Sechster Auftritt

[34] Empedokles. Kritias.


KRITIAS.

Was ists?

EMPEDOKLES.

Auch du verfolgest mich?

KRITIAS.

Was soll

Mir das?

EMPEDOKLES.

Ich weiß es wohl! Du möchtest gern

Mich hassen, dennoch hassest du mich nicht:

Du fürchtest nur; du hattest nichts zu fürchten.

KRITIAS.

Es ist vorbei. Was willst du noch?

EMPEDOKLES.

Du hättst

Es selber nie gedacht, der Priester zog

In seinen Willen dich, du klage dich

Nicht an; o hättst du nur ein treues Wort

Für ihn gesprochen, doch du scheuetest

Das Volk.

KRITIAS.

Sonst hattest du mir nichts

Zu sagen? überflüssiges Geschwätz

Hast du von je geliebt.[34]

EMPEDOKLES.

O rede sanft,

Ich habe deine Tochter dir gerettet.

KRITIAS.

Das hast du wohl.

EMPEDOKLES.

Du sträubst und schämest dich,

Mit dem zu reden, dem das Vaterland geflucht;

Ich will es gerne glauben. Denke dir,

Es rede nun mein Schatte, der geehrt

Vom heitern Friedenslande wieder kehre –

KRITIAS.

Ich wäre nicht gekommen, da du riefst,

Wenn nicht das Volk zu wissen wünschte, was

Du noch zu sagen hättest.

EMPEDOKLES.

Was ich dir

Zu sagen habe, geht das Volk nichts an.

KRITIAS.

Was ist es dann?

EMPEDOKLES.

Du mußt hinweg aus diesem Land; ich sag

Es dir um deiner Tochter willen.

KRITIAS.

Denk an dich

Und sorge nicht für anders!

EMPEDOKLES.

Kennest du[35]

Sie nicht? Und ist dirs unbewußt, wie viel

Es besser ist, daß eine Stadt voll Toren

Versinkt, denn Ein Vortreffliches?

KRITIAS.

Was kann

Ihr fehlen?

EMPEDOKLES.

Kennest du sie nicht?

Und tastest, wie ein Blinder an, was dir

Die Götter gaben? und es leuchtet dir

In deinem Haus umsonst das holde Licht?

Ich sag es dir: bei diesem Volke findet

Das fromme Leben seine Ruhe nicht

Und einsam bleibt es dir, so schön es ist

Und stirbt dir freudenlos, denn nie begibt

Die zärtlichernste Göttertochter sich

Barbaren an das Herz zu nehmen, glaub

Es mir! Es reden wahr die Scheidenden.

Und wundere des Rats dich nicht!

KRITIAS.

Was soll

Ich nun dir sagen?

EMPEDOKLES.

Gehe hin mit ihr

In heilges Land, nach Elis oder Delos

Wo jene wohnen, die sie liebend sucht,

Wo stillvereint, die Bilder der Heroen

Im Lorbeerwalde stehn. Dort wird sie ruhn,

Dort bei den schweigenden Idolen wird

Der schöne Sinn, der zartgenügsame[36]

Sich stillen, bei den edeln Schatten wird

Das Leid entschlummern, das geheim sie hegt

In frommer Brust. Wenn dann am heitern Festtag

Sich Hellas schöne Jugend dort versammelt,

Und um sie her die Fremdlinge sich grüßen

Und hoffnungsfrohes Leben überall

Wie goldenes Gewölk das stille Herz

Umglänzt, dann weckt dies Morgenrot

Zur Lust wohl auch die fromme Träumerin,

Und von den Besten einen, die Gesang

Und Kranz in edlem Kampf gewannen, wählt

Sie sich, daß er den Schatten sie entführe,

Zu denen sie zu frühe sich gesellt.

Gefällt dir das, so folge mir –

KRITIAS.

Hast du der goldnen Worte noch so viel

In deinem Elend übrig?

EMPEDOKLES.

Spotte nicht!

Die Scheidenden verjüngen alle sich

Noch Einmal gern. Der Sterbeblick ists nur

Des Lichts, das freudig einst in seiner Kraft

Geleuchtet unter euch. Es lösche freundlich,

Und hab ich euch geflucht, so mag dein Kind

Den Segen haben, wenn ich segnen kann.

KRITIAS.

O laß, und mache mich zum Knaben nicht.

EMPEDOKLES.

Versprich es mir und tue, was ich riet,

Und geh aus diesem Land. Verweigerst dus,[37]

So mag die Einsame den Adler bitten,

Daß er hinweg von diesen Knechten sie

Zum Aether rette! Bessers weiß ich nicht.

KRITIAS.

O sage, haben wir nicht recht an dir

Getan?

EMPEDOKLES.

Wie fragst du nun? Ich hab es dir

Vergeben. Aber folgst du mir?

KRITIAS.

Ich kann

So schnell nicht wählen.

EMPEDOKLES.

Wähle gut,

Sie soll nicht bleiben, wo sie untergeht.

Und sag es ihr, sie soll des Mannes denken,

Den einst die Götter liebten. Willst du das?

KRITIAS.

Wie bittest du? Ich will es tun. Und geh

Du deines Weges nun, du Armer!


Geht ab.


Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 34-38.
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