Neunter Auftritt

[43] Panthea. Delia.


DELIA.

Stille, liebes Kind!

Und halt den Jammer! daß uns niemand höre.

Ich will hinein ins Haus. Vielleicht er ist

Noch drinnen und du siehst noch Einmal ihn.

Nur bleibe still indessen – kann ich wohl

Hinein?

PANTHEA.

O tu es, liebe Delia.

Ich bet indes um Ruhe, daß mir nicht

Das Herz vergeht, wenn ich den hohen Mann

In dieser bittern Schicksalsstunde sehe.

DELIA.

O Panthea!

PANTHEA allein, nach einigem Stillschweigen.

Ich kann nicht – ach es wär

Auch Sünde, da gelassener zu sein!

Verflucht? ich faß es nicht, und wirst auch wohl

Die Sinne mir zerreißen, schwarzes Rätsel!

Wie wird er sein?


Pause. Erschrocken zu Delia, die wieder zurückkömmt.


Wie ists?

DELIA.

Ach! alles tot

Und öde?[43]

PANTHEA.

Fort?

DELIA.

Ich fürcht es. Offen sind

Die Türen; aber niemand ist zu sehn.

Ich rief, da hört ich nur den Widerhall

Im Hause; länger bleiben mocht ich nicht –

Ach! stumm und blaß ist sie und siehet fremd

Mich an, die Arme. Kennest du mich nimmer?

Ich will es mit dir dulden, liebes Herz!

PANTHEA.

Nun! komme nur!

DELIA.

Wohin?

PANTHEA.

Wohin? ach! das,

Das weiß ich freilich nicht, ihr guten Götter!

Weh! Keine Hoffnung! Und du leuchtest mir

Umsonst, o goldnes Licht dort oben? fort

Ist er – wie soll die Einsame denn wissen,

Warum ihr noch die Augen helle sind.

Es ist nicht möglich, nein! zu frech

Ist diese Tat, zu ungeheuer, und ihr habt

Es doch getan. Und leben muß ich noch

Und stille sein bei diesen? weh! und weinen

Nur weinen kann ich über alles das!

DELIA.

O weine nur! du liebe, besser ists

Denn schweigen oder reden.[44]

PANTHEA.

Delia!

Da ging er sonst! und dieser Garten war

Um seiner willen mir so wert. Ach oft,

Wenn mir das Leben nicht genügt', und ich,

Die Ungesellige, betrübt mit andern

Um unsre Hügel irrte, sah ich her

Nach dieser Bäume Gipfeln, dachte, dort

Ist Einer doch! – Und meine Seele richtet'

An ihm sich auf. Ich lebte gern mit ihm

In meinem Sinn, und wußte seine Stunden.

Vertraulicher gesellte da zu ihm

Sich mein Gedank, und teilte mit dem Lieben

Das kindliche Geschäft – ach! grausam haben sie's

Zerschlagen, auf die Straße mirs geworfen

Mein Heldenbild, ich hätt es nie gedacht.

Ach! hundertjährgen Frühling wünscht ich oft

Ich Törige für ihn und seine Gärten!

DELIA.

O konntet ihr die zarte Freude nicht

Ihr lassen, gute Götter!

PANTHEA.

Sagst du das?

Wie eine neue Sonne kam er uns

Und strahlt' und zog das ungereifte Leben

An goldnen Seilen freundlich zu sich auf

Und lange hatt auf ihn Sicilien

Gewartet. Niemals herrscht' auf dieser Insel

Ein Sterblicher wie er, sie fühltens wohl,

Er lebe mit den Genien der Welt

Im Bunde. Seelenvoller! und du nahmst[45]

Sie all ans Herz, weh! mußt du nun dafür

Geschändet fort von Land zu Lande ziehn

Das Gift im Busen, das sie mitgegeben?

Das habt ihr ihm getan! o laßt nicht mich

Ihr weisen Richter! ungestraft entkommen.

Ich ehr ihn ja und wenn ihr es nicht wißt,

So will ich es ins Angesicht euch sagen,

Dann stoßt mich auch zu eurer Stadt hinaus.

