Fünfter Auftritt

[23] Empedokles. Pausanias.

Hermokrates. Kritias. Agrigentiner.


HERMOKRATES.

Hier ist der Mann, von dem ihr sagt, er sei

Lebendig zum Olymp empor gegangen.

KRITIAS.

Und traurig sieht er, gleich den Sterblichen.

EMPEDOKLES.

Ihr armen Spötter! ists erfreulich euch,

Wenn einer leidet, der euch groß geschienen?

Und achtet ihr, wie leichterworbnen Raub,

Den Starken, wenn er schwach geworden ist?

Euch reizt die Frucht, die reif zur Erde fällt,

Doch glaubt es mir, nicht alles reift für euch.[23]

EIN AGRIGENTINER.

Was hat er da gesagt?

EMPEDOKLES.

Ich bitt euch, geht,

Besorgt was euer ist, und menget euch

Ins meinige nicht ein –

HERMOKRATES.

Doch hat ein Wort

Der Priester dir dabei zu sagen?

EMPEDOKLES.

Weh!

Ihr reinen Götter! ihr lebendigen!

Muß dieser Heuchler meine Trauer mir

Vergiften? geh! ich schonte ja dich oft,

So ist es billig, daß du meiner schonst.

Du weißt es ja, ich hab es dir bedeutet,

Ich kenne dich und deine schlimme Zunft.

Und lange wars ein Rätsel mir, wie euch

In ihrem Runde duldet die Natur.

Ach! als ich noch ein Knabe war, da mied

Euch Allverderber schon mein frommes Herz,

Das unbestechbar innigliebend hing

An Sonn und Aether und den Boten allen

Der großen ferngeahndeten Natur.

Denn wohl hab ichs gefühlt, in meiner Furcht,

Daß ihr des Herzens freie Götterliebe

Bereden möchtet zu gemeinem Dienst,

Und daß ichs treiben sollte, so wie ihr.

Hinweg! ich kann vor mir den Mann nicht sehn

Der Heiliges wie ein Gewerbe treibt.[24]

Sein Angesicht ist falsch und kalt und tot,

Wie seine Götter sind. Was stehet ihr

Betroffen? gehet nun!

KRITIAS.

Nicht eher bis

Der heilge Fluch die Stirne dir gezeichnet,

Schamloser Lästerer!

HERMOKRATES.

Sei ruhig, Freund!

Ich hab es dir gesagt, es würde wohl

Der Unmut ihn ergreifen. – Mich verschmäht

Der Mann, das hörtet ihr, ihr Bürger

Von Agrigent! und harte Worte mag

Ich nicht mit ihm in wildem Zanke wechseln.

Es ziemt dem Greise nicht. Ihr möget nur

Ihn selber fragen, wer er sei?

EMPEDOKLES.

O laßt!

Ihr seht es ja, es frommet keinem nichts,

Ein blutend Herz zu reizen. Gönnet mirs,

Den Pfad, worauf ich wandle, still zu gehn,

Den heilgen stillen Todespfad hinfort.

Ihr spannt das Opfertier vom Pfluge los

Und nimmer triffts der Stachel seines Treibers.

So schonet meiner auch; entwürdiget

Mein Leiden mir mit böser Rede nicht,

Denn heilig ists; und laßt die Brust mir frei

Von eurer Not; ihr Schmerz gehört den Göttern.

ERSTER AGRIGENTINER.

Was ist es denn, Hermokrates, warum

Der Mann die wunderlichen Worte spricht?[25]

ZWEITER AGRIGENTINER.

Er heißt uns gehn, als scheut' er sich vor uns.

HERMOKRATES.

Was dünket euch? der Sinn ist ihm verfinstert,

Weil er zum Gott sich selbst vor euch gemacht.

Doch weil ihr nimmer meiner Rede glaubt,

So fragt nur ihn darum. Er soll es sagen.

DRITTER AGRIGENTINER.

Wir glauben dir es wohl.

PAUSANIAS.

Ihr glaubt es wohl?

Ihr Unverschämten? – Euer Jupiter

Gefällt euch heute nicht; er siehet trüb;

Der Abgott ist euch unbequem geworden

Und darum glaubt ihrs wohl? Da stehet er

Und trauert und verschweigt den Geist, wonach

In heldenarmer Zeit die Jünglinge

Sich sehnen werden, wenn er nimmer ist,

Und ihr, ihr kriecht und zischet um ihn her,

Ihr dürft es? und ihr seid so sinnengrob,

Daß euch das Auge dieses Manns nicht warnt?

Und weil er sanft ist, wagen sich an ihn

Die Feigen – heilige Natur! wie duldest

Du auch in deinem Runde dies Gewürm? –

Nun sehet ihr mich an, und wisset nicht,

Was zu beginnen ist mit mir; ihr müßt

Den Priester fragen, ihn, der alles weiß.

HERMOKRATES.

O hört, wie euch und mich ins Angesicht

Der freche Knabe schilt? Wie sollt er nicht?[26]

Er darf es, da sein Meister alles darf.

Wer sich das Volk gewonnen, redet, was

Er will; das weiß ich wohl und strebe nicht

Aus eignem Sinn entgegen, weil es noch

Die Götter dulden. Vieles dulden sie

Und schweigen, bis ans Äußerste gerät

Der wilde Mut. Dann aber muß der Frevler

Rücklings hinab ins bodenlose Dunkel.

DRITTER AGRIGENTINER.

Ihr Bürger! ich mag nichts mit diesen Zween

Ins künftige zu schaffen haben.

ERSTER AGRIGENTINER.

Sagt,

Wie kam es denn, daß dieser uns betört?

ZWEITER AGRIGENTINER.

Sie müssen fort, der Jünger und der Meister.

HERMOKRATES.

So ist es Zeit! – Euch fleh ich an, ihr Furchtbarn!

Ihr Rachegötter! – Wolken lenket Zevs

Und Wasserwogen zähmt Posidaon,

Doch euch, ihr Leisewandelnden, euch ist

Zur Herrschaft das Verborgene gegeben

Und wo ein Eigenmächtiger der Wieg

Entsprossen ist, da seid ihr auch, und geht

Indes er üppig auf zum Frevel wächst,

Stillsinnend fort mit ihm, hinunterhorchend

In seine Brust, wo euch den Götterfeind

Die unbesorgt geschwätzige verrät –

Auch den, ihr kanntet ihn, den heimlichen

Verführer, der die Sinne nahm dem Volk[27]

Und mit dem Vaterlandsgesetze spielt',

Und sie, die alten Götter Agrigents

Und ihre Priester niemals achtete,

Und nicht verborgen war vor euch, ihr Furchtbarn!

Solang er schwieg, der ungeheure Sinn;

Er hats vollbracht. Verruchter! wähntest du,

Sie müßtens nachfrohlocken, da du jüngst

Vor ihnen einen Gott dich selbst genannt?

Dann hättest du geherrscht in Agrigent,

Ein einziger allmächtiger Tyrann

Und dein gewesen wäre, dein allein

Das gute Volk und dieses schöne Land.

Sie schwiegen nur; erschrocken standen sie;

Und du erblaßtest, und es lähmte dich

Der böse Gram in deiner dunkeln Halle,

Wo du hinab dem Tageslicht entflohst.

Und kömmst du nun, und gießest über mich

Den Unmut aus, und lästerst unsre Götter?

ERSTER AGRIGENTINER.

Nun ist es klar! er muß gerichtet werden.

KRITIAS.

Ich hab es euch gesagt; ich traute nie

Dem Träumer.

EMPEDOKLES.

O ihr Rasenden!

HERMOKRATES.

Und sprichst

Du noch und ahndest nicht, du hast mit uns

Nichts mehr gemein, ein Fremdling bist du worden,

Und unerkannt bei allen Lebenden.[28]

Die Quelle, die uns tränkt, gebührt dir nicht

Und nicht die Feuerflamme, die uns frommt,

Und was den Sterblichen das Herz erfreut,

Das nehmen die heilgen Rachegötter von dir.

Für dich ist nicht das heitre Licht hier oben,

Nicht dieser Erde Grün und ihre Frucht,

Und ihren Segen gibt die Luft dir nicht,

Wenn deine Brust nach Kühlung seufzt und dürstet.

Es ist umsonst, du kehrest nicht zurück

Zu dem, was unser ist; denn du gehörst

Den Rächenden, den heilgen Todesgöttern.

Und wehe dem, von nun an, wer ein Wort

Von dir in seine Seele freundlich nimmt,

Wer dich begrüßt, und seine Hand dir beut,

Wer einen Trunk am Mittag dir gewährt

Und wer an seinem Tische dich erduldet,

Dir, wenn du nachts an seine Türe kömmst,

Den Schlummer unter seinem Dache schenkt,

Und wenn du stirbst, die Grabesflamme dir

Bereitet, wehe dem, wie dir! – hinaus!

Es dulden die Vaterlandsgötter länger nicht,

Wo ihre Tempel sind, den Allverächter.

AGRIGENTINER.

Hinaus, damit sein Fluch uns nicht beflecke!

PAUSANIAS.

O komm! du gehest nicht allein. Es ehrt

Noch Einer dich, wenns schon verboten ist,

Du Lieber! und du weißt, des Freundes Segen

Ist kräftiger denn dieses Priesters Fluch.

O komm in fernes Land! wir finden dort

Das Licht des Himmels auch, und bitten will ich,[29]

Daß freundlich dirs in deiner Seele scheine.

Im heiter stolzen Griechenlande drüben

Da grünen Hügel auch, und Schatten gönnt

Der Ahorn dir, und milde Lüfte kühlen

Den Wanderern die Brust; und wenn du müd

Vom heißen Tag an fernem Pfade sitzest,

Mit diesen Händen schöpf ich dann den Trunk

Aus frischer Quelle dir und sammle Speisen,

Und Zweige wölb ich über deinem Haupt,

Und Moos und Blätter breit ich dir zum Lager,

Und wenn du schlummerst, so bewach ich dich;

Und muß es sein, bereit ich dir auch wohl

Die Grabesflamme, die sie dir verwehren;

Die Schändlichen!

EMPEDOKLES.

Oh! treues Herz! – Für mich

Ihr Bürger! bitt ich nichts; es sei geschehn!

Ich bitt euch nur um dieses Jünglings willen.

O wendet nicht das Angesicht von mir!

Bin ich es nicht, um den ihr liebend sonst

Euch sammeltet? ihr selber reichtet da

Mir auch die Hände nicht, unziemlich dünkt'

Es euch, zum Freund euch wild heranzudrängen.

Doch schicktet ihr die Knaben, daß sie mir

Die Hände reichten, diese Friedlichen,

Und auf den Schultern brachtet ihr die Kleinern

Und hubt mit euern Armen sie empor –

Bin ich es nicht? und kennt ihr nicht den Mann,

Dem ihr gesagt, ihr könntet, wenn ers wollte,

Von Land zu Land mit ihm, als Bettler gehn,

Und, wenn es möglich wäre, folgtet ihr[30]

Ihm auch hinunter in den Tartarus?

Ihr Kinder! alles wolltet ihr mir schenken

Und zwangt mich töricht oft, von euch zu nehmen,

Was euch das Leben heitert' und erhielt,

Dann gab ich euchs vom Meinigen zurück

Und mehr, denn Eures, achtetet ihr dies.

Nun geh ich fort von euch; versagt mir nicht

Die Eine Bitte: schonet dieses Jünglings!

Er tat euch nichts zu Leid; er liebt mich nur,

Wie ihr mich auch geliebt, und saget selbst,

Ob er nicht edel ist und schön! und wohl

Bedürft ihr künftig seiner, glaubt es mir!

