessen lassen, die so freundlich hier die Gäste empfing und gleich wenn sie bedient hatte, sich wieder zum Arbeiten hinsetzte, da hinter die Blumen am Fenster. Lieber Gott, ich rede von damals! Damals lag das Fenster hier unten rechts und Blumen waren dahinter gezogen wie eine Laube. Ich sehe sie noch mit ihrem Kamm von Schildpatt und Elfenbein hinterm Goldlack .... Jetzt ist der Flügel ganz abgebrannt und neu angebaut, die Scheune ist neu und der Stall. Der Wind trieb den Brand nach Scheune und Stall und im Hause verbrannte Die nur, die verbrennen sollte.

Verbrennen sollte? fragte Dankmar verwundert. Wer wollte denn, daß sie verbrannte?

Ist's denn nicht Gottes Rathschluß, so wie so, und was uns bestimmt ist, wer kann ihm entgehen! antwortete Heunisch nachdenklich.[599]

Er kam dann auf die Schwester seiner Braut, die er wol erkannt, aber nicht gegrüßt hatte ... die Frau Wirthschaftsräthin. Überhaupt war er erschrocken, da unter dem Apfelbaum so die ganze »Bescherung« vom Schlosse anzutreffen ....

Was sie wol mögen herausgebracht haben über unser Aller Schicksal, fragte er; denn – nehmen Sie mir's nicht übel, Herr ... Sie gehören doch wol auch ...

Zu den Gläubigern? sagte Dankmar kopfschüttelnd und gab ihm den Trost, daß sich der Prinz ohne Zweifel noch entschließen würde, die Herrschaft beizubehalten, worüber Heunisch große Freude bezeugte. Dann aber fuhr Dankmar fort:

Aber Heunisch, Sie sind mir ja noch Eins schuldig ... wissen Sie denn nicht mehr? ...

Ich wollt' Ihnen was erzählen? Von der Fränz in der Stadt? Nicht wahr?

Nein! Nein!

Von den Kugeln unterm Ebereschenbaum?

Erfuhr ich schon ... Nein, nein! ... Ob die Ursula Marzahn ... gestanden hat, daß ihr der Amerikaner ...

Ah Das, Herr! Ja offen und ehrlich hat sie's! sagte Heunisch lachend. Alles hat sie gestanden, das Geld hergezählt und mir übergeben, freilich in ihrer Art, accurat so, daß Einer, der sie nicht kennt, lieber nichts davon hätte wissen mögen ...

Wie denn? fragte Dankmar, mehr wegen Ackermann's und des Knaben, als wegen der Ursula gespannt.[600]

Wie ich hinüber kam in mein Haus, erzählte Heunisch, da begegnete mir schon an der Wiese der fremde stattliche Herr mit dem lieben Jungen. Allerliebstes Kind Das! Nach seinem Geschäft, wenn es doch ein geheimes sein sollte, mochte ich ihn nicht fragen und er sagte selbst weiter nichts davon und grüßte blos. Da er denn aber doch in meinem Hause war, so blieb ich stehen und er fing an recht freundlich zu werden und meinte, daß ihm die Alte nicht gefalle. Ei, Herr, sagt' ich, die hat schon Manchem nicht gefallen, kommen Sie aber nur wieder mit zurück; es hat eben Jeder seine Art. Nein, nein, sagte er und der kleine Bursch schmiegte sich ihm ordentlich furchtsam an, sie hat den tauben Schmied da behalten, mit dem sie sich so wahnwitzig curios verständlich macht, daß Leute, die hören können, besser die Ohren zuhalten und davongehen. Hätte mein Junge Drüsen am Hals oder sonst ein Kinderübel, so käm' ich schon wieder; denn die Alte scheint mir zu den Wahrsagerinnen, Kartenlegerinnen, und ums gerade herauszusagen, zu den Hexen zu gehören!

Das war rundweg gesprochen, Heunisch!

