Vierter Auftritt

[60] Die Vorigen.

Hermokrates. Kritias. Volk.


HERMOKRATES.

Befürchte nichts!

Und laß der Männer Stimme dich nicht schröcken,

Die dich vertrieben. Sie verzeihen dir.

EMPEDOKLES.

Ihr Unverschämten! anders wißt ihr nicht?

Was wollt ihr auch? ihr kennt mich ja! ihr habt

Mich ja gezeichnet, aber hadert

Das lebenslose Volk, damit sichs fühl'?

Und haben sie hinausgeschmäht den Mann,

Den sie gefürchtet, suchen sie ihn wieder,

Den Sinn an seinem Schmerze zu erfrischen?

O tut die Augen auf, und seht, wie klein

Ihr seid, daß euch das Weh die närrische

Verruchte Zunge lähme; könnt ihr nicht

Erröten? o ihr Armen! schamlos läßt

Den schlechten Mann mitleidig die Natur,

Daß ihn der Größre nicht zu Tode schröcke.

Wie könnt er sonst vor Größerem bestehn?

HERMOKRATES.

Was du verbrochen büßtest du; genug

Vom Elend ist dein Angesicht gezeichnet,

Genes' und kehre nun zurück; dich nimmt

Das gute Volk in seine Heimat wieder.[60]

EMPEDOKLES.

Wahrhaftig! großes Glück verkündet mir

Der fromme Friedensbote; Tag für Tag

Den schauerlichen Tanz mit anzusehn,

Wo ihr euch jagt und äfft, wo ruhelos

Und irr und bang, wie unbegrabne Schatten

Ihr umeinander rennt, ein ärmliches

Gemeng in eurer Not, ihr Gottverlaßnen,

Und eure lächerlichen Bettlerkünste,

Die nah zu haben, ist der Ehre wert.

Ha! wüßt ich bessers nicht, ich lebte lieber

Sprachlos und fremde mit des Berges Wild

In Regen und in Sonnenbrand, und teilte

Die Nahrung mit dem Tier, als daß ich noch

In euer blindes Elend wiederkehrte.

HERMOKRATES.

So dankst du uns?

EMPEDOKLES.

O sprich es einmal noch

Und siehe, wenn du kannst, zu diesem Licht,

Dem Allesschauenden, empor! doch warum bliebst

Du auch nicht fern, und kamst mir frech vors Aug,

Und nötigest das letzte Wort mir ab,

Damit es dich zum Acheron geleite,

Weißt du, was du getan? was tat ich dir?

Es warnte dich, und lange fesselte

Die Furcht die Hände dir, und lange grämt'

In seinen Banden sich dein Grimm; ihn hielt

Mein Geist gefangen, konntest du nicht ruhn,

Und peinigte dich so mein Leben; freilich mehr[61]

Wie Durst und Hunger quält das Edlere

Den Feigen; konntest du nicht ruhn? und mußtest

Dich an mich wagen, Ungestalt, und wähntest,

Ich würde dir, wenn du mit deiner Schmach

Das Angesicht mir übertünchtest, gleich?

Das war ein alberner Gedanke, Mann!

Und könntest du dein eigen Gift im Tranke

Mir reichen, dennoch paarte sich mit dir

Mein lieber Geist nicht und er schüttete

Mit diesem Blut das du entweiht dich aus.

Es ist umsonst; wir gehn verschiednen Weg.

Stirb du gemeinen Tod, wie sichs gebührt,

Am seelenlosen Knechtsgefühl, mir ist

Ein ander Los beschieden, andern Pfad

Weissagtet einst, da ich geboren ward,

Ihr Götter mir, die gegenwärtig waren –

Was wundert sich der allerfahrne Mann?

Dein Werk ist aus und deine Ränke reichen

An meine Freude nicht. Begreifest du das doch!

HERMOKRATES.

Den Rasenden begreif ich freilich nicht.

KRITIAS.

Genug ists nun, Hermokrates! du reizest

Zum Zorne nur den Schwerbeleidigten.

PAUSANIAS.

Was nimmt ihr auch den kalten Priester mit,

Ihr Toren, wenn um Gutes euch zu tun ist?