Und hat er ihm geflucht, der Rasende

Mein Vater, ha! so fluch er nun auch mir.

Ihr Blumen

Des Himmels! schöne Sterne, werdet ihr

Denn auch verblühn? und wird es Nacht alsdenn

In deiner Seele werden, Vater Aether!

Wenn deine Jünglinge, die Glänzenden

Erloschen sind vor dir? Ich weiß, es muß,

Was göttlich ist, hinab. Zur Seherin

Bin ich geworden über seinem Fall,

Und wo mir noch ein schöner Genius

Begegnet, nenn er Mensch sich oder Gott,

Ich weiß die Stunde, die ihm nicht gefällt –

DELIA.

O Panthea! mich schröckt es, wenn du so

Dich deiner Klagen überhebst. Ist er[46]

Denn auch, wie du, daß er den stolzen Geist

Am Schmerze nährt, und heftger wird im Leiden?

Ich mags nicht glauben, denn ich fürchte das.

Was müßt er auch beschließen?

PANTHEA.

Ängstigest

Du mich? Was hab ich denn gesagt? Ich will

Auch nimmer – ja gedultig will ich sein,

Ihr Götter! will vergebens nun nicht mehr

Erstreben, was ihr ferne mir gerückt,

Und was ihr geben mögt, das will ich nehmen.

Du Heiliger! und find ich nirgends dich,

So kann ich mich auch freuen, daß du da

Gewesen. Ruhig will ich sein, es möcht

Aus wildem Sinne mir das edle Bild

Entfliehn, und daß mir nur der Tageslärm

Den brüderlichen Schatten nicht verscheuche,

Der, wo ich leise wandle, mich geleitet.

DELIA.

Du liebe Träumerin! er lebt ja noch.

PANTHEA.

Er lebt? ja wohl! er lebt! er geht

Im weiten Felde Nacht und Tag. Sein Dach

Sind Wetterwolken und der Boden ist

Sein Lager. Winde krausen ihm das Haar

Und Regen träuft mit seinen Tränen ihm

Vom Angesicht, und seine Kleider trocknet

Am heißen Mittag ihm die Sonne wieder,

Wenn er im schattenlosen Sande geht.

Gewohnte Pfade sucht er nicht; im Fels[47]

Bei denen, die von Beute sich ernähren,

Die fremd, wie er, und allverdächtig sind,

Da kehrt er ein, die wissen nichts vom Fluch,

Die reichen ihm von ihrer rohen Speise,

Daß er zur Wanderung die Glieder stärkt.

So lebt er! weh! und das ist nicht gewiß!

DELIA.

Ja! es ist schröcklich, Panthea.

PANTHEA.

Ists schröcklich?

Du arme Trösterin, vielleicht, es währt

Nicht lange mehr, so kommen sie, und sagen

Einander sichs, wenn es die Rede gibt,

Daß er erschlagen auf dem Wege liege.

Es dulden's wohl die Götter, haben sie

Doch auch geschwiegen, da man ihn mit Schmach

Ins Elend fort aus seiner Heimat warf.

O du! – wie wirst du enden? müde ringst

Du schon am Boden fort, du stolzer Adler!

Und zeichnest deinen Pfad mit Blut, und es

Erhascht der feigen Jäger einer dich,

Zerschlägt am Felsen dir dein sterbend Haupt

Und Jovis Liebling nanntet ihr ihn doch?

DELIA.

Ach lieber schöner Geist! nur so nicht!

Nur solche Worte nicht! Wenn du es wüßtest,

Wie mich die Sorg um dich ergreift! Ich will

Auf meinen Knien dich bitten, wenn es hilft.

Besänftige dich nur. Wir wollen fort.

Es kann noch viel sich ändern, Panthea.[48]

Vielleicht bereut es bald das Volk. Du weißt

Es ja, wie sie ihn liebten. Komm! ich wend

An deinen Vater mich und helfen sollst

Du mir. Wir können ihn vielleicht gewinnen.

PANTHEA.

O wir, wir sollten das, ihr Götter![49]

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 43-50.
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