Zweiter Auftritt

[106] EMPEDOKLES allein.

In meine Stille kamst du leise wandelnd,

Fandst drinnen in der Halle Dunkel mich aus,

Du Freundlicher! du kamst nicht unverhofft

Und fernher, wirkend über der Erde vernahm

Ich wohl dein Wiederkehren, schöner Tag

Und meine Vertrauten euch, ihr schnellgeschäftgen

Kräfte der Höh! – und nahe seid auch ihr

Mir wieder, seid wie sonst ihr Glücklichen

Ihr irrelosen Bäume meines Hains!

Ihr ruhetet und wuchst und täglich tränkte

Des Himmels Quelle die Bescheidenen

Mit Licht und Lebensfunken säte

Befruchtend auf die Blühenden der Aether. –

O innige Natur! ich habe dich

Vor Augen, kennest du den Freund noch,

Den Hochgeliebten, kennest du mich nimmer?

Den Priester, der lebendigen Gesang,

Wie frohvergoßnes Opferblut, dir brachte?

O bei den heilgen Brunnen,

Wo Wasser aus Adern der Erde

Sich sammeln und

Am heißen Tag

Die Dürstenden erquicken! in mir,

In mir, ihr Quellen des Lebens, strömtet

Aus Tiefen der Welt ihr einst

Zusammen und es kamen[106]

Die Dürstenden zu mir – wie ists denn nun?

Vertrauert? bin ich ganz allein?

Und ist es Nacht hier außen auch am Tage?

Der höhers, denn ein sterblich Auge, sah

Der Blindgeschlagene tastet nun umher –

Wo seid ihr, meine Götter?

Weh! laßt ihr nun

Wie einen Bettler mich

Und diese Brust

Die liebend euch geahndet,

Was stoßt ihr sie hinab

Und schließt sie mir in schmählichenge Bande

Die Freigeborene, die aus sich

Und keines andern ist? und wandeln soll

Er nun so fort, der Langverwöhnte,

Der selig oft mit allen Lebenden

Ihr Leben, ach, in heiligschöner Zeit

Sie, wie das Herz gefühlt von einer Welt,

Und ihren königlichen Götterkräften,

Verdammt in seiner Seele soll er so

Da hingehn, ausgestoßen? freundlos er,

Der Götterfreund? an seinem Nichts

Und seiner Nacht sich weiden immerdar

Unduldbares duldend gleich den Schwächlingen, die

Ans Tagewerk im scheuen Tartarus

Geschmiedet sind. Was daherab

Gekommen? um nichts? ha! Eines,

Eins mußtet ihr mir lassen! Tor! bist du

Derselbe doch und träumst, als wärest du

Ein Schwacher. Einmal noch! noch Einmal

Soll mirs lebendig werden, und ich wills!

Fluch oder Segen! täusche nun die Kraft[107]

Demütiger! dir nimmer aus dem Busen!

Weit will ichs um mich machen, tagen solls

Von eigner Flamme mir! Du sollst

Zufrieden werden, armer Geist,

Gefangener! sollst frei und groß und reich

In eigner Welt dich fühlen –

Und wieder einsam, weh! und wieder einsam?

Weh! einsam! einsam! einsam!

Und nimmer find ich

Euch, meine Götter,

Und nimmer kehr ich

Zu deinem Leben, Natur!

Dein Geächteter! – weh! hab ich doch auch

Dein nicht geachtet, dein

Mich überhoben, hast du

Umfangend doch mit den warmen Fittigen einst

Du Zärtliche! mich vom Schlafe gerettet?

Den Törigen ihn, den Nahrungsscheuen,

Mitleidig schmeichelnd zu deinem Nektar

Gelockt, damit er trank und wuchs

Und blüht', und mächtig geworden und trunken,

Dir ins Angesicht höhnt' – o Geist,

Geist, der mich groß genährt, du hast

Dir deinen Herrn, hast, alter Saturn,

Dir einen neuen Jupiter

Gezogen, einen schwächern nur und frechern.

Denn schmähen kann die böse Zunge dich nur,

Ist nirgend ein Rächer, und muß ich denn allein

Den Hohn und Fluch in meine Seele sagen?

Muß einsam sein auch so?[108]


Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 106-109.
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