Da ich mich dagegen im Grunde nicht sträuben konnte und es geschehen lassen muß, wenn man die Ursula so nimmt, wie sie sich eben gibt, so mußt' ich ihn wol ziehen lassen. Nun aber hielt der Amerikaner mich selber auf und fragte die Kreuz und Quer, nach Feld, Wald und Wiese in Hohenberg und wollte Tausenderlei von unserer Ökonomie wissen. Endlich kam ich in mein Haus, wo ich denn[601] richtig die Ursula mit der goldenen Bescherung antraf. Sie hatte all ihr Gold, es waren hundert doppelte Friedrichsdore, in der Schürze und rief mich gleich an: Schnappauf, Junge!

Schnappauf Junge? wiederholte Dankmar. Das klingt ja ganz kindlich!

Ich mußte gleich die Mütze hinhalten und in die Mütze, die ich hinhielt, schüttete sie's mir, Alles baar und blank und tanzte dabei wie närrisch ....

Tanzte?

Sie hielt's für Katzengold, sagte sie.

Katzengold? Heunisch, dann müßt Ihr's doch wol wiegen lassen.

Wie so?

Sie kann's ja gleich verhext haben.

Ach Spaß! Ich sah schon, daß die Friedrichsdore echte Landsvaterwaare sind und über Nacht nicht wieder Kohlen werden. Nächsten Sonntag sollen die Zeck's bei uns zu Mittag speisen und da wollen sie denn zusammen abmachen, was sie mit dem vielen Gelde beginnen.

Seht! Seht! sagte Dankmar, da werdet Ihr ja einen feierlichen Sonntag haben ....

Ich mag nicht dabei sein; antwortete der Jäger.

Wo man vielleicht Wein trinkt?

Der Blinde verdirbt mir den Appetit ....

Ihr söhnt Euch aus ...

Mit einem Habgierigen nicht![602]

Ist Das so ein Währwolf?

Ein Blutsauger, was das Geld anlangt ...

Der blinde Zeck?

Der Mensch ist heimlich, wie ich Ihnen schon gesagt habe ....

Unheimlich ...

Aber man könnte ihn in Ehren grünen und blühen lassen, was die Arbeit, den Fleiß und die gute Aufführung anlangt ....

Und dennoch?

Seine Habgier! Das ist die Plage!

Er scheint doch in leidlichen Umständen ...

Für sich bedarf er nichts, aber sein Junge ... den liebt er, wie ein Affe seine Jungen ...

Macht ihm Ehre ...

Wol! Das sag' ich auch. Aber Alles in seinen gehörigen Grenzen ....

Da habt Ihr Recht!

Wie quält er seine Schwester!

Seine Schwester? Quälen? Erkennt die Ursula einen Meister?

O Herr, Das ist nicht zu sagen! Ich warf ihn schon oft zur Thür hinaus!

Was, glaub' ich, nicht leicht ist. Er hat Arme!

Daß er nicht sehen kann, ist sein einziger Jammer ... aber am Zuschlagen hindert's ihn nicht.

Er sucht wol, wo es etwas zu fischen gibt?

Für seinen Jungen, für den er sammelt, für den er spart[603] und geizt ... denn es ist wol ein elender Mensch, der Sohn, wenn der Alte einmal ...

Die Augen zuthut, kann man nicht sagen ...

Kann man nicht sagen ... Aber doch sieht er mit den Händen, mit den Füßen, mit der Nase, mit den Ohren. Da ist in unserm Forsthause ein Schrank ... Sie hätten uns doch besuchen sollen ...

Das nächste mal, Heunisch!

Den Schrank hab' ich der Ursula gelassen, weil er ihr schon bei Marzahn gehörte. Da hat sie alle ihre Papiere drin und Geldsachen und Quacksalbereien und was weiß ich ...

Ihr seid, bei Gott, nicht neugierig!

Nein, Herr! Vertrauen und Accuratesse! Das war immer mein Wort! Ich lasse die Ursula in ihren Schrank legen, was sie will. Und wenn der Schlüssel auf dem Tisch läge ....

Ihr nähmt ihn nicht?

Ich nähm' ihn nicht ....

Aber Zeck? Der wäre nicht so rücksichtsvoll?

Auf den Schrank hat er's! Den umschnüffelt er! Da wittert er Gold und Silber und Erbschaften und Verschreibungen ....

