Funfzehntes Capitel
Die »Gesellschaft« und die »kleinen Cirkel«

[688] Auf dem Throne des Staates, in dessen Residenz wir uns befinden, sitzt ein erst kürzlich an die Regierung gekommenes junges Herrscherpaar. Der frühere Monarch, ausgezeichnet durch hohe Tugenden der Mäßigung und Gerechtigkeit, hatte gewissermaßen die Zügel der Geistesrichtungen seines Landes sich selbst überlassen und dadurch möglich gemacht, daß sich in der Familie und Gesellschaft ein von ihm selbst völlig verschiedenes Wesen entwickelte, eine gewisse ihn selbst völlig ignorirende Genialität oder Starkgeistigkeit, wie man diese leichte Auffassung der Sitten und Überlieferungen im Gegensatz zu einer auf der andern Seite überwuchernden Bigotterie nennen konnte.

In dieser Zeit hatte Pauline von Harder geglänzt. Es war die Zeit gewesen, wo sie zwar den Ansprüchen ihrer damals noch sehr anziehenden Gestalt, den Ansprüchen der schönen Reste einer jugendlichen Epoche noch keineswegs entsagt hatte, aber doch schon nach mancherlei Unterstützungen des Einflusses greifen mußte, den sie[688] auf die Gesellschaft ausüben wollte. Sie war lange zweifelhaft, ob sie, um bedeutend zu bleiben und zu erscheinen, mit den Empfindsamen gehen sollte. Sie sahe, daß diese Partei großen Einfluß hatte und auf den nicht mehr verheiratheten greisen Landesfürsten Alles vermochte. Doch war die Maschine des Staats damals so einfach, der Gang der Geschäfte so trocken, die Politik so wenig anregend, daß es für guten Ton galt, sich nicht um das Öffentliche zu bekümmern und lieber für Italien, die Kunst, die Literatur, die Dichter, die Virtuosen und die starken Gefühle zu schwärmen, als für die Welt und ihre nächsten Aufgaben. Pauline schlug sich zur fröhlichen Partei, zu Denen, die sogar am Schmerz eine eigene Freude hatten, durch unverstandene Stimmungen sich verständlich machten und in der Zerrissenheit ihre wahre Einheit fanden. Sie hatte früher gemalt. Da aber die Malerei nicht aufregt und im Gegentheil große Ruhe bedingt, so ergriff sie die Feder und warf in zwei Romanen, Amarantha und Nadasdi, eine Menge jener vulkanischen Stoffe aus sich heraus, die sie, wie so viele andere weibliche Naturen damaliger Zeit, so auch in sich vorgefunden haben wollte. Amarantha galt für ein Bild aus der Wirklichkeit und wurde reißend gelesen. In der That hatte Pauline hier Alles zusammengerafft, was sie nur, ohne zu auffallend indiscret zu erscheinen, von gestörten Eheverhältnissen, unverstandenen Seelenleiden, zerrissenen Freundschaften in der höhern Gesellschaft beobachtet hatte. Sie hatte einige Gräfinnen, Baronessen,[689] Fürstinnen in Conflicte ihrer nächsten Herzensinteressen gebracht und dabei die jungen Offiziere und Legationssecretaire die Rollen spielen lassen, die in alten Zeiten die St. – Preuxs, die Werthers oder Roquairols spielten. Amarantha war die Heldin dieser Abenteuer, eine eitle aus einer Hand in die andere fliegende und für jede neue Liaison und jede alte »Rupture« immer die triftigsten Gründe anführende Coquette, die zuletzt, da sie Niemanden mehr gewinnen kann, fromm wird, ins Kloster geht und dort einige komische Wunder thut. Das Ganze war mit Bosheit geschrieben und deshalb gewiß nicht ohne Unterhaltung, denn leider gehört die Malice jetzt auch zu den Musen; Apollo würde sie in unserm Jahrhundert als die zehnte seines Bundes nicht zurückweisen dürfen. Die Malice erfindet, schafft, sie »macht«. Eine Zeitlang wenigstens dauern ihre Werke. Eine Zeitlang fesseln, unterhalten sie, dann zerstiebt ihre Composition und diese zehnte Muse, die eben noch wie ein leichtes duftgewobenes Traumbild lächelnd vorüberschwebte, verwandelt sich in ein garstiges altes Hexenweib, mit Krallen an den Fingern und einem giftschäumenden Mund voll unheimlicher Zähne ...