Und wählt zum Versöhner

Den Gottverlaßnen, der nicht lieben kann,

Zu Zwist und Tod ist der und seinesgleichen[62]

Ins Leben ausgesäet, zum Frieden nicht!

Jetzt seht ihrs ein, o hättet ihrs vor Jahren!

Es wäre manches nicht in Agrigent

Geschehen. Viel hast du getan, Hermokrates,

So lang du lebst, hast manche liebe Lust

Den Sterblichen hinweg geängstiget,

Hast manches Heldenkind in seiner Wieg

Erstickt, und gleich der Blumenwiese fiel

Und starb die jugendkräftige Natur

Vor deiner Sense. Manches sah ich selbst

Und manches hört ich. Soll ein Volk vergehn,

So schicken nur die Furien einen Mann,

Der täuschend überall der Missetat

Die lebensreichen Menschen überführe.

Zuletzt, der Kunst erfahren, machte sich

An einen Mann der heiligschlaue Würger

Und herzempörend glückt es ihm, damit

Das Göttergleichste durch Gemeinstes falle.

Mein Empedokles! – gehe du des Wegs

Den du erwählt. Ich kanns nicht hindern, sengt

Es gleich das Blut in meinen Adern weg.

Doch diesen, der das Leben dir geschändet,

Den Allverderber such ich auf, wenn ich

Verlassen bin von dir, ich such ihn, flöh

Er zum Altar, es hilft ihm nichts, mit mir

Muß er, mit mir, ich weiß sein eigen Element.

Zum toten Sumpfe schlepp ich ihn – und wenn

Er flehend wimmert, so erbarmt ich mich

Des grauen Haars, wie er der andern sich

Erbarmt; hinab!


Zu Hermokrates.


hörst du? Ich halte Wort.[63]

ERSTER BÜRGER.

Es braucht des Wartens nicht, Pausanias!

HERMOKRATES.

Ihr Bürger!

ZWEITER BÜRGER.

Regst du noch die Zunge? du,

Du hast uns schlecht gemacht; hast allen Sinn

Uns weggeschwatzt; hast uns des Halbgotts Liebe

Gestohlen, du! er ists nicht mehr. Er kennt

Uns nicht; ach! ehmals sah mit sanften Augen

Auf uns der königliche Mann; nun kehrt

Sein Blick das Herz mir um.

DRITTER BÜRGER.

Weh! waren wir

Doch gleich den Alten zu Saturnus Zeit,

Da freundlich unter uns der Hohe lebt',

Und jeder hatt in seinem Hause Freude

Und alles war genug. Was ludst du denn

Den Fluch auf uns, den unvergeßlichen,

Den er gesprochen, ach! er mußte wohl,

Und sagen werden unsre Söhne, wenn

Sie groß geworden sind, ihr habt den Mann

Den uns die Götter sandten, uns gemordet.

ZWEITER BÜRGER.

Er weint! – o größer noch und lieber,

Denn vormals, dünkt er mir. Und sträubst

Du noch dich gegen ihn, und stehest da,

Als sähst du nicht, und brechen dir vor ihm

Die Kniee nicht? Zu Boden, Mensch![64]

ERSTER BÜRGER.

Und spielst

Du noch den Götzen, was? und möchtest gern

So fort es treiben? nieder mußt du mir!

Und auf den Nacken setz ich dir den Fuß,

Bis du mir sagst, du habest endlich dich

Bis an den Tartarus hinabgelogen.

DRITTER BÜRGER.

Weißt du, was du getan? dir wär es besser,

Du hättest Tempelraub begangen, ha!

Wir beteten ihn an, und billig wars;

Wir wären götterfrei mit ihm geworden,

Da wandelt unverhofft, wie eine Pest,

Dein böser Geist uns an und uns verging

Das Herz und Wort, und alle Freude, die

Er uns geschenkt, in widerwärtgem Taumel.

Ha Schande! Schande! wie die Rasenden

Frohlockten wir, da du zum Tode schmähtest

Den hochgeliebten Mann. Unheilbar ists

Und stürbst du siebenmal, du könntest doch,

Was du an ihm und uns getan, nicht ändern.

EMPEDOKLES.

Die Sonne neigt zum Untergange sich,

Und weiter muß ich diese Nacht, ihr Kinder.

