[95] Chor der Agrigentiner in der ferne.
Mekades. Hermokrates.
MEKADES.
Hörst du das trunkne Volk?
HERMOKRATES.
Sie suchen ihn.
MEKADES.
Der Geist des Manns
Ist mächtig unter ihnen.
HERMOKRATES.
Ich weiß, wie dürres Gras
Entzünden sich die Menschen.
MEKADES.
Daß Einer so die Menge bewegt, mir ists,
Als wie wenn Jovis Blitz den Wald
Ergreift, und furchtbarer.
HERMOKRATES.
Drum binden wir den Menschen auch
Das Band ums Auge, daß sie nicht
Zu kräftig sich am Lichte nähren.
Nicht gegenwärtig werden
Darf Göttliches vor ihnen.[95]
Es darf ihr Herz
Lebendiges nicht finden.
Kennst du die Alten nicht,
Die Lieblinge des Himmels man nennt?
Sie nährten die Brust
An Kräften der Welt
Und den Hellaufblickenden war
Unsterbliches nahe,
Drum beugten die Stolzen
Das Haupt auch nicht
Und vor den Gewaltigen konnt
Ein Anderes nicht bestehn,
Es ward verwandelt vor ihnen.
MEKADES.
Und er?
HERMOKRATES.
Das hat zu mächtig ihn
Gemacht, daß er vertraut
Mit Göttern worden ist.
Es tönt sein Wort dem Volk,
Als käm es vom Olymp;
Sie dankens ihm,
Daß er vom Himmel raubt
Die Lebensflamm und sie
Verrät den Sterblichen.
MEKADES.
Sie wissen nichts, denn ihn,
Er soll ihr Gott,
Er soll ihr König sein.
Sie sagen, es hab Apoll
Die Stadt gebaut den Trojern,[96]
Doch besser sei, es helf
Ein hoher Mann durchs Leben.
Noch sprechen sie viel Unverständiges
Von ihm und achten kein Gesetz
Und keine Not und keine Sitte.
Ein Irrgestirn ist unser Volk
Geworden und ich fürcht,
Es deute dieses Zeichen
Zukünftges noch, das er
Im stillen Sinne brütet.
HERMOKRATES.
Sei ruhig, Mekades!
Er wird nicht.
MEKADES.
Bist du denn mächtiger?
HERMOKRATES.
Der sie versteht,
Ist stärker, denn die Starken.
Und wohlbekannt ist dieser Seltne mir.
Zu glücklich wuchs er auf;
Ihm ist von Anbeginn
Der eigne Sinn verwöhnt, daß ihn
Geringes irrt; er wird es büßen,
Daß er zu sehr geliebt die Sterblichen.
MEKADES.
Mir ahndet selbst,
Es wird mit ihm nicht lange dauern,
Doch ist es lang genug,
So er erst fällt, wenn ihms gelungen ist.[97]
HERMOKRATES.
Und schon ist er gefallen.
MEKADES.
Was sagst du?
HERMOKRATES.
Siehst du denn nicht? es haben
Den hohen Geist die Geistesarmen
Geirrt, die Blinden den Verführer.
Die Seele warf er vor das Volk, verriet
Der Götter Gunst gutmütig den Gemeinen,
Doch rächend äffte leeren Widerhalls
Genug denn auch aus toter Brust den Toren.
Und eine Zeit ertrug ers, grämte sich
Geduldig, wußte nicht,
Wo es gebrach; indessen wuchs
Die Trunkenheit dem Volke; schaudernd
Vernahmen sie's, wenn ihm vom eignen Wort
Der Busen bebt', und sprachen:
So hören wir nicht die Götter!
Und Namen, so ich dir nicht nenne, gaben
Die Knechte dann dem stolzen Trauernden.
Und endlich nimmt der Durstige das Gift,
Der Arme, der mit seinem Sinne nicht
Zu bleiben weiß und Ähnliches nicht findet,
Er tröstet mit der rasenden
Anbetung sich, verblindet, wird, wie sie,
Die seelenlosen Aberglaubigen;
Die Kraft ist ihm entwichen,
Er geht in einer Nacht, und weiß sich nicht
Herauszuhelfen und wir helfen ihm.[98]
MEKADES.
Des bist du so gewiß?
HERMOKRATES.
Ich kenn ihn.
MEKADES.