Nach der Dame »Tausendschön«, d.h. Amarantha, sollte der Roman »Nadasdi« eine eigene Erfindung der Geheimräthin vorstellen. Doch machte sie mit diesem jungen Magyaren Nadasdi ein klägliches Fiasko. Kein Mensch mochte ihn lesen, so langweilig war die Geschichte eines schwärmerischen und sentimentalen ungarischen Husarenoffiziers,[690] der in ihrem Roman sechsmal über Briefe, die er erhält, in Ohnmacht fiel. Man brachte in diesem selben Strudel, genannt die »Gesellschaft«, das Wort auf, wenn man sich langweilte, zu sagen: Ich nadasdisire mich. Man ließ z.B. in einem öffentlichen Blatte das Zeugniß eines Briefträgers abdrucken, der erklärte, Nadasdi wäre beim Empfange seiner Briefe niemals ohnmächtig geworden, sondern hätte regelmäßig sein Porto bezahlt, ohne die Adresse zu lesen, sich auf sein Kanapee niedergestreckt, türkischen Taback gekaut und seine Lieblingsbeschäftigung ergriffen, zu schlafen, was schon damals seine Kameraden nadasdisiren genannt hätten .... O, an erfinderischer Bosheit fehlt es in der Gesellschaft für Den gar nicht, der sich in ihr zu weit hervorwagt, mehr Geist als ein Anderer haben will und dann einmal einen Unfall erlebt! Ein Kleiderhändler mußte sogar in den Zeitungen Nadasdi – Schlafröcke ankündigen, wo nicht nur auf das Langweilige dieses Buches im Allgemeinen, sondern auch auf die Beschreibung eines Phantasie – Schlafrocks ihres Helden angespielt war, dem die unglückliche Dichterin mehr als drei volle Druckseiten ihres Werks gewidmet hatte.

Pauline gab nach dieser Demüthigung die literarische Laufbahn auf und befleißigte sich einer neuen »Läuterung«. Sie nannte nämlich die Metamorphosen ihrer Beschäftigung »Läuterungen«. Sie wollte alle Schlacken unreiner Empfindungen, wie sie in der Vorrede zu Amarantha und Nadasdi gesagt hatte, von sich werfen und[691] sich in einen reinern Äther tauchen. Ist Dinte ein reinerer Äther? hatte zu ihr einmal der Baron Otto von Dystra, der berühmte Reisende, gesagt. Zwar erwiderte sie diesem Sonderling, dem eben eine schwarze Sklavin gestorben war, die er sich aus Afrika mitgebracht hatte, sie hätte gehofft, allmälig so oft in diesem Äther zu baden, bis sie seinem Geschmacke entsprechen würde ... allein ihre »Läuterungen« wurden ebenso verspottet, wie Nadasdi, dessen Schlafrock und seine Ohnmachten.

Unentschlossen, wohin sie sich in ihrer Rathlosigkeit wenden sollte, überraschte sie und alle Welt der Thronwechsel .... Ein junger Herrscher ergriff das Scepter anfangs mit schüchternen Händen, als er aber eine junge liebenswürdige Gattin gefunden hatte und mit ihr einen sehr gewählten Beirath vom Hofe seiner Schwiegerältern, als Mitgift, wie man spottete, erhielt, trat er sicherer und selbständiger auf. Anfangs war nichts so sehr aus der Mode als das junge Königspaar. Man beachtete es kaum. Man bespöttelte seine Neigungen und erklärte beide Theile für beschränkt. In kurzem aber wendete sich das Blatt. Das Herrscherpaar wurde Mode. Seine Gesinnung fing an den Ton anzugeben. Alles richtete sich nach der neuen Sonne, der es wirklich, so hoch sie stand, zwei Jahre mühseligen Ringens gekostet hatte, durch die Wolken der »Gesellschaft« hindurchzudringen.

