Lied eines Mädchens
auf den Tod ihrer Gespielin

[170] Vier trübe Monden sind entflohn,

Seit ich getrauert habe;

Der falbe Wermuth grünet schon

Auf meiner Freundin Grabe.

Da horch ich oft, im Mondenglanz,

Der Grillen Nachtgesange;

Und lehn an ihren Todtenkranz

Die bleichgehärmte Wange.


Da sitz ich armes, armes Kind

Im kalten Abendhauche;

Und manche Sehnsuchtsthräne rinnt

Am falben Wermuthstrauche.

Der Ahorn und die Linde wehn

Mir bange Seelenschauer;

Und hohe, düstre Schatten gehn

Rings an der Kirchhofmauer.


Die Kirchenfenster regen sich,

Es regen sich die Glocken,

Es glänzt, mich däucht, ich schaue dich,

Und deine hellen Locken.

Der Mond ists, so der Wolk entrollt,

Ins Kirchenfenster schimmert,

Am rothen Band, am Flittergold

Der Todtenkränze flimmert.
[170]

O komm zurück, o komm zurück

Von deines Gottes Throne,

O komm, auf einen Augenblick,

In deiner Siegerkrone.

In deinem neuen Engelreiz

Erscheine mir, erscheine,

Wenn ich, gelehnt ans schwarze Kreuz,

Auf deinem Grabe weine!
[171]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 170-172.
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