Ein übermütiges Gerede fällt
Mir bei, das er gemacht, da er zuletzt
Auf der Agora war. Ich weiß es nicht,
Was ihm das Volk zuvor gesagt; ich kam
Nur eben, stand von fern – Ihr ehret mich,
Antwortet' er, und tuet recht daran;
Denn stumm ist die Natur,
Es leben Sonn und Luft und Erd und ihre Kinder
Fremd umeinander,
Die Einsamen, als gehörten sie sich nicht.
Wohl wandeln immerkräftig
Im Göttergeiste die freien
Unsterblichen Mächte der Welt
Rings um der andern
Vergänglich Leben,
Doch wilde Pflanzen
Auf wilden Grund
Sind in den Schoß der Götter
Die Sterblichen alle gesäet
Die Kärglichgenährten und tot
Erschiene der Boden, wenn Einer nicht
Des wartete, lebenerweckend,
Und mein ist das Feld. Mir tauschen
Die Kraft und Seele zu Einem,
Die Sterblichen und die Götter.
Und wärmer umfangen die ewigen Mächte[99]
Das strebende Herz und kräftger gedeihn
Vom Geiste der Freien die fühlenden Menschen,
Und wach ists! Denn ich
Geselle das Fremde,
Das Unbekannte nennet mein Wort,
Und die Liebe der Lebenden trag
Ich auf und nieder; was Einem gebricht,
Ich bring es vom andern, und binde
Beseelend, und wandle
Verjüngend die zögernde Welt
Und gleiche keinem und Allen.
So sprach der Übermütige.
HERMOKRATES.
Das ist noch wenig. Aergers schläft in ihm.
Ich kenn ihn, kenne sie, die überglücklichen
Verwöhnten Söhne des Himmels,
Die anders nicht, denn ihre Seele, fühlen.
Stört einmal sie der Augenblick heraus –
Und leichtzerstörbar sind die Zärtlichen –
Dann stillet nichts sie wieder, brennend
Treibt eine Wunde sie, unheilbar gärt
Die Brust. Auch er! so still er scheint,
So glüht ihm doch, seit ihm das Volk mißfällt,
Im Busen die tyrannische Begierde,
Er oder wir! Und Schaden ist es nicht,
So wir ihn opfern. Untergehen muß
Er doch!
MEKADES.
O reiz ihn nicht! schaff ihr nicht Raum und laß
Sie sich ersticken, die verschloßne Flamme!
Laß ihn! gib ihm nicht Anstoß! findet den[100]
Zu frecher Tat der Übermütge nicht,
Und kann er nur im Worte sündigen,
So stirbt er, als ein Tor, und schadet uns
Nicht viel. Ein kräftger Gegner macht ihn furchtbar.
Sieh nur, dann erst, dann fühlt er seine Macht.
HERMOKRATES.
Du fürchtest ihn und alles, armer Mann!
MEKADES.
Ich mag die Reue nur mir gerne sparen,
Mag gerne schonen, was zu schonen ist.
Das braucht der Priester nicht, der alles weiß,
Der Heilge der sich alles heiliget.
HERMOKRATES.
Begreife mich, Unmündiger! eh du
Mich lästerst. Fallen muß der Mann; ich sag
Es dir und glaube mir, wär er zu schonen,
Ich würd es mehr, wie du. Denn näher ist
Er mir, wie dir. Doch lerne dies:
Verderblicher denn Schwert und Feuer ist
Der Menschengeist, der götterähnliche,
Wenn er nicht schweigen kann, und sein Geheimnis
Unaufgedeckt bewahren. Bleibt er still
In seiner Tiefe ruhn, und gibt, was not ist,
Wohltätig ist er dann, ein fressend Feuer,
Wenn er aus seiner Fessel bricht.
Hinweg mit ihm, der seine Seele bloß
Und ihre Götter gibt, verwegen
Aussprechen will Unauszusprechendes
Und sein gefährlich Gut, als wär es Wasser,
Verschüttet und vergeudet, schlimmer ists[101]
Wie Mord, und du, du redest für diesen?
Bescheide dich! Sein Schicksal ists. Er hat
Es sich gemacht und leben soll,
Wie er, und vergehn wie er, in Weh und Torheit jeder,
Der Göttliches verrät, und allverkehrend
Verborgenherrschendes
In Menschenhände liefert!
Er muß hinab!
MEKADES.
So teuer büßen muß er, der sein Bestes
Aus voller Seele Sterblichen vertraut?
HERMOKRATES.
Er mag es, doch es bleibt die Nemesis nicht aus,
Mag große Worte sagen, mag
Entwürdigen das keuschverschwiegne Leben,
Ans Tageslicht das Gold der Tiefe ziehn.