Laßt ab von ihm! es ist zu lange schon,

Daß wir gestritten. Was geschehen ist

Vergehet all und künftig lassen wir

In Ruh einander.

PAUSANIAS.

Gilt denn alles gleich?[65]

DRITTER BÜRGER.

O lieb uns wieder!

ZWEITER BÜRGER.

Komm und leb

In Agrigent; es hats ein Römer

Gesagt, durch ihren Numa wären sie

So groß geworden. Komme, Göttlicher!

Sei unser Numa. Lange dachten wirs,

Du solltest König sein. O sei es! seis!

Ich grüße dich zuerst, und alle wollens.

EMPEDOKLES.

Dies ist die Zeit der Könige nicht mehr.

DIE BÜRGER erschrocken.

Wer bist du, Mann?

PAUSANIAS.

So lehnt man Kronen ab,

Ihr Bürger.

ERSTER BÜRGER.

Unbegreiflich ist das Wort,

So du gesprochen, Empedokles.

EMPEDOKLES.

Hegt

Im Neste denn die Jungen immerdar

Der Adler? Für die Blinden sorgt er wohl,

Und unter seinen Flügeln schlummern süß

Die Ungefiederten ihr dämmernd Leben.

Doch haben sie das Sonnenlicht erblickt,

Und sind die Schwingen ihnen reif geworden,[66]

So wirft er aus der Wiege sie, damit

Sie eignen Flug beginnen. Schämet euch,

Daß ihr noch einen König wollt; ihr seid

Zu alt; zu eurer Väter Zeiten wärs

Ein anderes gewesen. Euch ist nicht

Zu helfen, wenn ihr selber euch nicht helft.

KRITIAS.

Vergib! bei allen Himmlischen! du bist

Ein großer Mann, Verratener!

EMPEDOKLES.

Es war

Ein böser Tag, der uns geschieden, Archon.

ZWEITER BÜRGER.

Vergib und komm mit uns! Dir scheinet doch

Die heimatliche Sonne freundlicher

Denn anderswo, und willst du schon die Macht,

Die dir gebührte, nicht, so haben wir

Der Ehrengaben manche noch für dich,

Für Kränze grünes Laub und schöne Namen,

Und für die Säule nimmeralternd Erz.

O komm! es sollen unsre Jünglinge,

Die Reinen, die dich nie beleidiget,

Dir dienen – wohnst du nahe nur, so ists

Genug, und dulden müssen wirs, wo du

Uns meidst, und einsam bleibst in deinen Gärten,

Bis du vergessen hast, was dir geschehn.

EMPEDOKLES.

O Einmal noch! du heimatliches Licht,

Das mich erzog, ihr Gärten meiner Jugend

Und meines Glücks, noch soll ich eurer denken,[67]

Ihr Tage meiner Ehre, wo ich rein

Und ungekränkt mit diesem Volke war.

Wir sind versöhnt, ihr Guten! – laßt mich nur,

Viel besser ists, ihr seht das Angesicht

Das ihr geschmäht nicht mehr, so denkt ihr lieber

Des Manns, den ihr geliebt, und irre wird

Dann euch der ungetrübte Sinn nicht mehr.

In ewger Jugend lebt mit euch mein Bild

Und schöner tönen, wenn ich ferne bin,

Die Freudensänge, so ihr mir versprochen.

O laßt uns scheiden, ehe Torheit uns

Und Alter scheidet, sind wir doch gewarnt,

Und Eines bleiben, die zu rechter Zeit

Aus eigner Kraft die Trennungsstunde wählten.

DRITTER BÜRGER.

So ratlos lässest du uns stehn?

EMPEDOKLES.

Ihr botet

Mir eine Kron, ihr Männer! nimmt von mir

Dafür mein Heiligtum. Ich spart es lang.

In heitern Nächten oft, wenn über mir

Die schöne Welt sich öffnet', und die heilge Luft

Mit ihren Sternen allen als ein Geist

Voll freudiger Gedanken mich umfing,

Da wurd es oft lebendiger in mir;

Mit Tagesanbruch dacht ich euch das Wort,

Das ernste langverhaltene, zu sagen.

