Wallraff und Traugott

[99] Heulend drang sich Boreas in die dichtverzäunten Felder,

Ueberraschte Berg und Thal, beugte, brach, zerriß die Wälder.

Durch die räuberischen Winde ward in einer Unglücksnacht

Nordens ewigbanger Wüste manches Tempe gleich gemacht.

Rauhe Furchen, weiß von Reif, öde höckerichte Fluren,

Leere Wiesen, fallend Laub, des entblößten Winters Spuren

Droheten mit starrem Schrecken, wurden doppelt fürchterlich,

Als die neue Wuth der Stürme das betrübte Land durchstrich.[99]

Was des Pachters wacher Fleiß wohl verpflegt und eingeschlossen,

Hohe Ranken an dem Ulm, in den Beeten zarte Sprossen,

Zweige starker junger Bäume, die man alten eingesetzt,

Hoffnungvolle frische Pflanzen, die der Frost noch nicht verletzt.

Was des rauhen Herbstes Grimm vielen Aesten lassen müssen,

Ward geknickt, gebeugt, zerstreut, abgeschlagen, umgerissen.

Endlich bringt der Tag die Stille: jeder eilt, um selbst zu sehn,

Welche Bäume noch zu stützen, welche noch zu retten stehn;

Hausherr, Frau und Knecht und Magd macht sich auf, und forscht und zählet

Ranken, Sprossen, Baum und Stock, die der Nordwind jetzt verfehlet.

Zur Erhaltung der Gewächse lehren alle, was zu thun;

Jeder gibt dem Nachbar Anschlag; weder Witz noch Zunge ruhn.


Wallraff nur faßt den Entschluß, seine Bäume zu behauen,

Und weit emsiger, als sonst, das beraubte Feld zu bauen,

Greift zur nächsten Axt und Hacke, schneidet, pflöcket, kürzt und bricht;

Aber kürzt und bricht zu heftig, und verschont fast keinen nicht.

Zwar sein Nachbar Traugott kömmt, aus Erfahrung ihn zu lehren,

Nicht durch Eile noch Gewalt Ordnung und Natur zu stören.

Schone, spricht er, deiner Bäume: glaube mir, allein die Zeit

Schaffet, ohne solche Mittel, die erwünschte Fruchtbarkeit.

Aber Wallraff hört ihn nicht. Als hierauf der Lenz erschienen,

Sahe man fast jeden Baum, nur nicht die gekappten, grünen,

Und des weisen Alten Stämme voller, als man sonst gesehn,

Reich an unerzwungnen Früchten, ungekünstelt prächtig stehn.


Diesen Bäumen gleicht der Witz; sucht ihn nicht zu übertreiben;

Ehrt die wirkende Natur; laßt das Künsteln ferne bleiben.

Soll die Seele sich entwickeln, und in rechter Größe blühn,

O so muß kein klügelnd Meistern ihr die Majestät entziehn.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 99-100.
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