Oft sagt ich euchs: es würde nacht und kalt

Auf Erden und in Not verzehrte sich

Die Seele, sendeten zu Zeiten nicht

Die guten Götter solche Jünglinge,

Der Menschen welkend Leben zu erfrischen.

Und heilig halten, sagt ich, solltet ihr

Die heitern Genien – o schonet sein

Und rufet nicht das Weh! versprecht es mir!

DRITTER AGRIGENTINER.

Hinweg! wir hören nichts von allem, was

Du sagst.

HERMOKRATES.

Dem Knaben muß geschehn, wie ers

Gewollt. Er mag den frechen Mutwill büßen.

Er geht mit dir, und dein Fluch ist der seine.

EMPEDOKLES.

Du schweigest, Kritias! verbirg es nicht,

Dich trifft es auch; du kanntest ihn, nicht wahr,

Die Sünde löschten Ströme nicht von Blut[31]

Der Tier'? Ich bitte, sag es ihnen, Lieber!

Sie sind, wie trunken, sprich ein ruhig Wort,

Damit der Sinn den Armen wiederkehre!

ZWEITER AGRIGENTINER.

Noch schilt er uns? Gedenke deines Fluchs

Und rede nicht und geh! wir möchten sonst

An dich die Hände legen.

KRITIAS.

Wohl gesagt,

Ihr Bürger!

EMPEDOKLES.

So! – und möchtet ihr an mich

Die Hände legen? was? gelüstet es

Bei meinem Leben schon die hungernden

Harpyen? und könnt ihrs nicht erwarten, bis

Der Geist entflohn ist, mir die Leiche zu schänden?

Heran! Zerfleischt und teilet die Beut und es segne

Der Priester euch den Genuß, und seine Vertrauten,

Die Rachegötter lad er zum Mahl! – Dir bangt

Heilloser! kennst du mich? und soll ich dir

Den bösen Scherz verderben, den du treibst?

Bei deinem grauen Haare, Mann! du solltest

Zu Erde werden, denn du bist sogar

Zum Knecht der Furien zu schlecht. O sieh!

So schändlich stehst du da, und durftest doch

An mir zum Meister werden? freilich ists

Ein ärmlich Werk, ein blutend Wild zu jagen!

Ich trauerte, das wußte der, da wuchs

Der Mut dem Feigen; da erhascht er mich

Und hetzt des Pöbels Zähne mir aufs Herz.

O wer, wer heilt den Geschändeten nun, wer nimmt[32]

Ihn auf, der heimatlos der Fremden Häuser

Mit den Narben seiner Schmach umirrt, die Götter

Des Hains fleht, ihn zu bergen – komme, Sohn!

Sie haben wehe mir getan, doch hätt

Ichs wohl vergessen, aber dich? – ha geht

Nun immerhin zu Grund, ihr Namenlosen!

Sterbt langsamen Tods, und euch geleite

Des Priesters Rabengesang! und weil sich Wölfe

Versammeln da, wo Leichname sind, so finde sich

Dann einer auch für euch; der sättige

Von eurem Blute sich, der reinige

Sicilien von euch; es stehe dürr

Das Land, wo sonst die Purpurtraube gern

Dem bessern Volke wuchs und goldne Frucht

Im dunkeln Hain, und edles Korn, und fragen

Wird einst der Fremde, wenn er auf den Schutt

Von euern Tempeln tritt, ob da die Stadt

Gestanden? gehet nun! Ihr findet mich

In einer Stunde nimmer. –


Indem sie abgehn.


Kritias!

Dir möcht ich wohl ein Wort noch sagen.

PAUSANIAS nachdem Kritias zurück ist.

Laß

Indessen mich zum alten Vater gehn

Und Abschied nehmen.

EMPEDOKLES.

O warum? was tat

Der Jüngling euch, ihr Götter! gehe denn,

Du Armer! Draußen wart ich, auf dem Wege

Nach Syrakus; dann wandern wir zusammen.


Pausanias geht auf der andern Seite ab.
[33]


Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 23-34.
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