Und freudig ungeduldig rief ich schon

Vom Orient die goldne Morgenwolke

Zum neuen Fest, an dem mein einsam Lied

Mit euch zum Freudenchore würd, herauf.[68]

Doch immer schloß mein Herz sich wieder, hofft'

Auf seine Zeit, und reifen sollte mirs.

Heut ist mein Herbsttag und es fällt die Frucht

Von selbst.

PAUSANIAS.

O hätt er früher nur gesprochen,

Vielleicht, dies alles wär ihm nicht geschehn.

EMPEDOKLES.

Nicht ratlos stehen laß ich euch,

Ihr Lieben! aber fürchtet nichts! Es scheun

Die Erdenkinder meist das Neu und Fremde,

Daheim in sich zu bleiben strebet nur

Der Pflanze Leben und das frohe Tier.

Beschränkt im Eigentume sorgen sie,

Wie sie bestehn, und weiter reicht ihr Sinn

Im Leben nicht. Doch müssen sie zuletzt,

Die Ängstigen, heraus, und sterbend kehrt

Ins Element ein jedes, daß es da

Zu neuer Jugend, wie im Bade, sich

Erfrische. Menschen ist die große Lust

Gegeben, daß sie selber sich verjüngen.

Und aus dem reinigenden Tode, den

Sie selber sich zu rechter Zeit gewählt,

Erstehn, wie aus dem Styx Achill, die Völker.

O gebt euch der Natur, eh sie euch nimmt! –

Ihr dürstet längst nach Ungewöhnlichem,

Und wie aus krankem Körper sehnt der Geist

Von Agrigent sich aus dem alten Gleise.

So wagts! was ihr geerbt, was ihr erworben,

Was euch der Väter Mund erzählt, gelehrt,

Gesetz und Brauch, der alten Götter Namen,[69]

Vergeßt es kühn, und hebt, wie Neugeborne,

Die Augen auf zur göttlichen Natur,

Wenn dann der Geist sich an des Himmels Licht

Entzündet, süßer Lebensothem euch

Den Busen, wie zum erstenmale tränkt,

Und goldner Früchte voll die Wälder rauschen

Und Quellen aus dem Fels, wenn euch das Leben

Der Welt ergreift, ihr Friedensgeist, und euchs

Wie heilger Wiegensang die Seele stillet,

Dann aus der Wonne schöner Dämmerung

Der Erde Grün von neuem euch erglänzt

Und Berg und Meer und Wolken und Gestirn,

Die edeln Kräfte, Heldenbrüdern gleich,

Vor euer Auge kommen, daß die Brust

Wie Waffenträgern euch nach Taten klopft,

Und eigner schöner Welt, dann reicht die Hände

Euch wieder, gebt das Wort und teilt das Gut,

O dann ihr Lieben teilet Tat und Ruhm

Wie treue Dioskuren; jeder sei,

Wie alle, – wie auf schlanken Säulen, ruh

Auf richtgen Ordnungen das neue Leben

Und euern Bund befestge das Gesetz.

Dann o ihr Genien der wandelnden

Natur! dann ladet euch, ihr heitern,

Die ihr aus Tiefen und aus Höhn die Freude nimmt

Und sie wie Müh und Glück und Sonnenschein und Regen

Den engbeschränkten Sterblichen ans Herz

Aus ferner fremder Welt herbei bringt,

Das freie Volk zu seinen Festen ein,

Gastfreundlich! fromm! denn liebend gibt

Der Sterbliche vom Besten, schließt und engt

Den Busen ihm die Knechtschaft nicht –[70]

PAUSANIAS.

O Vater!

EMPEDOKLES.

Von Herzen nennt man, Erde, dann dich wieder

Und wie die Blum aus deinem Dunkel sproßt,

Blüht Wangenrot der Dankenden für dich

Aus lebensreicher Brust und selig Lächeln.

Und

Beschenkt mit Liebeskränzen rauschet dann

Der Quell hinab, wächst unter Segnungen

Zum Strom und mit dem Echo bebender Gestade

Tönt deiner wert, o Vater Ocean,

Der Lobgesang aus freier Wonne wider.

Es fühlt sich neu in himmlischer Verwandtschaft

O Sonnengott! der Menschengenius

Mit dir, und dein wie sein, ist was er bildet.

