Philippus, König in Macedonien, und Alster

[136] Oft ist der Witz ein scharfes Schwert,

Das plötzlich aus der Scheide fährt,

Und, den es schützen soll, verletzet.

Der Einfalt offnes Maul bleibt, ihr zum Vortheil, stumm;

Ihr Schweigen nutzet, und ergötzet;

Und jener Amme Wunsch wird billig hochgeschätzet,

Die zu dem Säugling sprach: Mein liebstes Kind, sei dumm!


Philippus Beispiel macht den Satz der Klugheit wahr:

Zu sinnreich sein bringt oft Gefahr.

Wie strafte diesen großen König

Ein Scherz, der ihm zu schnell entfiel!

Ein einz'ger Feind ist schon zu viel,

Und hundert Freunde sind zu wenig.


Philippus war bemüht, in Thracien zu dringen,

Und in dem Hinzug noch Methone zu bezwingen,

Als Alster, den man dort den besten Schützen hieß,

Sich diesem Könige zum Dienst entbieten ließ.[136]

Ihn rühmten Hof und Land; von allen ward erzählet,

Nur dieser habe nie der Schüsse Ziel verfehlet,

Weil sein geschwinder Pfeil, dem er die Kraft ertheilt,

Oft Vögel in der Luft im stärksten Flug ereilt.

Wohl! sprach Amynta's Sohn, wann wir mit Staaren streiten,

So soll er ganz gewiß beim Angriff uns begleiten.


Das scheint fürtrefflich schön; denn wer bewundert nicht

Den göttlichen Verstand, so oft ein König spricht?


Der Schütze, seine Kunst nicht mehr verhöhnt zu sehen,

Eilt, den Belagerten rachsüchtig beizustehen.

Er flieht in ihre Stadt, verstärkt die Gegenwehr,

Und machet Sturm und Sieg dem stolzen Heere schwer,

Das plötzlich sich gescheucht und voll Bestürzung fühlet,

Weil Alsters scharfer Pfeil, der auf den König zielet,

Den ihm bestimmten Flug mit dieser Aufschrift nimmt:

Philippus rechtem Aug' ist dieser Schuß bestimmt.


Der König, der ihn nicht so fürchterlich geglaubet,

Bereut den Hechelscherz, der ihm sein Auge raubet,

Und schießt den Pfeil zurück, mit dieser Gegenschrift:

Du, Alster, kömmst ans Kreuz, sobald man dich betrifft.


Kaum ward der Friede drauf der frohen Stadt versprochen,

So ward auch Alsters Scherz durch seinen Tod gerochen.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 136-137.
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