Plötzlich kam nun das Einfache, »Seelenvolle«, Bescheidene, Beschränkte, Häusliche in die Mode. Das »Geniale« wurde verabschiedet. Man las gerade nicht fromme oder[692] frömmelnde Schriften, aber man las unschuldige, reine, seelenläuternde, naive. Die frivolen Sittengemälde der großen Welt wurden ignorirt. Man »portirte« sich für das Einfache, Naive, Ländliche. Pauline, noch niedergedrückt von ihrem Nadasdi, sah aus einer gewissen Einsamkeit, in der sie sich nach ihrem Falle hielt, dieser Wendung der Dinge mit Ruhe zu. Sie wollte anfangs dieser neuen Mode nicht folgen. Sie hatte manche »Läuterung« durchgemacht; aber bis zur Beschränktheit, sagte sie öffentlich, beschränk' ich mich nicht. Sie wollte jetzt Reisen machen und als Touristin wirken, worin schon andere schriftstellernde Damen soviel Muthiges und Leserliches geleistet hatten. Da brachen jedoch die großen politischen Umwälzungen aus. Das Reisen wurde unmöglich. Sie blieb daheim und gerieth in die große Strömung des Tages. Einen Augenblick schwankte sie, ob sie abwarten sollte, woher der Wind käme und wohin er fahren würde. Sie fand die Heldengröße der Charlotte Corday ihr nicht ebenbürtig, aber die Roland, die hatte der »Gesellschaft« angehört, die Roland war groß in der Gironde gewesen, und sie versuchte es etwas mit der Demokratie. Sie kam aber glücklicherweise zu spät. Die Demokratie hatte schon ausgespielt und kurz vor Thoresschluß konnte sie Niemanden mehr compromittiren. Die sogenannte Reaction gab Paulinen nun Gelegenheit, viel verschlagener zu wirken und mit geringerm Einsatze persönlicher Gefahr. Wie früher nichts unmodischer war, als sich um das junge Fürstenpaar und seine kleinen Theezirkel zu[693] kümmern, so wurde jetzt gerade der Cultus der Anbetung des Monarchen zu einer Leidenschaft ganzer Stände. Pauline, am Bestande der Monarchie in der That doch auch durch ihren zweiten Gemahl interessirt, durch ihren Gemahl, der ihr jetzt plötzlich werthvoll und rücksichtswürdig erschien, Pauline warf sich nun endlich fast über Hals und Kopf in das neue Element und leistete in dem Systeme der unbedingten loyalen Hingebung und der conservativen Huldigung weit, weit mehr, als sich von der Gattin eines Hofbeamten von selbst verstand. Sie war eine Hauptanstifterin contrerevolutionairer Schläge, sie half den Reubund begründen, sie wühlte bei den Wahlen mit beispiellosen Umtrieben, sie organisirte im Großen die Brotlosigkeit aller der Kaufleute und Handwerker, die nicht unbedingt so wählten und stimmten, wie die Vornehmen und Beamten es verlangten ....

Alles Das konnte jedoch nicht genügen, einen so unerschöpflichen Ehrgeiz ganz zu befriedigen. Pauline erkannte plötzlich, daß sie da doch im Grunde nur Das that, was jetzt Jeder that, den sein in dieser Weise aufgefaßtes Pflichtgefühl trieb und spornte. Himmel! sagte sie sich eines Tages, was ich da Alles jetzt treibe, was ist denn das anders bei Hofe als meine Schuldigkeit! Wozu nützt mir denn Das? Hebt mich, fördert mich Das? Welche Belohnung hab' ich denn davon? Pauline dachte in zu großartigem Stile, als daß ihr dabei eine gemeine Anerkennung äußerer Form und äußern Erfolgs hätte einfallen können. Sie hatte vielmehr nur ihre »Stellung«, ihre gesellschaftliche[694] Bedeutung im Auge. Stand sie jetzt den Ereignissen nahe? Lenkte, leitete sie die hohe Politik?