Aus Lust und Mut und Lebensfülle gehn

Die Taten leicht, wie deine Strahlen, ihm,

Und schönes stirbt in traurigstummer Brust

Nicht mehr. Oft schläft, wie edles Samenkorn,

Das Herz der Sterblichen in toter Schale,

Bis ihre Zeit gekommen ist; es atmet

Der Aether liebend immerdar um sie,

und mit den Adlern trinkt

Ihr Auge Morgenlicht, doch Segen gibt

Es nicht den Träumenden und kärglich nährt[71]

Vom Nektar, den die Götter der Natur

Alltäglich reichen, sich ihr schlummernd Wesen.

Bis sie des engen Treibens müde sind,

Und sich die Brust in ihrer kalten Fremde,

Wie Niobe, gefangen, und der Geist

Sich kräftiger denn alle Sage fühlt,

Und seines Ursprungs eingedenk das Leben,

Lebendge Schöne, sucht, und gerne sich

Entfaltet' an der Gegenwart des Reinen,

Dann glänzt ein neuer Tag herauf, ach! anders

Denn sonst, die Natur

und staunend

Unglaubig, wie nach hoffnungsloser Zeit

Beim heilgen Wiedersehn Geliebtes hängt

Am totgeglaubten Lieben, hängt das Herz

An

Sie sinds!

Die langentbehrten, die lebendigen,

Die guten Götter,

mit des Lebens Stern hinab!

Lebt wohl! Es war das Wort des Sterblichen,

Der diese Stunde liebend zwischen euch

Und seinen Göttern zögert, die ihn riefen.

Am Scheidetage weissagt unser Geist,

Und wahres reden, die nicht wiederkehren.[72]

KRITIAS.

Wohin? o beim lebendigen Olymp,

Den du mir alten Manne noch zuletzt,

Mir Blinden aufgeschlossen, scheide nicht,

Nur wenn du nahe bist, gedeiht im Volk

Und dringt in Zweig' und Frucht die neue Seele.

EMPEDOKLES.

Es sprechen, wenn ich ferne bin, statt meiner

Des Himmels Blumen, blühendes Gestirn

Und die der Erde tausendfach entkeimen,

Die göttlichgegenwärtige Natur

Bedarf der Rede nicht; und nimmer läßt

Sie einsam euch, wo Einmal sie genaht,

Denn unauslöschlich ist der Augenblick

Von ihr; und siegend wirkt durch alle Zeiten

Beseligend hinab sein himmlisch Feuer.

Wenn dann die glücklichen Saturnustage

Die neuen männlichern gekommen sind,

Dann denkt vergangner Zeit, dann leb erwärmt

Am Genius der Väter Sage wieder!

Zum Feste komme, wie vom Frühlingslicht

Emporgesungen, die vergessene

Heroenwelt vom Schattenreich herauf,

Und mit der goldnen Trauerwolke lagre

Erinnrung sich, ihr Freudigen! um euch. –

PAUSANIAS.

Und du? und du? ach nennen will ichs nicht

Vor diesen Glücklichen

Daß sie nicht ahnden, was geschehen wird,

Nein! — ñ — du kannst es nicht.[73]

EMPEDOKLES.

O Wünsche! Kinder seid ihr, und doch wollt

Ihr wissen, was begreiflich ist und recht,

Du irrest! sprecht, ihr Törigen! zur Macht

Die mächtger ist, denn ihr, doch hilft es nicht

Und wie die Sterne geht unaufgehalten

Das Leben im Vollendungsgange weiter.

Kennt ihr der Götter Stimme nicht? noch eh

Als ich der Eltern Sprache lauschend lernt,

Im ersten Othemzug, im ersten Blick

Vernahm ich jene schon und immer hab

Ich höher sie, denn Menschenwort geachtet.

Hinauf! sie riefen mich und jedes Lüftchen

Regt mächtiger die bange Sehnsucht auf,

Und wollt ich hier noch länger weilen, wärs,

Wie wenn der Jüngling unbeholfen sich

Am Spiele seiner Kinderjahre letzte.

Ha! seellos, wie die Knechte, wandelt ich

In Nacht und Schmach vor euch und meinen Göttern.

