Unverdiente Eifersucht

[272] Neulich sah man aus den Sträuchen

Den verschwiegenen Elpin

Heimlich von der Weide schleichen,

Heimlich in die Waldung fliehn.

Die Begierde, dort zu sehn,

Warum dieser Gang geschehn,

Trieb Myrtillen, nachzugehn.


Ach, Elpin ist zu beneiden!

Fiel dem schlauen Schäfer ein:

Ja, ihr folgt ihm, süße Freuden!

In den lustgewohnten Hain,[272]

Wo in jener Schatten Nacht

Ihm vielleicht die Hirtin lacht,

Die mein Herze sehnend macht.


Mitten unter hohen Fichten

Traf Myrtill den Flüchtling an,

Der bereits in stillem Dichten

Voller Liebe saß und sann,

Bis ein fertiger Gesang

Muthig durch die Lüfte drang

Und den Hall zum Nachruf zwang.


Muster, sang er, wahrer Güte!

Herz, das Treu' und Huld belebt!

Gönne mir, daß mein Gemüthe

Einsam deinen Werth erhebt.

Sag' ich Neidern und der Welt

Minder als dein Lob enthält,

So vernehm' es Wald und Feld.


Mit wie zärtlichem Umfangen

Hat dein Arm mich oft ergötzt!

Und wie oft hat deine Wangen

Mein vergnügter Mund genetzt!

Selten hab' ich was begehrt,

Das, sobald ich mich erklärt,

Du mir nicht mit Lust gewährt.


O mit welchen treuen Küssen

Drücktest du mich an dein Herz!

Auch in eignen Kümmernissen

Scherztest du bei meinem Scherz.

Nur dein Lächeln und dein Kuß,

Die ich stets verehren muß,

Stillten allen Ueberdruß.


Deine kluge Huld erblicken,

Deiner Liebe Regung sehn,

Das allein darf mich entzücken,

Das allein bleibt wunderschön:[273]

Schön in deiner Seltenheit,

Schön in meiner Dankbarkeit,

Schön auf unsre Lebenszeit.


Wahrheit, Zeugin meiner Triebe!

Leiste selber die Gewähr.

Sage: Für so große Liebe

Fällt die Gegenpflicht nicht schwer.

Sag' ihr stündlich, daß ihr Bild,

Das mein ganzes Herze füllt,

Mehr bei mir, als alles, gilt.


Eil' ich, wann es Tag will werden,

In die heerdenvolle Flur;

O so zeigen mir die Heerden

Gleiche Wirkung der Natur:

Was auch ich von ihr erhielt,

Was die Zucht der Lämmer fühlt,

Wann sie mit den Schafen spielt.


Nein, ich will mich nicht entfernen,

Weil mein Abschied sie betrübt;

Nein, ich will von ihr erlernen,

Wie man unaussprechlich liebt.

Ja, ich will dir, kühler Hain!

Hiemit ihren Namen weihn,

Dieser Fichte Schmuck zu sein.


Name, wachse mit den Rinden!

Wachse, Denkmal meiner Hand!

Werd' auch in entlegnen Gründen

Jeder Hirtenschaar bekannt!

Name, den ein Vorzug ziert,

Den von allen, die er rührt,

Keiner mehr, als ich, verspürt.


Endlich eilt Elpin zurücke,

Da den lauschenden Myrtill

Dessen neubesungnes Glücke

Oft zur Mißgunst reizen will.[274]

Scheelsucht, Ungeduld und Wahn

Heißt ihn, sich der Gegend nahn,

Wo Elpin den Schnitt gethan.


Sein Verdacht aus tausend Sachen

Zielte schon auf langen Gram;

Doch er selber mußte lachen,

Als er zu der Fichte kam:

Denn sobald er sie besah,

Stand der Name Sylvia,

Seines Freundes Mutter, da.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 272-275.
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