Paulus Purganti und Agnese

[177] War nicht der Arzt Purganti zu beklagen?

Er hatt' in seinen alten Tagen

Ein schwaches Haubt, und einen schwächern Leib,

Auch überdieß, zum Zuwachs seiner Plagen,

Ein junges Weib.


Sie hieß Agnes, und war ein Bild der Zucht;

Es macht ihr großer Ruhm, des frommen Wandels Frucht,

Das ganze Kirchspiel stolz. Man sprach in langer Zeit

Bei jeder Wöchnerin, bewundernd ohne Neid,

Nur von Agnesens Ehrbarkeit.

Auf ihrem Bücherschrank stand niemals ein Roman,

Doch wol ein Quirsfeld, Kern, Schmuck, Albrecht, Wudrian.

Sie war insonderheit der Oper feind gewesen,

Und hatte, wie, vor ihr, fast niemand sonst gethan,

Den Cubach dreimal durchgelesen.[177]

Asmodi selbst verlor das Herz,

Die starke Gläubige durch List zu überwinden,

Denn sie verfluchte wilden Scherz,

Und trotzte gar den Schwachheitsünden.

Oft ward von ihr, die Andacht zu entzünden,

Ein geistlicher Choral auf dem Clavier gespielt,

Und, wie man mir entdeckt, dem Spiegel zugeschielt,

Nur ihr Gesicht aufmerksam zu betrachten,

Um jeden Theil davon großmüthig zu verachten.


Allein, sie war ganz heimlich von der Art,

Die keusche Reden gern mit Liebeswerken paart.

Den ird'schen Trieb der Lüsternheit,

Entsündigte des Eh'stands Schuldigkeit,

Und einer tugendhaften Brust

Wird immer jede Pflicht zur Lust.


Agnese, das getreue Weib,

Verpflegt des theuren Gatten Leib,

Sie weiß ihm von gesunden Speisen

Die trefflichsten stets anzupreisen;

Was aber schwächet oder zehrt,

Wird ihm mit vielem Recht verwehrt,

Sie wärmt und würzt des Mannes Wein,

Und schneidet ihm die Bissen klein,

Legt Mark und Nieren reichlich vor,

Drückt seine Hand, zupft ihn an's Ohr,

Um durch dergleichen Schmeicheleien

Den alten Paulus zu erfreuen.


Die Dankbarkeit ist eine schwere Last:

Zu vieles Zärtlichthun wird endlich auch verhaßt.

Der Alte fand sein Schätzchen zu geschäftig,

Und ihre Liebe viel zu heftig.

Er suchte bald in allen diesen Werken

Mehr Eigennutz, als Neigung zu bemerken.

Den tauben Ottern gleich, wann ihr Beschwörer spricht,

Hört er die süßen Worte nicht;

Der Name: Schätzchen, Engel, Leben,

Wird ihm zwar oft, doch stets umsonst, gegeben.
[178]

So oft, als mitten in der Nacht

Purganti schnarcht, Agnese wacht,

Und, durch ein falsch' Gespenst geschrecket,

Sich zum Gemahl, so nah' als möglich, strecket,

Und durch ein Mäulchen ihn erwecket,

Gibt diese Dreistigkeit ihm neues Ungemach;

Er sinnt den Gegenmitteln nach,

Um dem zu weibischen Bezeigen

In Zukunft bestens vorzubeugen.


Durch Macht und Widerstand? Ach nein!

Was konnt' ihm hierzu Muth verleihn?

Er krieget, wie der Fabius,

Der durch Verzug gewinnen muß.


Was soll man von dem Ritter sagen,

Der weder fliehen darf, noch schlagen,

Der, wann der Schranken offen steht,

Nicht kämpft, auch nicht um Gnade fleht?


Wo die Gewalt unbrauchbar ist,

Bedient' ein Weiser sich der List.

Der Arzt, der seinen Gegner scheut,

Kirrt ihn durch falsche Freundlichkeit,

Und er erwiedert oft der Frauen Morgenkuß

Ganz liebreich, sonder Ueberdruß.

Drauf fragt er: Was ist dir geschehn?

Du pflegst ja frischer auszusehn.

Sie muß ihm ihre Rechte reichen:

Hier sind, spricht er, gar schlimme Zeichen:

Ein Puls, der viel zu heftig schlägt.

Noch mehr! ein Auge voller Glut,

Und eine heiße Brust, die sich zu sehr bewegt!

Dieß, sonderlich die Brust, die nimmer ruht!

Bezeugt ein wallendes, ein angestecktes Blut,

Das einen schnellen Tod hervorzubringen pflegt.

So urtheilt Musitan. Der Brunnen scheint hier gut,

Der Spaer sonderlich, der rechte Wunder thut ...

Der Spaer? Eben der! Kurz, es gedeiht zum Schluß,

Daß Agnes ungesäumt den Brunnen brauchen muß.
[179]

Doch fehlte sehr des Doctors Wissenschaft:

Unkräftig ist allhier der Wasser Wunderkraft.

Die in der Heilungskunst gewandt,

Sind andrer Meinung, als Purgant,

Und vom Galen zum Sternenkalb

Lehrt jeder Arzt, dies Mittel hilft nicht halb:

Zumal, wann solch ein brennend Gift

Des Körpers edle Theile trifft,

Und mit dem Kreislauf vom Geblüt'

Allmählich sich um's Herze zieht.


Agnese trinkt und leert mit Widerwillen

Zwölf Flaschen aus, bedient sich auch der Pillen.

Allein umsonst: nichts kann die Krankheit stillen.

Es meldet sich der erste Brand,

So wie zuvor, in Brust und Hand.

Sie ächzt und seufzt ohn' Unterlaß,

Und sagt, ihr fehlt sie weiß nicht was,

Und kömmt zum Eh'herrn oft gerannt,

Lechzt, klaget, flehet, girrt, und sieht ihn sehnend an.

Dies hätte mich gerührt; doch rührt' es nicht den Mann,

Der ist kaum ihres Flehns gewärtig,

So hält er zum voraus sich mit der Ausflucht fertig.


Anstatt der thät'gen Lieb' und Huld,

Spricht er zu ihr nur von Geduld,

Von Selbstverläugnung und Beschwerden,

Wann Leib und Fleisch geprüfet werden,

Und wie, seit Evens Näscherei,

Der Weiber Erbtheil Leiden sei;

Daß die Entzündung, die sie fühlt,

Sich durch kein mürrisch Winseln kühlt;

Sie müsse nur der Ruhe pflegen,

Die Augen schließen, sich nicht regen,

Sich immer auf die Seite legen,

Und ihre Kniee nicht bewegen.


Doch ende bald, Thalia, den Gesang:

Kein Märchen schickt sich gar zu lang.


Je mehr Purganti spricht, und lehrt,

Je minder wird sein Weib bekehrt.[180]

Ihr Fieber äußert sich bald wieder,

Sie schlägt die Augen züchtig nieder,

Und lispelt: Schatz, ich wollte wol ...

Was willst du? ruft er eifersvoll,

Beim Brunnentrinken? Bist du toll?

Du willst: du willst; doch ist gewiß

Kein Gift dir schädlicher, als dies.

Ach! ach! wann werden doch auf Erden

Die Weiber einmal klüger werden?

Ich werd' es thun; doch magst du wissen,

Du wirst vor morgen sterben müssen.


Agnes.


Was du mir sagst, mein Herz, ist wahr,

Auch ich erkenne die Gefahr.

Allein, was ist dies schnöde Leben,

Die kurze Wallfahrt? Mühe, Pein.

Muß ich nicht immer fertig sein,

Für dich, mein Kind, es aufzugeben?

Den Tod muß nur ein Weltkind scheun;

Ich aber will, du sollst es sehn,

Ihm lächelnd jetzt entgegen gehn.


Purganti stutzt, erwiedert zwar mit Küssen;

Jedoch den Mord verbietet sein Gewissen.

Er selbst wird kurz darauf ihr durch den Tod entrissen.

Seht, wie bei höchster Noth der Himmel Trost ertheilt!

Die fromme Wittwe traurt, freit wieder, wird geheilt.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 177-181.
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