Als sie in dem Gartensalon so verzweifelt auf – und abging und die leichten Trostgründe und Zureden der alten muthigern Charlotte Ludmer nicht hören wollte, wurde gerade die junge Flottwitz gemeldet, in dringenden Reubundsangelegenheiten; man wollte weibliche Arbeiten für verwundete Krieger verkaufen, die Ordnerinnen des weiblichen Reubundes sollten selbst vor den Verkaufsbuden zierlich gekleidet stehen und Käufer in einen Saal locken, über dessen Wahl die Flottwitz eben Raths erholen wollte ....

Nein, nein! sagte Pauline. Ich bin nicht zu Hause.

Die Flottwitz wurde abgewiesen ...

Was soll ich mich, rief Pauline erregt aus, was soll ich mich ferner mit diesen albernen Dingen quälen! Mögen Das die Frauen der Offiziere, die Weiber der Beamten und die Verwandten der Hoflieferanten betreiben! Bin ich dazu da, in der Masse unterzugehen? Hab' ich für all meine monatlange Hingebung auch nur ein Wort der Anerkennung von oben her erhalten? Sie thun ja dort, als verstände sich Das von selbst. Sie halten es ja für eine gemeine Pflicht, die uns Allen mahnend und schwer genug aufliege und wo wir unsern Dank darin finden sollten, daß man ja nicht selbst guillotinirt wird und noch seinen Adel behält! Nein! Ich habe diese Demonstrationen satt. Die Flottwitz ist entweder eine Närrin, und dann pass' ich nicht für sie. Oder sie ist eine durchtriebene Coquette und[695] weiß, wie schmachtend ihr diese Schwärmerei steht, dann pass' ich wieder nicht für sie; denn dieser äußerlichen eitlen Art, sich in die Öffentlichkeit zu stellen, hab' ich längst entsagen müssen. Selbst die Trompetta hat den richtigen Instinct gehabt, sich von Dem, was große und massenhafte Demonstration ist, zurückzuziehen und sich ganz auf Mission und Ähnliches zu beschränken. Sie hat wieder ihre alte kleine Industrie hervorgesucht, wählt sich kleine bescheidene Zwecke, die sie allein vertritt, läuft, rennt, bettelt, macht sich lächerlich, überall, und doch wird sie's erreichen, daß man drei Tage lang, wenn es erscheint, von ihrem Gethsemane spricht und daß sie die Ehre hat, in den kleinen Cirkeln des Hofes einen halben Abend lang besprochen zu werden, vielleicht es gar selbst den Herrschaften vorzulegen. Ah! Meine Schwester! Meine Schwester! Ah! Die weiß, wie man jetzt wirkt! Die lebt zurückgezogen, eine Einsiedlerin! Sie stickt, sie strickt, sie liest Pascal und Fénélon, sie musicirt Bach und Händel und ich schwöre, die Königin hat förmlich ein Gelüst, sie einmal bei ihrer Windharfe zu sehen und wäre glücklich, sie in dem alten Tannenparke von Tempelheide sprechen zu dürfen!

Die Schwester Paulinens ist, wie wir wissen, Anna von Harder .... Beide, geborene Freiinnen von Marschalk, leben schon seit Jahren in gespannten Verhältnissen. Es ist Dies um so auffallender, als auch Beide gegenseitige Schwägerinnen sind: sie heiratheten, freilich zu verschiedenen Zeiten, zwei Brüder. Dennoch fand keine Beziehung[696] zwischen ihnen statt. Ob Anna von Harder wirklich so ein edles Wesen war, wie man nach der einstimmigen Verehrung Derer, die bisher von ihr sprachen, schließen sollte, müssen wir der künftigen Erzählung überlassen. Man kann nicht sagen, daß sich die Schwestern haßten. Sie lebten nur nicht füreinander, sie hielten sich gegenseitig für todt, und Anna von Harder pflegte, wenn man sie darum fragte, seufzend und tief erschüttert hinzuzufügen:

O! Wir haben Ursache dazu! ...