Alles für seinen Sohn?

Für den Jungen, der einmal blinder als blind ist, wenn der Alte nicht mehr ist.

Doch immer eine väterliche Fürsorge! Etwas Achtbares dabei![604]

Ei ja! Ich will's gelten lassen. Ich gönn' ihm sein Geld, ich gönn' ihm die Erbschaft, die der feine Herr aus Amerika gebracht hat ... aber ...

Von wem kommt denn die Erbschaft?

Im Vertrauen, glaub' ich – von einem verstorbenen Bruder, der hoffentlich ein seligeres Ende genommen hat als er es verdiente ....

Eine seltsame Familie!

Lassen Sie's gut sein, Herr! Ich hab's nie wissen mögen, warum sie seltsam ist und so weiß ich auch nicht, warum Schwester und Bruder an das Gold nicht glauben wollen ....

Das sie doch mit Händen greifen?

Das sie mit Händen greifen! Katzengold, sagt die Ursula ....

Der Bruder war doch etwa ... kein Falschmünzer?

Stille! Stille! Das ist wieder mein vergrabener Brunnen .... Ich war gestern Abend noch an der Schmiede. Der Blinde sitzt vor seinen Goldstücken und klingt Eines an das Andere an, ob es auch echt ist ....

Das nenn' ich Mistrauen!

Ja, ja, Sie lachen, bester Herr! Ich sitze, weiß Gott, recht unter tollen Geschichten und wenn sie mir denn doch zu bunt werden, geh' ich hier hinauf in den Gelben Hirsch. Hier ist's luftig und frei. Ein gesunder Zug in die Brust hinein stärkt mir die Lungen hier, und hätt' ich nicht Hunde daheim und ein paar alte Eulen und eine ganze Stube voll Vögel und freilich auch mein Brot im Walde und[605] die Hoffnung, die Fränz kommt einmal aus der Stadt für immer wieder heraus zu mir, ich ginge am liebsten nicht wieder hinein, so schwül wird's mir manchmal, denn die Gespensterseherei der Alten nimmt überhand ....

Dankmar nahm innigen Antheil an dem guten treuen Menschen und erzählte ihm auch seinerseits Einiges von der Verlegenheit, in die er durch die bei einem ihrer Gespenster gefundenen Kugeln käme ...

Das Gespenst da, sagte Heunisch rasch, hab' ich seitdem auf dem Strich und bin ihm schon so nahe beigekommen, daß ich ihm ein Halt da! Steh Canaille! hätte zurufen können.

Wirklich? fragte Dankmar gespannt und fast in der Hoffnung, der Förster möchte ihm nun ja Hackerten als den Verdächtigen bezeichnen, seinen Begleiter, den er von seinen Anzüglichkeiten auf die schöne kleine Franziska schon kannte.

Es kam auch so zum Vorschein. Der Jäger sagte:

Da Sie selbst darauf kommen ... will ich auch nicht zurückhalten ....

Sprecht offen! sagte Dankmar. Wir sind gute Freunde ....

Drum thut mir's leid, daß Sie mit dem ...

Also der Rothhaarige, der mit mir hier auf dem Gelben Hirsch ...

Der Buschklepper, den ich seitdem hier und da herumspuken sehe ... Gestern Nacht hatt' ich mich bei den Holzschlägern verspätet. Die Leute müssen bis in die helle[606] Mondnacht schlagen, um nur für die Nimmersatts da unterm Äpfelbaum aus unsern jungen Pflanzungen, die sich kaum erholen können, Silber zu münzen.

Sprechen Sie leiser!

Ach was! Sie können's hören! Mit der Frau Wirthschaftsräthin, Herr, können Sie doch nicht unter einer Decke stecken ....

Nein! Heunisch, und wenn's eine seidene wäre! sagte Dankmar lachend und gespannt.

Nun ja! Es mochte gestern schon stark nach zehn Uhr sein, als ich meinen rothen Burschen über die Wiese streifen sah, die vom Plessener Thurm her, hinterm Gebüsch um den Schloßberg, in den Wald führt. Er rannte mehr als er ging.

Mein rother Begleiter?

