Die Jugend

[299] 1730.


Sollt' auch ich durch Gram und Leid

Meinen Leib verzehren,

Und des Lebens Fröhlichkeit,

Weil ich leb', entbehren?

Freunde, nein! es stehet fest,

Meiner Jugend Ueberrest

Soll mir Lust gewähren.


Quellen tausendfacher Lust:

Jugend! Schönheit! Liebe!

Ihr erweckt in meiner Brust

Schmeichelhafte Triebe.

Kein Genuß ergrübelt sich;

Ich weiß g'nug, indem ich mich

Im Empfinden übe.
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Hab' ich doch, wie Phyllis küßt,

Heute noch erfahren,

Phyllis, die so reizend ist

Und von achtzehn Jahren,

Freundlich, sinnreich, schlau zur Lust,

Weiß von Stirne, Hals und Brust,

Schwarz von Aug' und Haaren.


Der mein Thun zu meistern denkt,

Predigt tauben Ohren.

Schmähen hat mich nie gekränkt:

Wo ist der geboren,

Welcher allen wohlgefällt?

Und woraus besteht die Welt?

Mehrentheils aus Thoren.


Wer den Werth der Freiheit kennt,

Nimmt aus ihr die Lehre,

Daß, was die Natur vergönnt,

Unser Wohl vermehre.

Rückt das Ende nun heran,

O so wird ein freier Mann

Andrer Welten Ehre!


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 299-300.
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