Paulinens Ehrgeiz war jetzt der, in einer merkwürdig aufgeregten, alle geistigen Kräfte in Anspruch nehmenden Zeit von Wirkung und wahrem Einflusse zu sein. Andern und immer nur Andern die Wege ihrer Interessen zu bahnen, wurde ihr nachgerade zum Überdruß. Sie war viel genannt, viel gerühmt, aber auch viel geschmäht worden für Das, was sie kürzlich zu Gunsten der reinen Monarchie eingesetzt hatte. Und dennoch stand sie der eigentlichen Quelle der Ereignisse fern! Sie hatte auf allerhöchste Anerkennung, Theilnahme an den innern Vorgängen der Politik gehofft und nichts an jener Stelle gefunden, wo allein die Ereignisse bestimmt wurden, nichts als einen kalten Dank für ihre warme Hingebung an die »gute Sache«. Das war ihr denn doch zu wenig. Die Ministerien wechselten, die Kammern, kaum zusammengetreten, wurden wieder aufgelöst, da war nichts zu erfahren, nichts zu eröffnen, nicht einmal ein Salon von Notabilitäten .... Die alten geistigen Namen, die sie sonst fast jeden Abend bei sich versammelt hatte, waren erbleichte[697] Sterne. Maler, Bildhauer, Dichter, Gelehrte – wer fragte nach ihnen in einer Zeit, wo nur Stimmen und nur Stimmen – Stimmen haben! ... Sie hatte sie auch nicht mehr einladen lassen, die großen Männer von ehemals. Wer sprach von ihnen? Wer bewunderte ein Gedicht, wer ein Bild, wer eine astronomische Entdeckung? Arme Begrabene! Von den Todten konntet ihr nur auferstehen, wenn ihr die Raserei der politischen Mänaden mitmachtet und in den Demonstrationen des patriotischen Clubs eure Wiedergeburt feiertet! Armseliger Anblick eines mit Orden geschmückten berühmten Forschers der Wissenschaft ... im patriotischen Club lärmend, polternd, erhitzt neben einem Hoflieferanten, der sich durch den gemeinen Muth, die ausübende Polizei zu unterstützen, ausgezeichnet hatte, neben kleinen, leidenschaftlichen Geistern des Bureaus und der Kaserne, deren ganze Weisheit im Tumulte des patriotischen Zornfeuers aufprasselte! ... Dann kamen die Deputirten an die Reihe der Gunst, Menschen ... welchen die Zeit eine Bedeutung gab. Nur Wenige behielten sie, wenn sie nach dem Puppenspiele wieder in den Kasten der Verborgenheit zurückgelegt wurden .... In dieser Sphäre fühlte wol Pauline den Puls der Begebenheiten schlagen, aber dicht am Herzen wollte sie sein, da, von woher alle Arterien lebenskräftig strömten. Und dies Herz war nicht einmal in den Ministerien zu suchen, sondern es schlug nur Abends zwischen acht und zwölf Uhr in den sogenannten »kleinen Cirkeln«, die sich um das junge Herrscherpaar versammeln durften.[698]

Die kleinen Cirkel waren nicht nur die größte Auszeichnung des Hofes, sondern auch ein Beweis seines intimsten Vertrauens. Hier trat nur ein, wer der königlichen Familie die Bürgschaft der tiefsten Erkenntniß der Zeit gab. Die kleinen Cirkel regierten das Land, bestimmten die Richtung der auswärtigen Politik. Hier legten Gesandte ihre Beichte ab, hier las man die Depeschen, die eben mit Kurieren oder dem Telegraphen eingelaufen waren. Hier trugen berühmte Gelehrte, die das besondere Vertrauen genossen, bei einer einfachen Tasse Thee ihre Ansichten über die Zeit vor oder erzählten, was sie auf Reisen neuerdings beobachtet hatten. Die kleinen Cirkel waren der Alpdruck der Ministerien. Selten, daß Einer von den Männern, die die Woge des Augenblicks dem Hofe als Minister zuwarf, hier Zutritt erhielt. Es gehörten dazu Eigenschaften, die nicht in der Kunde des Staats und seiner Verhältnisse allein lagen. Man mußte sozusagen auf den Ton des Herrscherpaars, besonders der jungen Königin, gestimmt sein. Wie Wenige waren Das von den trockenen Bureaukraten, den barschen Kriegern, den verschmitzten Rechtsgelehrten! Und doch fühlten sie Alle, daß in den kleinen Cirkeln die Parole des »Systems« ausgegeben wurde. Manches, was man hier wünschte, scheiterte vielleicht zum ersten male am Widerstande der Minister, zum zweiten male aber nicht mehr. Es gab tausend geheime Fäden, die plötzlich die scheinbar gesichertste Stellung von den kleinen Cirkeln aus umgarnt hatten und sie zum Falle brachten. So allmächtig ist in der Monarchie[699] Das, was von einem Dutzend kluger und treuergebener Menschen – Sklaven als Idee des Fürsten und seiner nächsten Umgebung treu aufgegriffen und mit heiligem Eifer fortgepflanzt wird!