Ich denke wol! Ich stelle mich hinter einen Baum, um ihn besser zu beobachten. Er sieht sich überall um, und Jeder hätte geschworen, der Kerl hat ein böses Gewissen. Endlich ging er langsamer, ich ihm nach. So mocht' ich eine halbe Stunde hinter ihm geschlichen sein, als ich sehe, daß Dies der Weg zum schwarzen Kreuz ist, wo mein Nantchen vom Felsen glitt. Es ist ein gespenstiger Ort, fast wie eine Kirche bei Nacht. Rings über dem Wildbach stehen gerade hier rundum alte Bäume und uralte Felsensteine und sehen so zackig und knorrig in die Flut hinunter, daß ich mir schon manchmal gedacht habe, wenn die alten Äste einmal lebendig würden und husch! wie Schlangen durcheinander führen und dich einmal packten, Heunisch![607]

Ihr habt Phantasie, Heunisch!

Es preßt mir immer die Kehle, wenn ich an den Ort komme und das Kreuz so ernst, gerade als ob es reden wollte, da oben steht und mir vorwirft, daß ich am Ende das Riekchen hier doch lieber gehabt hätte, weil ich immer auf dem Gelben Hirsch bin ....

Ihr seid zu gewissenhaft, Heunisch! Nantchen von der Sägemühle freut sich im Grabe, wenn Ihr getröstet seid.

Da bin ich denn umgekehrt und hab' den Schelm aus dem Gesicht verloren. Nun hab ich's aber der Ursula erzählt ... wissen Sie, was Die sagte?

Ich bin begierig ...

Es ist zum Lachen, fuhr Heunisch fort; das schwachsinnige alte Weib ließ sich nicht ausreden, daß sie ihren Bruder gesehen hätte. Es ist ja Fritze aus Amerika, sagte sie, der uns das Katzengold gebracht hat und sieh Einer nur nach, unten, im Bach, wo Schön Nantchen stolperte, da liegt noch weit mehr von dem Dreck. Geh hin, Heunisch, da liegt ein ganzer Schatz! Ja Schatz! Mein Schätzchen liegt da! sagt' ich aus Spaß und doch betrübt; mein Schätzel war hübsch, aber reich war sie nicht, Urschel! Da schwieg sie und meinte blos: Laß den Fritze nicht hereinkommen, Heunisch! Wir haben nichts mehr für ihn hier zu suchen, es ist Alles fort, Alles fort. Es braucht auch keinen Tischler zu schicken, um nachzufragen, ob wir nicht den Sarg bestellen wollten. Laß ihn aber auch gehen! Wer auf Geister schießt, trifft sich. Damit war sie wieder vergnügt und ging in die Küche und richtete ein gutes Essen an.[608]

Wetter, sagte Dankmar, Das wiederholt noch einmal, Heunisch: Wer auf Geister schießt, trifft sich, sagte sie?

Eine alte Regel, Herr, die älter ist, als ...

Der Doctor Lehmann am Rabenstein! Wer auf Geister schießt, trifft sich! Das ist so alt, wie der bethlehemitische Kindermord und die Aussetzung Mosis am Wasser und die Inquisition und die Censur.

Ja, ja! lachte Heunisch. Im Walde lernt man sein Bischen schwarze Kunst. Wer auf Geister schießt, trifft sich!

Dankmar überlegte. Er sahe, daß sich Egon's Erzählung von der bösen Aufnahme, die er im Forsthause fand, nun zusammenschloß mit Dem, was er hier von Heunisch vernahm. Er wollte aber noch genauer forschen. Ohne ihm Etwas von dem Gefangenen im Thurm zu sagen, kam er auf den Tischler zurück und fragte Heunischen, was die Alte mit dem Tischler gewollt hätte?

Heunisch erzählte ihm dann Alles, was Dankmar, freilich in anderer Auffassung, schon wußte und bemerkte auch ganz richtig, daß Dies ohne Zweifel jener junge schöne Handwerker gewesen wäre, den er hier mit im Gelben Hirsch gesehen hätte.

Freilich! freilich! sagte Dankmar. Der war's. Wußte sie nicht mehr von ihm zu sagen?

