[9] Kritias. Hermokrates.
Archon Priester.
HERMOKRATES.
Wer geht dort?
KRITIAS.
Meine Tochter, wie mir dünkt,[9]
Und Delia, des Gastfreunds Tochter, der
In meinem Hause gestern eingekehrt ist.
HERMOKRATES.
Ists Zufall? oder suchen sie ihn auch
Und glauben, wie das Volk, er sei entschwunden?
KRITIAS.
Die wunderbare Sage kam bis itzt wohl nicht
Vor meiner Tochter Ohren. Doch sie hängt
An ihm wie alle: wär er nur hinweg
In Wälder oder Wüsten, übers Meer
Hinüber oder in die Erd hinab – wohin
Ihn treiben mag der unbeschränkte Sinn.
HERMOKRATES.
Mit nichten! Denn sie müßten noch ihn sehn,
Damit der wilde Wahn von ihnen weicht.
KRITIAS.
Wo ist er wohl?
HERMOKRATES.
Nicht fern von hier. Da sitzt
Er seelenlos im Dunkel. Denn es haben
Die Götter seine Kraft von ihm genommen,
Seit jenem Tage, da der trunkne Mann
Vor allem Volk sich einen Gott genannt.
KRITIAS.
Das Volk ist trunken, wie er selber ist.
Sie hören kein Gesetz, und keine Not
Und keinen Richter; die Gebräuche sind
Von unverständlichem Gebrause gleich
Den friedlichen Gestaden überschwemmt.[10]
Ein wildes Fest sind alle Tage worden,
Ein Fest für alle Feste und der Götter
Bescheidne Feiertage haben sich
In eins verloren, allverdunkelnd hüllt
Der Zauberer den Himmel und die Erd
Ins Ungewitter, das er uns gemacht,
Und siehet zu und freut sich seines Geists
In seiner stillen Halle.
HERMOKRATES.
Mächtig war
Die Seele dieses Mannes unter euch.
KRITIAS.
Ich sage dir: sie wissen nichts denn ihn
Und wünschen alles nur von ihm zu haben,
Er soll ihr Gott, er soll ihr König sein.
Ich selber stand in tiefer Scham vor ihm,
Da er vom Tode mir mein Kind gerettet.
Wofür erkennst du ihn, Hermokrates?
HERMOKRATES.
Es haben ihn die Götter sehr geliebt.
Doch nicht ist er der Erste, den sie drauf
Hinab in sinnenlose Nacht verstoßen,
Vom Gipfel ihres gütigen Vertrauns,
Weil er des Unterschieds zu sehr vergaß
Im übergroßen Glück, und sich allein
Nur fühlte; so erging es ihm, er ist
Mit grenzenloser Oede nun gestraft –
Doch ist die letzte Stunde noch für ihn
Nicht da; denn noch erträgt der Langverwöhnte
Die Schmach in seiner Seele nicht, sorg ich[11]
Und sein entschlafner Geist entzündet
Nun neu an seiner Rache sich
Und, halberwacht, ein fürchterlicher Träumer spricht
Er gleich den alten Übermütigen,
Die mit dem Schilfrohr Asien durchwandern,
Durch sein Wort sein die Götter einst geworden.
Dann steht die weite lebensreiche Welt
Wie sein verlornes Eigentum vor ihm,
Und ungeheure Wünsche regen sich
In seiner Brust und wo sie hin sich wirft,
Die Flamme, macht sie eine freie Bahn.
Gesetz und Kunst und Sitt und heilge Sage
Und was vor ihm in guter Zeit gereift
Das stört er auf und Lust und Frieden kann
Er nimmer dulden bei den Lebenden.
Er wird der Friedliche nun nimmer sein.
Wie alles sich verlor, so nimmt
Er Alles wieder, und den Wilden hält
Kein Sterblicher in seinem Toben auf.
KRITIAS.
O Greis! du siehest namenlose Dinge.
Dein Wort ist wahr und wenn es sich erfüllt,
Dann wehe dir, Sicilien, so schön
Du bist mit deinen Hainen, deinen Tempeln.
HERMOKRATES.
Der Spruch der Götter trifft ihn, eh sein Werk
Beginnt. Versammle nur das Volk, damit ich
Das Angesicht des Mannes ihnen zeige,
Von dem sie sagen, daß er aufgeflohn
Zum Aether sei. Sie sollen Zeugen sein
Des Fluches, den ich ihm verkündige,[12]
Und ihn verstoßen in die öde Wildnis,
Damit er nimmerwiederkehrend dort
Die böse Stunde büße, da er sich
Zum Gott gemacht.
KRITIAS.
Doch wenn des schwachen Volks
Der Kühne sich bemeistert, fürchtest du
Für mich und dich und deine Götter nicht?
HERMOKRATES.
Das Wort des Priesters bricht den kühnen Sinn.
KRITIAS.
Und werden sie den Langgeliebten dann,
Wenn schmählich er vom heilgen Fluche leidet,
Aus seinen Gärten, wo er gerne lebt,
Und aus der heimatlichen Stadt vertreiben?
HERMOKRATES.
Wer darf den Sterblichen im Lande dulden,
Den so der wohlverdiente Fluch gezeichnet?
KRITIAS.
Doch wenn du wie ein Lästerer erscheinst
Vor denen, die als einen Gott ihn achten?
HERMOKRATES.
Der Taumel wird sich ändern, wenn sie erst
Mit Augen wieder sehen den sie jetzt schon
Entschwunden in die Götterhöhe wähnen!
Sie haben schon zum Bessern sich gewandt.
Denn trauernd irrten gestern sie hinaus
Und gingen hier umher und sprachen viel
Von ihm, da ich desselben Weges kam.[13]
Drauf sagt ich ihnen, daß ich heute sie
Zu ihm geleiten wollt; indessen soll
In seinem Hause jeder ruhig weilen.
Und darum bat ich dich, mit mir heraus
Zu kommen, daß wir sähen, ob sie mir
Gehorcht. Du findest keinen hier. Nun komm.
KRITIAS.
Hermokrates!
HERMOKRATES.
Was ists?
KRITIAS.
Dort seh ich ihn
Wahrhaftig.
HERMOKRATES.
Laß uns gehen, Kritias!
Daß er in seine Rede nicht uns zieht.
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