Die Gans und der Wolf

[195] Wir Gänse retteten das Capitolium!

Sprach eine Gans, und schwimmt; blos dieses kann bezeugen,

Die Unerschrockenheit sei auch den Gänsen eigen.

Am Ufer prahlt' ein Wolf: Den großen Romulum

Säugt' einer Wölfin Brust. Nichts gleicht, zu allen Zeiten,

Der guten Wölfe Zärtlichkeiten.

Ja! schnattert jene drauf: wenn doch das Mannthier1 nur

Einst unsre Tugenden erriethe!

Ja! die beseelende Natur

Gab Gänsen Muth und Wölfen Güte.

Ein Habicht zeigt sich ihr, der Feind voll schneller List:

Gleich schreit die Täucherin, und Hals und Fuß wird rege.[195]

Der Wolf entdeckt ein armes Kind am Wege,

Das er beschleicht, und ohn' Erbarmen frißt.


Wie viele rühmen sich der Tugenden und Gaben,

Die sie doch nicht erhalten haben!


Fußnoten

1 Der Mensch.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 195-196.
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