Der Beleidiger der Majestät

[93] Ein König, dem an Macht und Weisheit keiner glich,

Erwies sich jederzeit im Herrschen väterlich.[93]

Sein Liebling, dessen Glück, so lang' er treulich diente,

So, wie ein starker Baum an frischen Quellen, grünte,

Verscherzte seine Huld durch schnöden Hochverrath,

Ward Seiner Feinde Freund, verwirrte Seinen Staat,

Und durfte durch Gewalt Gesetz und Recht vernichten,

Mit Blut sich Häuser baun, und um Geschenke richten.


Der gütige Monarch ermahnt' ihn mit Geduld,

Und sprach: Undankbarer! verehre meine Huld,

Die Huld, die deinen Stand mit reichem Segen schmücket,

So kräftig dich beschützt, so unverdient beglücket;

Du sollst, der höchsten Schmach und Strafe zu entgehn,

Was du verübet hast, mir insgeheim gestehn.

Erkenne deine Schuld, so wird sie dir vergeben:

Das Leben schenk' ich dir, nur weihe mir dein Leben.


Den Frevler, dessen Herz ein Herz voll Tücke war,

Erweicht' und schreckte nichts. Er lachte der Gefahr.

Drauf ward er, ein Gefühl der Reue zu erlangen,

Recht über einer Kluft an Faden aufgehangen:

Die schnitt man nach und nach, und immer einzeln, ab,

Da ihm des Richters Gunst stets neue Fristen gab.

Man hoffte, doch umsonst, er würde sich noch fassen,

Selbst sein Erretter sein, und nicht sein Leben hassen.


Er sah, und sah auch nicht die Größe seiner Noth,

Die Folge blinder Wahl, den stündlich nähern Tod.

Kein Schrecken, keine Reu' erweckte sein Gewissen.

Der Thor verblich verstockt, bis alle Faden rissen,

Und der Unselige fand seiner Bosheit Ziel,

Als er, beim letzten Schnitt, in Kluft und Abgrund fiel.


Der Herr, der Heilige, der Richter unsrer Väter,

Ist der Monarch voll Huld; der Mensch der Missethäter;

Ein Faden jedes Jahr, das Er zur Buße gönnt;

Die Kluft der ew'ge Pful, der jeden Frevler brennt,

Der wider eignes Heil mit frecher Unart streitet,

Und den nicht Huld noch Ernst den Weg des Lebens leitet.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 93-94.
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