Gelebt hab ich; wie aus der Bäume Wipfel

Die Blüte regnet und die goldne Frucht

Und Blum und Korn aus dunklem Boden quillt,

So kam aus Müh und Not die Freude mir,

Und freundlich stiegen Himmelskräfte nieder,

Es sammeln in der Tiefe sich, Natur,

Die Quellen deiner Höhn und deine Freuden,

Sie kamen all in meiner Brust zu ruhn,

Sie waren Eine Wonne, wenn ich dann

Das schöne Leben übersann, da bat

Ich herzlich oft um Eines nur die Götter:

Sobald ich einst mein heilig Glück nicht mehr[74]

In Jugendstärke taumellos ertrüg

Und wie des Himmels alten Lieblingen

Zur Torheit mir des Geistes Fülle würde,

Dann mich zu mahnen, dann nur schnell ins Herz

Ein unerwartet Schicksal mir zu senden,

Zum Zeichen, daß die Zeit der Läuterung

Gekommen sei, damit bei guter Stund

Ich fort zu neuer Jugend noch mich rettet

Und unter Menschen nicht der Götterfreund

Zum Spiel und Spott und Aergernisse würde.

Sie haben mirs gehalten; mächtig warnt'

Es mich; zwar Einmal nur, doch ists genug.

Und so ichs nicht verstände, wär ich gleich

Gemeinem Rosse, das den Sporn nicht ehrt,

Und noch der nötigenden Geißel wartet.

Drum fordert nicht die Wiederkehr des Manns

Der euch geliebt, doch wie ein Fremder war

Mit euch und nur für kurze Zeit geboren,

O fodert nicht, daß er an Sterbliche

Sein Heilges noch und seine Seele wage!

Ward doch ein schöner Abschied uns gewährt,

Und konnt ich noch mein liebstes euch zuletzt

Mein Herz hinweg aus meinem Herzen geben.

Drum vollends nicht! was sollt ich noch bei euch?

ERSTER BÜRGER.

Wir brauchen deines Rats.[75]

EMPEDOKLES.

Fragt diesen Jüngling! schämet des euch nicht.

Aus frischem Geiste kommt das Weiseste,

Wenn ihr um Großes ihn im Ernste fraget.

Aus junger Quelle nahm die Priesterin

Die alte Pythia die Göttersprüche.

Und Jünglinge sind selber eure Götter. –

Mein Liebling! gerne weich ich, lebe du

Nach mir, ich war die Morgenwolke nur,

Geschäftslos und vergänglich! und es schlief,

Indes ich einsam blühte, noch die Welt,

Doch du, du bist zum klaren Tag geboren.

PAUSANIAS.

O! schweigen muß ich!

KRITIAS.

Überrede dich

Nicht, bester Mann! und uns mit dir. Mir selbst

Ists vor dem Auge dunkel und ich kann

Nicht sehn, was du beginnst, und kann nicht sagen, bleibe!

Verschieb es einen Tag. Der Augenblick

Faßt wunderbar uns oft; so gehen wir

Die Flüchtgen mit dem Flüchtigen dahin.

Oft dünkt das Wohlgefallen einer Stund

Uns lange vorbedacht, und doch ists nur

Die Stunde, die uns blendet, daß wir sie

Nur sehen in Vergangenem. Vergib!

Ich will den Geist des Mächtigern nicht schmähn,

Nicht diesen Tag; ich seh es wohl, ich muß

Dich lassen, kann nur zusehn, wenn es schon

Mich in der Seele kümmert, –[76]

DRITTER BÜRGER.

Nein! o nein! –

Er gehet zu den Fremden nicht, nicht übers Meer,

Nach Hellas Ufern oder nach Aegyptos,

Zu seinen Brüdern, die ihn lange nicht

Gesehn, den hohen Weisen, – bittet ihn,

O bittet, daß er bleib'! es ahndet mir,

Und Schauer gehn von diesem stillen Mann,

Dem Heiligfurchtbaren, mir durch das Leben,

Und heller wirds in mir und finstrer auch

Denn in der vorgen Zeit – wohl trägst und siehst

Ein eigen großes Schicksal du in dir,

Und trägst es gern, und was du denkst ist herrlich.

Doch denke derer, die dich lieben auch

Der Reinen, und der andern, die gefehlt,

Der Reuigen. Du Gütiger, du hast

Uns viel gegeben, was ists ohne dich?