Zu den Theilnehmern der kleinen Cirkel gehörten außer dem General Voland von der Hahnenfeder, den man allgemein sozusagen für einen ideellen Goldmacher und sympathetischen Zauberer hielt, außer einigen gestürzten Staatsmännern des alten Regiments, einigen vielbelesenen, aber urtheilslosen Gelehrten, die man als Nachschlagewörterbücher und Dictionnaires de poche benutzte und wie eine bequeme Lesebibliothek gern immer gleich bei der Hand hatte, mehre Damen: einige fremde Gesandtinnen, einige Frauen vom Hofe, vor allen Dingen die kluge und strenge Oberhofmeisterin Frau Gräfin von Altenwyl. Diese, die frühere Erzieherin der jungen Monarchin, war ihr mit von der Heimat gefolgt ... Pauline von Harder, die Gattin eines der ersten Hofbeamten, die Schwiegertochter des Chefs aller Gerechtigkeit im Lande, eine Marschalk, eine Baronin Ried aus erster Ehe, brannte vor Begier, in diese Cirkel aufgenommen und, wenn Dies nicht, ihnen wenigstens wichtig zu werden. Das konnte sie seit lange um keinen Preis erreichen. Früher, als man das Herrscherpaar in der tonangebenden Gesellschaft umging und für beschränkt erklärte vom Standpunkte der Genialität, früher suchte sie eine Auszeichnung nicht, an der ihr jetzt Alles lag. Sie hätte sie aber auch schon damals nicht gefunden. Es gehörte eben zum[700] Charakter der Bildung, die in den kleinen Cirkeln waltete, die Stoffe, aus denen Erscheinungen wie Pauline von Harder gefügt waren, gerade nicht zu verachten, wol aber zu fürchten, zu vermeiden. Es war ein inneres tiefes Abgeneigtsein, was besonders die junge Monarchin gegen diese Richtung der freien Selbstbestimmung seiner Schicksale und wie die Lieblingswendungen einer schrankenlosen Leidenschaftlichkeit hießen, beherrschte. Der Monarch liebte die Geschäfte und pflegte kleine wissenschaftliche und Sammlerneigungen, seine junge Gattin aber, im Bunde mit der etwas prüden und über den Monarchen mehr wie über seine Gemahlin wachenden Altenwyl, hielten einen großen gewaltigen Schild vor ihn, um nichts an ihn heranzulassen, was irgendwie zu frivol in der Sprache der Zeit redete. Religiöse und sittliche Begriffe waren eben hier in einer sehr starken Steigerung auf eine fast schroffe Höhe getrieben, während wiederum eine gewisse kindliche, fast biblische Auffassung ihres schwierigen Lebensberufs diesem hohen Ehepaare das Gepräge naiver Einfachheit gab. Während der Adel, die Beamten, das Militair wild tobten und rasten, um sich nicht aus althergebrachten Ansprüchen entwurzeln zu lassen, sah das Monarchenpaar dem Kampfe der Zeit mit Schüchternheit zu, rief oft, als wäre ihm hier nur eine Gottesprüfung beschieden, die innere Stimme des Gewissens in sich wach und wäre vielleicht nicht abgeneigt gewesen, gegen ein erträumtes schäferhaftes Arkadien, wo Wohlthun und Liebe der einzige Beruf ihres Lebens[701] hätte sein können, eine Zeitlang vom Throne zu steigen und ihn ... freilich dann auch keinem Nachfolger, sondern immerhin der Republik zu überlassen, bis man eines Tages sie oder ihre Kinder aus dem Arkadien irgend einer Verbannung glorreich wieder zurückberufen würde. Obgleich nun aber ihre Ehe mit Kindern nicht gesegnet war und Prinz Ottokar, ein gewaltiger Kriegesfürst, ihnen folgen sollte, so ließen sie sich doch von diesem zu keinem gefährlichen Entschlusse drängen, sondern wogen mit vieler Sicherheit Das ab, was zur Zeit noch ihnen, nicht ihm gehörte und was sie, nicht er zu verantworten hätten .... Ihre Hauptkraft lag in dem besonnenen Verstande der Altenwyl und einem gewissen mystischen Glauben an die Inspirationen des vielfach angefeindeten und von den strengen Monarchisten sogar gehaßten Generals Voland von der Hahnenfeder.

Für diesen Kreis war Pauline nun eine förmliche Idiosynkrasie. Man wußte zuviel des Zweideutigsten von ihr und ahnte dessen noch mehr, als man wußte oder wissen konnte. Schon eine Frau, die so gewaltig über einen beschränkten Mann, wie den geduldeten Intendanten der Schlösser und Hofgärten, emporragte, war in jenem Kreise anstößig, denn man liebte zwar das weibliche Übergewicht sehr, achtete aber äußerlich doch das schicklich Gleichartige in der Ehe und hielt auf Sitte und Gesetz. Von Verhältnissen, wie sie nicht sein sollten, galten Beispiele sogar schon für gefährlich. Man tadelte Paulinen vielleicht niemals, weil man überhaupt vor fertig ausgesprochenen[702] Urtheilen große Scheu hatte, aber der Trieb der Hinneigung fehlte. Pauline existirte natürlich für den Hof in Allem, was die allgemeineren Rechte der höhern Gesellschaft waren, sie fehlte nie auf der Liste der großen Einladungen, aber sie nahm diese nicht an, weil sie eben für die kleinen Cirkel nicht existirte. Sie besuchte nie eine Cour, nie einen Hofball, nie ein Concert, wozu die leidenschaftliche Musikliebhaberei des Königs oft die Veranlassung gab ... sie wollte nur bei den kleinen Cirkeln sein, und da man sie dort nicht wünschte, so haßte sie eigentlich jene Personen, die es ertragen konnten, sie nicht zu sehen, sie nicht zu kennen! Sie haßte eigentlich in den Personen heimlich sogar dasselbe Princip, dessen Vergötterung sie in ihrer Überstürzung loyaler Demonstrationen öffentlich so angelegentlich betrieben hatte.

Ist es nicht empörend, rief sie nach der Abweisung der Flottwitz, daß ich mich nun zwei Monate lang vergebens angestrengt habe, die Aufmerksamkeit der kleinen Cirkel auch nur obenhin zu erregen? Ich habe Altäre gebaut, haushoch mit Blumen bestreut, habe Weihrauch angezündet, daß der ganze Staat wie eine Kirche nach dem Ambra der Liebe und des Vertrauens duftet und mit alledem hab' ich nur meine »Schuldigkeit« gethan! Was stemmt sich mir entgegen? Bei dem Ankauf des Nachlasses der Hohenberg hofft' ich auf eine Annäherung. Ich fühlte, daß ich Misdeutungen zu vermeiden hatte und Das, was ich besitzen mußte, um nicht neue Qualen zu erleben,[703] nicht selbst ankaufen durfte. Ich bringe Hardern, auch gelegentlich die Trompetta dahin, die Damen am Hofe zu interessiren. Ich erlebe erst, daß aus einer von mir eingeleiteten Idee für mich selbst eine förmliche Demüthigung entsteht. Doch ich dachte: Lobt und preist nur die Fürstin, um die Verfasserin der »Amarantha« zu kränken! Ich habe doch meinen Plan! Allein der alte Feldmarschall in seiner Beschränktheit glaubte wirklich, mein Vorschlag wäre ein Act der Versöhnung, sprach darüber in den kleinen Cirkeln in meinem Interesse und der alte, freilich kindische Graf Franken nahm meine Partie und rühmte schon damals, wie ich von meiner frühern Art ganz abgelassen hätte ... Und doch ... doch! Da schon keine Antwort aus dem Munde der Königin! Nicht ein Wort, nichts, nichts, als ein gnädiges Urtheil über Nadasdi, den sie nicht so schlimm fände, als die Welt sagte. Dafür dann ein freundlicher, die Milde ihres königlichen Herzens rühmender Blick der Altenwyl – es ist mir Alles erzählt worden – und dabei blieb's und weiter sind wir nicht, weiter kommen wir nicht.

