Der Jüngling

[286] 1728.


Mein Mädchen mit dem schwarzen Haare

Vollendet heute sechszehn Jahre,

Und ich nur achtzehn: Welch' ein Glück!

Die Sehnsucht weckt uns jeden Morgen

Und die Unwissenheit der Sorgen

Versüßt uns jeden Augenblick.


Wir wachsen, und mit uns die Triebe:

Denn unsrer Jugend gönnt die Liebe

Viel Unschuld; aber nicht zu viel.

Verstand kömmt freilich nicht vor Jahren;

Allein was wir bereits erfahren

Ist gleichwol auch kein Kinderspiel.


Der Liebreiz, der uns früh verbunden,

Beschäftigt unsre frohen Stunden

Und bringt dich wieder, güldne Zeit!

Zwar lehren wir und lernen beide;

Doch unsre Wissenschaft ist Freude,

Und unsre Kunst Gefälligkeit.
[286]

Ich will die besten Blumen pflücken,

Euch, Wunder der Natur, zu schmücken;

Dich, freies Haar! dich, schöne Brust!

Wir wollen, diesen Tag zu feiern,

Den allerschönsten Bund erneuern,

Den Bund der Jugend und der Lust.


Dann soll ein Bad in sichern Flüssen,

Auf dieses Bad ein frisches Küssen,

Auf frische Küsse frischer Wein,

Auf Wein ein Tanz, bei Spiel und Liedern,

Mit regen Schwestern, muntern Brüdern:

Das alles soll mich heut' erfreun.


So fröhlich soll der Tag verstreichen!

Ihm soll kein Tag an Freude gleichen.

Nichts übertreff' ihn, als die Nacht!

Die Zeit erwünschter Finsternisse,

Die wacher Schönen stille Küsse

Den Müttern unerforschlich macht.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 286-287.
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