O möchtest du uns nicht dich selber auch

Noch eine Weile gönnen, Gütiger!

EMPEDOKLES.

O lieber Undank! gab ich doch genug

Wovon ihr leben möget. Ihr dürft leben

So lang ihr Othem habt: ich nicht. Es muß

Bei Zeiten weg, durch wen der Geist geredet.

Es offenbart die göttliche Natur

Sich göttlich oft durch Menschen, so erkennt

Das vielversuchende Geschlecht sie wieder.

Doch hat der Sterbliche, dem sie das Herz

Mit ihrer Wonne füllte, sie verkündet,

O laßt sie dann zerbrechen das Gefäß,

Damit es nicht zu andrem Brauche dien',[77]

Und Göttliches zum Menschenwerke werde.

Laßt diese Glücklichen doch sterben, laßt

Eh sie in Eigenmacht und Tand und Schmach

Vergehn, die Freien sich bei guter Zeit

Den Göttern liebend opfern. Mein ist dies.

Und wohlbewußt ist mir mein Los und längst

Am jugendlichen Tage hab ich mirs

Geweissagt; ehret mirs! und wenn ihr morgen

Mich nimmer findet, sprecht: veralten sollt

Er nicht und Tage zählen, dienen nicht

Der Sorg und Krankheit,

ungesehen ging

Er weg und keines Menschen Hand begrub ihn,

Und keines Auge weiß von seiner Asche,

Denn anders ziemt es nicht für ihn, vor dem

In todesfroher Stund am heilgen Tage

Das Göttliche den Schleier abgeworfen –

Den Licht und Erde liebten, dem der Geist,

Der Geist der Welt den eignen Geist erweckte,

In dem sie sind, zu dem ich sterbend kehre.

KRITIAS.

Weh! unerbittlich ist er, und es schämt

Das Herz sich selbst ein Wort noch ihm zu sagen.

EMPEDOKLES.

Komm reiche mir die Hände, Kritias!

Und ihr ihr all. – Du bleibest Liebster noch,

Bei mir, du immertreuer guter Jüngling!

Beim Freunde, bis zum Abend – trauert nicht!

Denn heilig ist mein End und schon – o Luft,[78]

Luft, die den Neugeborenen umfängt,

Wenn droben er die neuen Pfade wandelt,

Dich ahnd ich, wie der Schiffer, wenn er nah

Dem Blütenwald der Mutterinsel kömmt,

Schon atmet liebender die Brust ihm auf

Und sein gealtert Angesicht verklärt

Erinnerung der ersten Wonne wieder!

Und o, Vergessenheit! Versöhnerin! –

Voll Segens ist die Seele mir, ihr Lieben!

Geht nur und grüßt die heimatliche Stadt

Und ihr Gefild'! am schönen Tage, wenn

Den Göttern der Natur ein Fest zu bringen,

Vom Tagewerk das Auge zu befrein,

Ihr einst heraus zum heilgen Haine geht,

Und wie mit freundlichen Gesängen euchs

Empfängt, antwortet aus den heitern Höhn,

Dann wehet wohl ein Ton von mir im Liede,

Des Freundes Wort, verhüllt ins Liebeschor

Der schönen Welt, vernimmt ihr liebend wieder,

Und herrlicher ists so. Was ich gesagt,

Dieweil ich hie noch weile, wenig ists,

Doch nimmts der Strahl vielleicht des Lichtes zu

Der stillen Quelle, die euch segnen möchte,

Durch dämmernde Gewölke mit hinab.

Und ihr gedenket meiner!

KRITIAS.

Heiliger!

Du hast mich überwunden, heilger Mann!

Ich will es ehren, was mit dir geschieht,

Und einen Namen will ich ihm nicht geben.

O mußt es sein? es ist so eilend all[79]

Geworden. Da du noch in Agrigent

Stillherrschend lebtest, achteten wirs nicht,

Nun bist du uns genommen, eh wirs denken.

Es kommt und geht die Freude, doch gehört

Sie Sterblichen nicht eigen, und der Geist

Eilt ungefragt auf seinem Pfade weiter.

Ach! können wir denn sagen, daß du da

Gewesen?


Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 60-80.
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