Er mag es brauchen, was zum Brauche nicht
Den Sterblichen gegeben ist, ihn wirds
Zuerst zu Grunde richten – hat es ihm
Den Sinn nicht schon verwirrt, ist ihm
Bei seinem Volke denn die volle Seele,
Die Zärtliche, wie ist sie nun verwildert?
Wie ist denn nun ein Eigenmächtiger
Geworden dieser Allmitteilende?
Der gütge Mann! wie ist er so verwandelt
Zum Frechen, der wie seiner Hände Spiel
Die Götter und die Menschen achtet.
MEKADES.
Du redest schröcklich, Priester, und es dünkt
Dein dunkel Wort mir wahr. Es sei!
Du hast zum Werke mich. Nur weiß ich nicht,[102]
Wo er zu fassen ist. Es sei der Mann
So groß er will, zu richten ist nicht schwer.
Doch mächtig sein des Übermächtigen,
Der, wie ein Zauberer, die Menge leitet,
Es dünkt ein anders mir, Hermokrates.
HERMOKRATES.
Gebrechlich ist sein Zauber, Kind, und leichter,
Denn nötig ist, hat er es uns bereitet.
Es wandte zur gelegnen Stunde sich
Sein Unmut um, der stolze stillempörte Sinn
Befeindet itzt sich selber, hätt er auch
Die Macht, er achtets nicht, er trauert nur,
Und siehet seinen Fall, er sucht
Rückkehrend das verlorne Leben,
Den Gott, den er aus sich
Hinweggeschwätzt.
Versammle mir das Volk; ich klag ihn an,
Ruf über ihn den Fluch, erschrecken sollen sie
Vor ihrem Abgott, sollen ihn
Hinaus verstoßen in die Wildnis
Und nimmer wiederkehrend soll er dort
Mirs büßen, daß er mehr, wie sich gebührt,
Verkündiget den Sterblichen.
MEKADES.
Doch wes beschuldigest du ihn?
HERMOKRATES.
Die Worte, so du mir genannt,
Sie sind genug.
MEKADES.
Mit dieser schwachen Klage
Willst du das Volk ihm von der Seele ziehn?[103]
HERMOKRATES.
Zu rechter Zeit hat jede Klage Kraft
Und nicht gering ist diese.
MEKADES.
Und klagtest du des Mords ihn an vor ihnen,
Es wirkte nichts.
HERMOKRATES.
Dies eben ists! die offenbare Tat
Vergeben sie, die Aberglaubigen,
Unsichtbar Aergernis für sie
Unheimlich muß es sein! ins Auge muß es
Sie treffen, das bewegt die Blöden.
MEKADES.
Es hängt ihr Herz an ihm, das bändigest,
Das lenkst du nicht so leicht! Sie lieben ihn!
HERMOKRATES.
Sie lieben ihn? ja wohl! solang er blüht'
Und glänzt'
Naschen sie.
Wollen sie mit ihm, nun er
Verdüstert ist, verödet? Da ist nichts
Was nützen könnt, und ihre lange Zeit
Verkürzen, abgeerntet ist das Feld.
Verlassen liegts, und nach Gefallen gehn
Der Sturm und unsre Pfade drüber hin.
MEKADES.
Empör ihn nur! empör ihn! siehe zu!
HERMOKRATES.
Ich hoffe, Mekades! er ist geduldig.[104]
MEKADES.
So wird sie der geduldige gewinnen!
HERMOKRATES.
Nichts weniger!
MEKADES.
Du achtest nichts, wirst dich
Und mich und ihn und alles verderben.
HERMOKRATES.
Das Träumen und das Schäumen
Der Sterblichen, ich acht es wahrlich nicht!
Sie möchten Götter sein, und huldigen
Wie Göttern sich, und eine Weile dauerts!
Sorgst du, es möchte sie der Leidende
Gewinnen, der Geduldige?
Empören wird er gegen sich die Toren,
An seinem Leide werden sie den teuern
Betrug erkennen, werden unbarmherzig
Ihms danken, daß der Angebetete
Doch auch ein Schwacher ist, und ihm
Geschiehet recht, warum bemengt er sich
Mit ihnen,
MEKADES.
Ich wollt, ich wär aus dieser Sache, Priester!
HERMOKRATES.
Vertraue mir und scheue nicht, was not ist.
MEKADES.
Dort kömmt er. Suche nur dich selbst,
Du irrer Geist! indes verlierst du alles.
HERMOKRATES.
Laß ihn! hinweg![105]
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