Heunisch, seine drängendere Neugier nicht bemerkend, sagte ganz ruhig:

Sie hatte genug, als er von sich als einem Tischler sprach. Denn ihre Furcht vorm Tode ist eine Schande. Sie wird auch aus purer Todesfurcht steinalt und überlebt[609] mich zehn mal. Ich hatte meinen Spaß mit ihr und sagte: Urschel, Urschel, der Tischler hat ja nur vorläufig 's Maß nehmen wollen! Da schluchzte sie, fiel wieder in eine andere Narrheit und meinte: So groß wie seine Mutter brauch' ich's nicht.

So groß wie seine Mutter? fragte Dankmar erstaunt. Wessen Mutter meinte sie?

Das kann ich nicht sagen, Herr, sprach Heunisch; man muß auch Nichts drin suchen. Die halb Verrückten und Geisterseher haben's immer mit zweierlei Menschen zu thun, mit Kindern und mit Müttern. Bei ihrem gespenstischen Bruder kommt sie immer gleich auf Kinder, die er wol kann hinterlassen haben, und beim Tischler kam sie gleich auf seine Mutter. Der frühere Pfarrer in Plessen – wie hieß er doch –

Rudhard, ergänzte Dankmar.

Ei sieh, woher wissen Sie Das? fragte Heunisch erstaunt, Rudhard ... Richtig! Ganz richtig! Das war ein anderer als der jetzige, der erst ein Augenzwinkerer war und nun ein Schwätzer ist. Der Rudhard sagte einmal: Im Menschen wäre Alles, was auf eine Mutter und auf ein Kind ginge, ein göttliches Geheimniß. Ich hab's deutlich behalten, weil's die erste Predigt war, die ich in Plessen hörte, und ich kann Ihnen wol im Vertrauen sagen, die letzte seit meiner Confirmationszeit. Der Mann sagte auch: Daß ein Kind Kind sein könne und eine Mutter Mutter sein könne, Das wäre so schwer zu begreifen, wie Gottes Wesen selbst und drum haben's auch, wie ich an[610] der Urschel sehe, die Hexen und die Teufel immer mit Kindern und mit Müttern. Das muß wol der Eingang in die Hölle sein.

Oder der in den Himmel, Heunisch! sagte Dankmar und schüttelte ihm nun wie zum Abschied die Hand. Ja, ja! In den Himmel! setzte er hinzu. Haltet noch eine Weile unter diesen Menschen aus, die Eurer nicht würdig sind, bis die Fränz kommt, die besser, tugendhafter sein wird, als sie der Hallunk, von dem Ihr mir leider zu wenig erzählt habt, Euch darstellte.

Heunisch hielt Dankmarn und sah ihn treuherzig mit seinen männlichen Zügen ohne Falsch und einem guten sorglosen Auge an.

Nicht wahr? Das meinen Sie auch? sagte er bewegt; und nun, bester Herr, wir sind uns immer so angenehm begegnet; wenn ich einmal in die große Stadt dahinunter komme und Sie mir erlauben wollen, wieder mit Ihnen ein Bischen zu plaudern ...

Er zögerte, sein Anliegen auszusprechen.

Offenbar wollt' er Dankmar's Namen wissen und Dieser, nach der ihm einwohnenden offenen Weise, unbekümmert über die möglichen Folgen, hielt es für seine Pflicht, dem Ehrlichen gegenüber ehrlich zu sein und sagte:

Ich heiße Dankmar Wildungen, bin ein Referendar beim Gericht. Wenn Sie den Namen behalten, finden Sie mich wol auf oder fragen Sie nur bei dem Gericht. Dankmar ...[611]

Dankmar Wildungen! wiederholte Heunisch langsam und nachdenkend, als wollt' er sich den Namen des ihm so liebgewordenen jungen Mannes recht einprägen.

Dabei hielt er aber noch immer Dankmar's Hand fest ....

Und als dieser die Wagen vorfahren hörte und sich ihm nun langsam entziehen wollte, brach Heunisch gerade mit Etwas hervor, was er noch auf dem Herzen gehabt hatte und was auch vielleicht die Ursache seiner großen Offenherzigkeit gewesen war ....

Und wenn nun, sagte er fast schlau lächelnd, wenn nun die Zeck's nächsten Sonntag bei mir zu Hirsebrei in Milch und einem Rehbock oder was sonst die Urschel und meine Flinte bescheren wird, kommen und Rath schlagen, wo sie mit den vierhundert Friedrichsdoren – denn so viel sind's – hin sollen und Heunisch auch ein Wort mitsprechen möchte: Was rathen Sie mir da wol? Wo legt man nun solch Geld jetzt am besten an?

Aha! dachte Dankmar bei sich. Nun kommt der Schlüssel zu all den offenbarten Geheimnissen ... Wie schlau ist mein Waldsohn!

Nur nicht in Staatspapieren! war seine rasche Antwort.

Sagte mit heute der Amerikaner auch, meinte Heunisch.

Der Amerikaner? Heute? Haben Sie ihn denn wiedergesehen?

Vor einer Stunde! Er muß des Weges kommen.

Hierher?[612]

Dankmar war ergriffen von Freude und fast mußte er sich sagen, von Schreck. Dieser Fremde und sein holder Sohn hatten sich ihm eingeprägt wie eine Mahnung immer nur an sein edelstes Selbst. Sie waren sein Gewissen geworden. Und so erschrak er fast über die Möglichkeit, daß dieser Fremde, mit dem schlichten Namen Ackermann, plötzlich von den Abenteuern Einsicht bekommen könnte, in die er sich hier verwickelt hatte ...

Der Jäger erzählte ihm, daß er auf seinem kürzern Wege, den er von Plessen eingeschlagen hätte, Ackermann mit seinem Sohne begegnet wäre und wenn ihm Recht wäre, sähe er sie dort – damit zeigte er auf einen Weg, der sich hinter dem Gasthause heraufzog – in dem kleinen Wägelchen schon herkommen –

Dankmar blickte hinüber.

Ackermann und Selmar saßen in einem leichten Wagen und grüßten ihn schon von ferne ... Da aber stand auch schon Lasally mit dem Rosse neben ihm, das er besteigen sollte. Die ganze Gesellschaft drängte, die Wagen fuhren durcheinander, die Pferde stampften, die Bedienten riefen, Heunisch trat zurück und lüftete die Mütze und Dankmar, der nicht mehr wußte, wohin er hören und was Alles sehen sollte, verlor fast die Besinnung ...

Euer Geschäft, sagte er zu Heunisch, indem er fast mechanisch auf sein Roß stieg, also Euer Geschäft, bester Freund ... Ich will Euch sagen, rief er ganz laut, kommt in die Residenz und fragt beim Prinzen Egon, Euerm Herrn. Oder schreibt! Bei uns sollt Ihr die beste Auskunft[613] finden! Ich bin für Grundbesitz oder Industrie und Das hättet Ihr ja in Plessen oder bei Hohenberg gleich in der Nähe, um immer Euer Auge in die Benutzung des Geldes einsehen zu lassen. Wer weiß, was man jetzt in Hohenberg nicht Alles für Mittel brauchen kann. Euer Herr gibt Euch die besten Hypotheken! Also kommt nur zu mir! Beide gehen wir dann zum Prinzen Egon! Oder es macht sich Alles schriftlich, wie Ihr wollt!

Damit saß Dankmar im Sattel. Heunisch trat dankend und fast erschrocken, daß man so laut von dem Gelde gesprochen, zurück. Einige Wagen fuhren ab. Dankmar's Gaul folgte mechanisch dem stattlichern Renner Lasally's. Dankmar wandte sich um. Selmar grüßte noch immer und Ackermann nickte freundlich. Zur Erwiderung zog er sein Taschentuch und schwenkte es in der Luft hin und her, zog auch seinen Hut und ließ die winkende Hand Das sagen, was sein Mund in die weite Entfernung nicht mehr hinübertragen konnte.

Nun ließ er dem Pferd die Zügel schießen und sprengte der übrigen Gesellschaft nach, die an ihm schon vorüberfuhr.[614]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 598-615.
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