Johann, der Seifensieder

[142] Johann, der muntre Seifensieder,

Erlernte viele schöne Lieder,

Und sang, mit unbesorgtem Sinn,

Vom Morgen bis zum Abend hin,

Sein Tagwerk konnt' ihm Nahrung bringen:

Und wann er aß, so mußt' er singen;

Und wann er sang, so war's mit Lust,

Aus vollem Hals und freier Brust.

Beim Morgenbrod, beim Abendessen

Blieb Ton und Triller unvergessen;

Der schallte recht; und seine Kraft

Durchdrang die halbe Nachbarschaft.[142]

Man horcht; man fragt: Wer singt schon wieder?

Wer ist's? Der muntre Seifensieder.


Im Lesen war er anfangs schwach;

Er las nichts, als den Almanach,

Doch lernt' er auch nach Jahren beten,

Die Ordnung nicht zu übertreten,

Und schlief, dem Nachbar gleich zu sein,

Oft singend, öfter lesend, ein.

Er schien fast glücklicher zu preisen,

Als die beruf'nen sieben Weisen,

Als manches Haubt gelehrter Welt,

Das sich schon für den achten hält.


Es wohnte diesem in der Nähe

Ein Sprößling eigennütz'ger Ehe,

Der, stolz und steif und bürgerlich,

Im Schmausen keinem Fürsten wich:

Ein Garkoch richtender Verwandten,

Der Schwäger, Vettern, Nichten, Tanten,

Der stets zu halben Nächten fraß,

Und seiner Wechsel oft vergaß.


Kaum hatte mit den Morgenstunden

Sein erster Schlaf sich eingefunden,

So ließ ihm den Genuß der Ruh'

Der nahe Sänger nimmer zu.

Zum Henker! lärmst du dort schon wieder,

Vermaledeiter Seifensieder?

Ach wäre doch, zu meinem Heil,

Der Schlaf hier, wie die Austern, feil!


Den Sänger, den er früh vernommen,

Läßt er an einem Morgen kommen,

Und spricht: Mein lustiger Johann!

Wie geht es euch? Wie fangt ihr's an?

Es rühmt ein jeder eure Waare:

Sagt, wie viel bringt sie euch im Jahre?


Im Jahre, Herr? mir fällt nicht bei,

Wie groß im Jahr mein Vortheil sei.[143]

So rechn' ich nicht; ein Tag bescheeret,

Was der, so auf ihn kömmt, verzehret.

Das folgt im Jahr (ich weiß die Zahl)

Dreihundertfünfundsechzig Mal.


Ganz recht; doch könnt ihr mir's nicht sagen,

Was pflegt ein Tag wol einzutragen?


Mein Herr, ihr forschet allzusehr:

Der eine wenig, mancher mehr;

So wie's dann fällt: Mich zwingt zur Klage

Nichts, als die vielen Feiertage;

Und wer sie alle roth gefärbt,

Der hatte wol, wie ihr, geerbt,

Dem war die Arbeit sehr zuwider,

Das war gewiß kein Seifensieder.


Dies schien den Reichen zu erfreun.

Hans, spricht er, du sollst glücklich sein.

Jetzt bist du nur ein schlechter Prahler.

Da hast du baare fünfzig Thaler:

Nur unterlasse den Gesang.

Das Geld hat einen bessern Klang.


Er dankt, und schleicht mit scheuem Blicke,

Mit mehr als diebscher Furcht zurücke.

Er herzt den Beutel, den er hält,

Und zählt, und wägt, und schwenkt das Geld,

Das Geld, den Ursprung seiner Freude,

Und seiner Augen neue Weide.


Es wird mit stummer Lust beschaut,

Und einem Kasten anvertraut,

Den Band und starke Schlösser hüten,

Beim Einbruch Dieben Trotz zu bieten;

Den auch der karge Thor bei Nacht

Aus banger Vorsicht selbst bewacht.

Sobald sich nur der Haushund reget,

Sobald der Kater sich beweget,

Durchsucht er alles, bis er glaubt,

Daß ihn kein frecher Dieb beraubt;[144]

Bis, oft gestoßen, oft geschmissen,

Sich endlich beide packen müssen:

Sein Mops, der keine Kunst vergaß,

Und wedelnd bei dem Kessel saß:

Sein Hinz, der Liebling junger Katzen;

So glatt von Fell, so weich von Tatzen.


Er lernt zuletzt, je mehr er spart,

Wie oft sich Sorg' und Reichthum paart,

Und manches Zärtlings dunkle Freuden

Ihn ewig von der Freiheit scheiden,

Die nur in reine Seelen strahlt,

Und deren Glück kein Gold bezahlt.


Dem Nachbar, den er stets gewecket,

Bis der das Geld ihm zugestecket,

Dem stellt er bald, aus Lust zur Ruh',

Den vollen Beutel wieder zu,

Und spricht: Herr, lehrt mich bess're Sachen,

Als, statt des Singens, Geld bewachen.

Nehmt immer euren Beutel hin,

Und laßt mir meinen frohen Sinn.

Fahrt fort, mich heimlich zu beneiden.

Ich tausche nicht mit euren Freuden.

Der Himmel hat mich recht geliebt,

Der mir die Stimme wieder gibt.

Was ich gewesen, werd' ich wieder:

Johann, der muntre Seifensieder.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 142-145.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon