Philemon und Baucis

[172] Poeten wissen tausend Sachen,

Die in dem groben Theil der Welt

Der Wahn und Aberwitz belachen,

Und Einfalt für unmöglich hält.

Wir singen: Boreas muß schweigen;

Der Wald erstaunt; es horcht das Meer;

Und wenn wir uns recht wild erzeigen,

So kömmt der Mond gehorsam her.


Wer untersteht sich, uns zu schimpfen,

Als der nicht Mida's Strafe weiß?

Wer macht aus Schiffen schöne Nymphen,

Aus Daphnens Haar ein Lorbeerreis,

Aus Byblis Zähren eine Quelle,

Aus Jupiter Europens Stier?

Wer führt den Orpheus in die Hölle?

Wer hat es wol gethan, als wir?


Daß Götter zu den Menschen kommen,

Wie Phrygien längst wahr befand,

Beschwuren sonst die alten Frommen,

Und ist nur Dichtern recht bekannt.

Wie zärtlich sie der Welt gewogen,

Lehrt aus Philemons güldner Zeit

Ovidius, der nie gelogen,

Und Swift, der Ruhm der Geistlichkeit.


Weil von der Unterwelt zu den gestirnten Höhen

Die Boten selten richtig gehen,

Fiel zween weisen Göttern ein,

Als Wanderer, um nicht erkannt zu sein,[172]

Den Erdkreis selber zu besehen.

Kurz: es gesellte sich, aus großer Menschenliebe,

Zum Donnergott der Gott der Diebe.


Der schlaue Jupiter entging durch diese Flucht

Der alten Juno Eifersucht,

Die ihm den Nectar längst vergällte,

Und was er als ein Stier und Schwan,

Und in der Jugend sonst gethan,

Ihm täglich unter Augen stellte.

Dem Vater folgt Mercur mit kindlich-frohem Muth,

Doch ohne Federhut.


Sie hatten bald, was man die Welt genannt,

Das narrenvolle Rund bis dahin durchgerannt,

Wohin vielleicht nicht ich, noch du, mein Leser, kommen,

Bis an Mäanders fernen Strand.

Als Licht und Tag nun abgenommen,

Erblickten sie, zu ihrer linken Hand,

Ein hohes Schloß, das Ueppigkeit und Pracht

Dem Uebermuth zum Sitz gemacht.

Hier wohnt, und schwelgt ein trotziger Dynast,

Des armen Landes reiche Last,

Der Liebling eines Herrn, dem oft-geschätzte Horden

In treuer Blöße zinsbar worden.

Bei diesem suchten jetzt die Götter kurze Rast,

Sie stellten sich, nach wahrer Pilger Weise,

Vom Mangel ausgezehrt, ermüdet von der Reise,

Und flehten sehr um Streu' und Speise.

Vergebens flehten sie; man wies sie höhnisch ab;

Und als Mercur sich gar ins Schloß begab,

So fand auch er, je mehr er bat:

Nichts sei vermess'ner, stolzer, kühner,

Als kleiner Herren kleine Diener,

So oft man ihrer nöthig hat.


Sie eilen schnell in manches Reichen Haus,

Allein viel schneller noch heraus.

Noch etwas wird versucht: Sie klopfen an die Hütte,

Die einsam in dem Thale steht.[173]

Hier wiederholt Mercur die Bitte,

Und hier nur wird er nicht verschmäht.


Hier lebet, ohne Mißvergnügen,

Und durch die Heilungskraft der Zeit

Von allen Regungen der Eifersucht befreit,

Ein unbeerbt, zugleich veraltend Paar,

Dem, durch des Schicksals seltnes Fügen,

Der langen Ehe Joch nicht unerträglich war.


Der Mann, Philemon, geht, und nöthigt sie herein,

Führt beide vor den Herd, heißt beide fröhlich sein,

Ruft das geliebte Weib, und Baucis kömmt auf Krücken.

Sie grüßet jeden Gast mit treuem Händedrücken,

Das endlich Jupiter, der wohl zu leben wußte,

Durch einen Kuß vergelten mußte.

So ist's, durch einen Kuß; jedoch nur auf die Wangen;

Nicht mit dem Nachdruck und Verlangen,

Womit er oft an Ledens Mund gehangen;

Und gleichwol flößt in ihre Brust

Der träge Kuß recht jugendliche Lust.

Sie stoppelt Scheit und Stroh schon hurtiger zusammen.

Ein Bündel Reiser wird auf dürren Kien gelegt,

Und, als sie Asch' und Kohlen aufgeregt,

Facht, bläst und hustet sie den ganzen Stoß zu Flammen.

Hierauf wird warme Milch, nebst Feld- und Gartenfrüchten,

In irdnen Schüsseln aufgetischt,

Bei ungleich-größrer Lust, als wo das Splitterrichten

Die theuren Bissen würzt, wo Fluch und Wein sich mischt,

Der Schelsucht Auge glüht, der Bosheit Zunge zischt.


Die Fremden besser zu erfreuen,

Umsteckt der milde Wirth den Tisch mit dichten Maien,

Sucht seinen Witz hervor, der, nach des Landmanns Art,

Mit Worten spielt, und kein Gelächter spart,

Und schwatzt vom Ackerbau, vom Wiesewachs, von Saaten;

Wie heuer recht nach Wunsch des Nachbars Korn gerathen.

Frau Baucis aber lehrt der Wittrung Eigenschaft,

Der Seuchen Art, der Kräuter Kraft,

Und sagt den neuen Tischgenossen,

Wie viele Jahr' in ihrer Eh' verflossen;[174]

Wie dieses Dach von Schilf, und den geschwärzten Herd

Ihr langer Fleiß erbaut, und noch kein Fluch beschwert;

Was sie besitzen, was noch fehlt,

Das alles wird jetzt hererzählt;

Auch wie sie neulich erst was Herrliches geerbet:

Und was? Ein Trinkgeschirr, das noch nicht abgenützt,

Woran Silen, der sich auf Keltern stützt,

Und mit Satyren zecht, aus Buchenholz geschnitzt:

Auf dessen Deckel sei: Philemon, eingekerbet.

Sie fordert's, und er bringt's, voll Most,

Zum süßen Schluß der Abendkost.


Das frische Naß wird treulich eingesogen;

Doch füllet sich von selbst der Becher wieder an.

Die Alte sieht's bestürzt, es stutzt der Biedermann,

Der weder Freund noch Feind in seinem Trunk betrogen.

Nachdem er ihn von neuem ausgebracht,

Hat er auf jeden Gast nunmehr gedoppelt Acht,

Bis Jupiter sich kenntlich macht.


Er sagt: Wir sprechen nicht als Spötter;

Vernehmt die Wahrheit: Wir sind Götter.

Herr Wirth, Frau Wirthin, glaubt es nur:

Ich bin der Zeus, er ist Mercur.

Ihr zweifelt? Können Götter lügen?

Wißt: Ich kann donnern, er kann fliegen.


Philemon schielt ihn an. Ein Strahl vom innern Licht

Erheitert seinen Blick: er glaubt, und klügelt nicht.

Ein heil'ger Schauer fährt durch Baucis kalte Glieder.

Sie sehn im Gast den Gott, und fallen vor ihm nieder.

Ihr Götter! sagt der Greis, wie gütig nehmt ihr an,

Was euch die Dürftigkeit wohlmeinend reichen kann.

Es ist kein Sterblicher an Glück uns gleich zu nennen:

O hätten wir nach Wunsch euch jetzt bewirthen können!

Doch aller Ueberfluß im schönsten Speisesaal

Ist mangelhaft und schlecht zu einem Göttermahl.

Wo solche Gäste selbst die Tafel schmücken wollen,

Muß Erde, Meer und Luft die besten Schüsseln zollen.


Es tagt, und Majens Sohn führt das entzückte Paar

Den hohen Berg hinan, der in der Nähe war.[175]

Hier spricht der Donnergott: Der Bosheit Lauf zu hemmen,

Soll der Mäanderfluß die Frevler überschwemmen.

Er winkt: der Strom gehorcht. Man sieht das Schloß, das Land,

Wo sich kein liebreich Aug' auf fremde Noth gewandt.

Von Wind und Flut bestürmt, mit Schrecken untergehen.

Philemons Wohnung bleibt auf einer Insel stehen;

Doch nicht als Hütte mehr. Was Schilf, was irden war,

Wird Marmor oder Gold; ihr Tischchen zum Altar;

Die Kann' ein Opferkelch; die Pfosten werden Säulen;

Und, mehr Bequemlichkeit dem Tempel zu ertheilen,

Ihr Bett ein Kirchensitz, der noch, nach alter Kraft,

Die Hörer gähnen lehrt, und oft den Schlaf verschafft.


Dieß große Wunderwerk erweckt den treuen Beiden

Verwirrung, stumme Lust und ehrfurchtreiche Freuden,

Erstaunen, Dankbarkeit und neue Zuversicht,

Bis unser Phrygier das Schweigen unterbricht:

Ach! möchte Jupiter mich Armen würdig finden,

In diesem neuen Bau die Opfer anzuzünden,

Des Lebens Ueberrest, als Priester, ihm zu weihn!

O sollt' ihm diese Hand den ersten Weihrauch streun!


Der Gott erhöret ihn, und will ihm auch vergönnen,

Nebst ihr noch einen Wunsch ohn' Anstand thun zu können.

Falls, ruft Philemon aus, ein Flehen dir gefällt,

Das jetzt die Liebe wagt, die uns zuerst gesellt;

Wird mir und Baucis einst der Tod zugleich erscheinen,

Und keines je von uns des andern Grab beweinen!

Der Wunsch der Zärtlichkeit, der Wünsche Widerspiel,

Die oft der Ehstand heckt, erreicht sein edles Ziel.

Der Götter Gunst verspricht's. Ein Donner läßt sich hören;

Der Blitz zertheilt die Luft; Zeus eilt durch alle Sphären.


Hievon verbreitet sich der bald erschollne Ruhm,

Und jedermann besucht das neue Heiligthum;

Zum Theil, Philemon selbst um alles zu befragen;

Zum Theil, aus frommer Pflicht ihm Gaben anzutragen,

Die er, voll vom Beruf, den ihm sein Glück bestimmt,

Mit priesterlicher Hand oft abweist, öfter nimmt.
[176]

An einem Feiertag, als er im Vorhof gehet,

Und Reisenden erzählt, woher der Bau entstehet,

Verwandelt sich sein Haubt; zu Blättern wird das Haar;

Den Leib deckt Rind' und Moos; und Baucis wird gewahr,

Und suchet, doch umsonst, ihm ihre Hand zu reichen.

Sie wird zum Lindenbaum, so wie ihr Mann zur Eichen.

Der wohlerfüllte Wunsch ist ihrer Treue Lohn,

Und jeder Vater zeigt die Bäume seinem Sohn.

Man siehet ihre Zweig' am allerschönsten grünen,

Und vielen Liebenden mit holdem Schatten dienen.

Der Ruf legt ihnen bald die Zauberwirkung bei:

Hier reize Laub und Gras zur süßen Buhlerei.

Man sagt gar, daß allhier auch spröde Schäferinnen

Das Schmeicheln, und zuletzt den Schmeichler liebgewinnen;

Daß manche, deren Stolz den Hirten widerstand,

Zum erstenmal ihr Herz hier voller Mitleid fand;

Daß einer Phyllis Kuß den Lycas hier beglücket,

Und er sie drauf gelehrt, was noch weit mehr entzücket.

Der nächste Lenz verrieth die ihm erzeigte Huld,

Der Baum, der arme Baum, nicht Phyllis, trug die Schuld.

Die Mutter hätte bald Philemon nebst der Frauen,

Wenn Zeus sie nicht beschützt, erbärmlich abgehauen.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 172-177.
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