Sind das auch alles Berichte, auf die man sich verlassen kann? sagte die kältere Ludmer kopfschüttelnd.

Der alte Graf erzählte ja den Vorfall bei der Werdeck ... Wie kannst du auf die Urtheile dieser wilden Frau hören!

Wild? Weil Sie eine Polin ist, weil sie ein Vaterland hat, das sie liebt, weil sie den Fürsten, alle Könige der Erde haßt ...[704]

Pauline!

Ha, ich fühle die Süßigkeit des Hasses! Ich hasse die Menschen, die sich einbilden unentbehrlich zu sein! Wer gibt Euch denn das Recht, Euch für so unendlich sicher zu halten, Ihr ...

Pauline! Pauline!

Die alte Gefährtin und Freundin schalt ernstlich diesen Ausbruch einer sich sogar den höchsten Personen jetzt feindselig zeigenden Gesinnung. Sie tadelte, daß Pauline von Harder den Major von Werdeck in ihren Cirkeln duldete, einen Offizier der Garde, der für liberal galt, weil seine Gattin, eine geborene Polin, ihn in andern Anschauungen erhielt, als die hier zu Lande in militairischen Kreisen üblich waren ...

Pauline hörte auf nichts mehr. Sie hatte mit ihrem Dolche alle Polster des Mobiliars von Hohenberg durchstochen, alle Schränke, alle Schubläden untersucht und nichts von den Denkwürdigkeiten der Fürstin Amanda, die diese ihr für ihren Tod als Antwort auf »Amarantha« angedroht hatte und obgleich, wie man allgemein sagte, wirklich vorhanden, seit zwei Jahren nicht erschienen waren, gefunden ... sie war unglücklich. Ein Schmerz weckt den andern. Die Last ihrer ganzen Stellung fiel ihr aufs Herz und mit einem Jammer, den die Ludmer nicht mehr trösten konnte, stieß sie Klagen aus, die Derjenige kaum verstehen wird, der so glücklich ist, nicht in der Sphäre der Hofgunst zu leben.

In diesem Augenblicke trat der Bediente Ernst ein.[705]

Es ist dies derselbe kecke Bursch, dessen Art und Weise wir schon vom Thurme in Plessen her kennen.

Er wollte nur einfach berichten, daß endlich Franz mit dem Landau angekommen wäre und sich sogleich melden würde ...

Als er rasch gehen wollte, hielt ihn die Ludmer zurück.

Dageblieben! sagte die Alte schnarrend und mit giftigem Blick. Wir haben nun noch miteinander zu reden.

Ja, sagte die Geheimräthin, aus ihrem Unmuth sich gleichfalls zornig aufraffend; Das haben wir! Warum kommt Franz verspätet?

Warum kommt der Landau nach dem Geheimrath? Was ist das Alles? Was sind gestern Nacht auf der Reise für Dinge vorgefallen? rief die Ludmer schnaubend.

O weh! Jetzt kommt das Examen über den Heidekrug! dachte Ernst und biß die Lippen zusammen.


Ende des zweiten Buches.[706]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 688-707.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Ritter vom Geiste
Die Ritter Vom Geiste (5-6); Roman in Neun Buchern
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun B Chern
Die Ritter Vom Geiste: Roman in 9 B Chern, Volume 1
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun Büchern, Volume 2 (German Edition)
Die Ritter Vom Geiste: Roman in Neun Büchern, Volume 6 (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon