Zweiter Auftritt

[129] Pausanias. Empedokles.


PAUSANIAS.

Du scheinest freudig auferwacht, mein Wanderer.

EMPEDOKLES.

Schon hab ich, lieber, und vergebens nicht

Mich in der neuen Heimat umgesehn.

Die Wildnis ist mir hold, auch dir gefällt,

Die edle Burg,

unser Aetna.

PAUSANIAS.

Sie haben uns verbannt, sie haben dich,

Du Gütiger! geschmäht und glaub es mir,

Unleidlich warst du ihnen langst und innig

In ihre Trümmer schien, in ihre Nacht

Zu helle den Verzweifelten das Licht.[129]

Nun mögen sie vollenden, ungestört

Im uferlosen Sturm, indes den Stern

Die Wolke birgt, ihr Schiff im Kreise treiben.

Das wußt ich wohl, du Göttlicher, an dir

Entweicht der Pfeil, der andre trifft und wirft.

Und ohne Schaden, wie am Zauberstab

Die zahme Schlange, spielt' um dich von je

Die ungetreue Menge, die du zogst,

Die du am Herzen hegtest, liebender!

Nun! laß sie nur! sie mögen ungestalt

Lichtscheu am Boden taumeln, der sie trägt,

Und allbegehrend, allgeängstiget

Sich müde rennen, brennen mag der Brand,

Bis er erlischt – wir wohnen ruhig hier!

EMPEDOKLES.

Ja! ruhig wohnen wir; es öffnen groß

Sich hier vor uns die heilgen Elemente.

Die Mühelosen regen immergleich

In ihrer Kraft sich freudig hier um uns.

An seinen festen Ufern wallt und ruht

Das alte Meer, und das Gebirge steigt

Mit seiner Ströme Klang, es wogt und rauscht

Sein grüner Wald von Tal zu Tal hinunter.

Und oben weilt das Licht, der Aether stillt

Den Geist und das geheimere Verlangen.

Hier wohnen ruhig wir!

PAUSANIAS.

So bleibst du wohl

Auf diesen Höhn, und lebst in deiner Welt,

Ich diene dir und sehe, was uns not ist.[130]

EMPEDOKLES.

Nur weniges ist not, und selber mag

Ich gerne dies von jetzt an mir besorgen.

PAUSANIAS.

Doch lieber! hab ich schon für einiges,

Was du zuerst bedarfst, zuvorgesorgt.

EMPEDOKLES.

Weißt du, was ich bedarf?

PAUSANIAS.

Als wüßt ich nicht,

Womit genügt dem Hochgenügsamen.

Und wie das Leben, das zu lieber Not

Der innigen Natur geworden ist,

Das kleinste dem Vertrauten viel bedeutet.

Indes du gut auf kahler Erde hier

In heißer Sonne schliefst, gedacht ich doch,

Ein weicher Boden, und die kühle Nacht

In einer sichern Halle wäre besser.

Auch sind wir hier, die Allverdächtigen,

Den Wohnungen der andern fast zu nah.

Nicht lange wollt ich ferne sein von dir

Und eilt hinauf und glücklich fand ich bald,

Für dich und mich gebaut, ein ruhig Haus.

Ein tiefer Fels, von Eichen dicht umschirmt,

Dort in der dunkeln Mitte des Gebirgs,

Und nah entspringt ein Quell, es grünt umher

Die Fülle guter Pflanzen, und zum Bett

Ist Überfluß von Laub und Gras bereitet.

Da lassen sie dich ungeschmäht, und tief und still

Ists wenn du sinnst, und wenn du schläfst, um dich,

Ein Heiligtum ist mir mit dir die Grotte.[131]

Komm, siehe selbst, und sage nicht, ich tauge

Dir künftig nicht, wem taugt ich anders denn?

EMPEDOKLES.

Du taugst zu gut.

PAUSANIAS.

Wie könnt ich dies?

EMPEDOKLES.

Auch du

Bist allzutreu, du bist ein töricht Kind.

PAUSANIAS.

Das sagst du wohl, doch klügers weiß ich nicht,

Wie des zu sein, dem ich geboren bin.

EMPEDOKLES.

Wie bist du sicher?

PAUSANIAS.

Warum denn nicht?

Wofür denn hättest du auch einst, da ich,

Der Waise gleich, am heldenarmen Ufer

Mir einen Schutzgott sucht und traurig irrte,

Du Gütiger, die Hände mir gereicht?

Wofür mit irrelosem Auge wärst du

Auf deiner stillen Bahn, du edles Licht

In meiner Dämmerung mir aufgegangen?

Seitdem bin ich ein anderer, und dein

Und näher dir und einsamer mit dir,

Wachst froher nur die Seele mir und freier.

EMPEDOKLES.

O still davon![132]

PAUSANIAS.

Warum? Was ists? wie kann

Ein freundlich Wort dich irren, teurer Mann?

EMPEDOKLES.

Geh! folge mir, und schweig und schone mich

Und rege du nicht auch das Herz mir auf. –

Habt ihr zum Dolche die Erinnerung

Nicht mir gemacht? nun wundern sie sich noch

Und treten vor das Auge mir und fragen.

Nein! du bist ohne Schuld – nur kann ich, Sohn!

Was mir zu nahe kömmt, nicht wohl ertragen.

PAUSANIAS.

Und mich, mich stößest du von dir? o denk an dich,

Sei, der du bist, und siehe mich, und gib,

Was ich nun weniger entbehren kann,

Ein gutes Wort aus reicher Brust mir wieder.

EMPEDOKLES.

Erzähle, was dir wohlgefällt, dir selbst,

Für mich ist, was vorüber ist, nicht mehr.

PAUSANIAS.

Ich weiß es wohl, was dir vorüber ist,

Doch du und ich, wir sind uns ja geblieben.

EMPEDOKLES.

Sprich lieber mir von anderem, mein Sohn!

PAUSANIAS.

Was hab ich sonst?

EMPEDOKLES.

Verstehest du mich auch?

Hinweg! ich hab es dir gesagt und sag[133]

Es dir, es ist nicht schön, daß du dich

So ungefragt mir an die Seele dringest,

An meine Seite stets, als wüßtest du

Nichts anders mehr, mit armer Angst dich hängst.

Du mußt es wissen, dir gehör ich nicht

Und du nicht mir, und deine Pfade sind

Die meinen nicht; mir blüht es anderswo.

Und was ich mein', es ist von heute nicht,

Da ich geboren wurde, wars beschlossen.

Sieh auf und wags! was Eines ist, zerbricht,

Die Liebe stirbt in ihrer Knospe nicht

Und überall in freier Freude teilt

Des Lebens luftger Baum sich auseinander.

Kein zeitlich Bündnis bleibet, wie es ist,

Wir müssen scheiden, Kind! und halte nur

Mein Schicksal mir nicht auf und zaudre nicht.

O sieh! es glänzt der Erde trunknes Bild,

Das göttliche, dir gegenwärtig, Jüngling,

Es rauscht und regt durch alle Lande sich

Und wechselt, jung und leicht, mit frommem Ernst

Der geschäftge Reigentanz, womit den Geist

Die Sterblichen, den alten Vater, feiern.

Da gehe du und wandle taumellos

Und menschlich mit und denk am Abend mein.

Mir aber ziemt die stille Halle, mir

Die hochgelegene, geräumige,

Denn Ruhe brauch ich wohl, zu träge sind,

Zum schnellgeschäftigen Spiel der Sterblichen,

Die Glieder mir und hab ich sonst dabei

Ein feiernd Lied in Jugendlust gesungen,

Zerschlagen ist das zarte Saitenspiel.[134]

O Melodien über mir! es war ein Scherz!

Und kindisch wagt ich sonst euch nachzuahmen,

Ein fühllos leichtes Echo tönt' in mir,

Und unverständlich nach –

Nun hör ich ernster euch, ihr Götterstimmen.

PAUSANIAS.

Ich kenne nimmer dich, nur traurig ist

Mir, was du sagst, doch alles ist ein Rätsel.

Was hab ich auch, was hab ich dir getan,

Daß du mich so, wie dirs gefällt, bekümmerst

Und namenlos dein Herz, des Einen noch,

Des Letzten los zu sein, sich freut und müht.

Das hofft ich nicht, da wir Geächtete

Den Wohnungen der Menschen scheu vorüber

Zusammen wandelten in wilder Nacht,

Und darum, lieber! war ich nicht dabei,

Wenn mit den Tränen dir des Himmels Regen

Vom Angesichte troff, und sah es an,

Wenn lächelnd du das rauhe Sklavenkleid

Mittags an heißer Sonne trocknetest

Auf schattenlosem Sand, wenn du die Spuren

Wohl manche Stunde wie ein wundes Wild

Mit deinem Blute zeichnetest, das auf

Den Felsenpfad von nackter Sohle rann.

Ach! darum ließ ich nicht mein Haus und lud

Des Volkes und des Vaters Fluch mir auf,

Daß du mich, wo du wohnen willst und ruhn,

Wie ein verbraucht Gefäß, bei Seite werfest.

Und willst du weit hinweg? wohin? wohin?

Ich wandre mit, zwar steh ich nicht wie du

Mit Kräften der Natur in trautem Bunde,[135]

Mir steht wie dir Zukünftiges nicht offen,

Doch freudig in der Götter Nacht hinaus

Schwingt seine Fittige mein Sinn, und fürchtet

Noch immer nicht die mächtigeren Blicke.

Ja! wär ich auch ein Schwacher, dennoch wär

Ich, weil ich so dich liebe, stark, wie du.

Beim göttlichen Herakles! stiegst du auch,

Um die Gewaltigen, die drunten sind,

Versöhnend die Titanen heimzusuchen,

Ins bodenlose Tal, vom Gipfel dort,

Und wagtest dich ins Heiligtum des Abgrunds,

Wo duldend vor dem Tage sich das Herz

Der Erde birgt und ihre Schmerzen dir

Die dunkle Mutter sagt, o du der Nacht

Des Aethers Sohn! ich folgte dir hinunter.

EMPEDOKLES.

So bleib!

PAUSANIAS.

Wie meinst du dies?

EMPEDOKLES.

Du gabst

Dich mir, bist mein; so frage nicht!

PAUSANIAS.

Es sei!

EMPEDOKLES.

Und sagst du mirs noch einmal, Sohn, und gibst

Dein Blut und deine Seele mir für immer?

PAUSANIAS.

Als hätt ich so ein loses Wort gesagt

Und zwischen Schlaf und Wachen dirs versprochen?[136]

Unglaubiger! ich sags und wiederhol es:

Auch dies, auch dies, es ist von heute nicht,

Da ich geboren wurde, wars beschlossen.

EMPEDOKLES.

Ich bin nicht, der ich bin, Pausanias,

Und meines Bleibens ist auf Jahre nicht,

Ein Schimmer nur, der bald vorüber muß,

Im Saitenspiel ein Ton –

PAUSANIAS.

So tönen sie,

So schwinden sie zusammen in die Luft!

Und freundlich spricht der Widerhall davon.

Versuche nun mich länger nicht und laß

Und gönne du die Ehre mir, die mein ist!

Hab ich nicht Leid genug, wie du, in mir?

Wie möchtest du mich noch beleidigen!

EMPEDOKLES.

O allesopfernd Herz! und dieser gibt

Schon mir zulieb die goldne Jugend weg!

Und ich! o Erd und Himmel! siehe! noch,

Noch bist du nah, indes die Stunde flieht,

Und blühest mir, du Freude meiner Augen.

Noch ists, wie sonst, ich halt im Arme,

Als wärst du mein, wie meine Beute dich,

Und mich betört der holde Traum noch einmal.

Ja! herrlich wärs, wenn in die Grabesflamme

So Arm in Arm statt Eines Einsamen

Ein festlich Paar am Tagesende ging',

Und gerne nahm ich, was ich hier geliebt,

Wie seine Quellen all ein edler Strom,

Der heilgen Nacht zum Opfertrank, hinunter.[137]

Doch besser ists, wir gehen unsern Pfad

Ein jeder, wie der Gott es ihm beschied.

Unschuldiger ist dies, und schadet nicht.

Und billig ists und recht, daß überall

Des Menschen Sinn sich eigen angehört.

Und dann – es trägt auch leichter seine Bürde

Und sicherer der Mann, wenn er allein ist.

So wachsen ja des Waldes Eichen auch

Und keines kennt, so alt sie sind, das andre.

PAUSANIAS.

Wie du es willst! Ich widerstrebe nicht.

Du sagst es mir und wahr ists wohl und lieb

Ist billig mir dies letzte Wort von dir.

So geh ich denn! und störe deine Ruhe

Dir künftig nicht, auch meinest du es gut,

Daß meinem Sinne nicht die Stille tauge.

EMPEDOKLES.

Doch, lieber, zürnst du nicht?

PAUSANIAS.

Mit dir? Mit dir?

EMPEDOKLES.

Was ist es denn? ja! weißt du nun, wohin?

PAUSANIAS.

Gebiet es mir.

EMPEDOKLES.

Es war mein letzt Gebot,

Pausanias! die Herrschaft ist am Ende.

PAUSANIAS.

Mein Vater! rate mir![138]

EMPEDOKLES.

Wohl manches sollt

Ich sagen, doch verschweig ich dirs,

Es will zum sterblichen Gespräche fast

Und eitlem Wort die Zunge nimmer dienen.

Sieh! liebster! anders ists und leichter bald

Und freier atm' ich auf, und wie der Schnee

Des hohen Aetna dort am Sonnenlichte

Erwarmt und schimmert und zerrinnt, und los

Vom Berge wogt und Iris froher Bogen sich

Der blühende beim Fall der Wogen schwingt,

So rinnt und wogt vom Herzen mir es los,

So hallt es weg, was mir die Zeit gehäuft,

Die Schwere fällt, und fällt, und helle blüht

Das Leben, das ätherische, darüber.

Nun wandre mutig, Sohn, ich geb und küsse

Verheißungen auf deine Stirne dir,

Es dämmert dort Italiens Gebirg,

Das Römerland, das tatenreiche, winkt,

Dort wirst du wohlgedeihn, dort, wo sich froh

Die Männer in der Kämpferbahn begegnen,

O Heldenstädte dort! und du, Tarent!

Ihr brüderlichen Hallen, wo ich oft

Lichttrunken einst mit meinem Plato ging

Und immerneu uns Jünglingen das Jahr

Und jeder Tag erschien in heilger Schule.

Besuch ihn auch, o Sohn, und grüß ihn mir,

Den alten Freund an seiner Heimat Strom,

Am blumigen Ilissus, wo er wohnt.

Und will die Seele dir nicht ruhn, so geh

Und frage sie, die Brüder in Aegyptos.

Dort hörest du das ernste Saitenspiel[139]

Uraniens und seiner Töne Wandel.

Dort öffnen sie das Buch des Schicksals dir.

Geh! fürchte nichts! es kehret alles wieder.

Und was geschehen soll, ist schon vollendet.


Pausanias geht ab.


Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 129-140.
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