Lied/ Von dem Heumonat

[33] Nach der Stimme: Wie schön leucht uns der Morgenstern/ etc.


1

Die helle Sonn am höchsten steht/

und in deß Löwens Zeichen geht

mit überheissen Flammen.

Sie hat verkocht den Erdensafft/

und weist der grünen Farbe Krafft

auf jedes Baumens Stammen.

Die Weid

erfreut/

sie beschönen

Himmels-Threnen:

daß die Heiden

sich mit gelbem Klee bekleiden.


2

Man schlägt die krumme Sichel an;

der abgesensste Wiesenplan

macht uns deß Tods gedencken:

daß nemlich alles Fleisch ist Heu/

der Menschen Ehre Gras und Spreu/

dem leichten Wind zu schencken.

Der Ruhm/

die Blum/

welckt geschwinde

mit dem Winde:[34]

unser Hoffen

hat ein schneller Fall betroffen.


3

Die angeglute Sommers-Hitz

erregt der Wolcken schnellen Blitz/

daß Mensch und Vieh erstaunet;

doch sind wir aller Sorgen frey/

weil Gottes Gnad uns stehet bey/

und unser Gut umzaunet.

Er tränckt

und schenckt

diesen Auen

Perlentauen;

und der Regen

bringt der Felder reichen Segen.


4

Man führt das Heu nun häuffig ein/

gedorret von dem Sonnenschein/

die Heerden zu ernehren;

doch wächset eben an dem Ort

deß Grases Wurtzel fort und fort/

das Menschen-Volk zu lehren:

Auf daß

wie Gras

wir mit allen

grabwärts fallen:

aus der Erden

unsre Beine grunen werden.[36]


5

Der allem Fleisch/ zu rechter Zeit/

hat ein vergnügtes Mahl bereit/

wil uns mit Gut erfüllen.

So manchem guten Unterpfand

mißtrauet unser Unverstand

mit eitlen Sorgengrillen:

Er nehrt

und mehrt

unsre Heerde/

Thier und Pferde/

auch die Raben:

solten wir denn Mangel haben?


6

Was ist/ O Herr! deß Menschen Kind/

das gleich dem unbejochten Rind

deß Danckes nicht gedencket:

da doch von dir das Leben hat/

was wallet auf der Erden Pfad/

was Lufft und Meer beschrencket.

Erweist/

lobt/ preist/

gebt dem Ehre/

den die Heere

aller Orten

rühmen mit fast stummen Worten!

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Christliche Welt- und Zeitbetrachtungen. München 1962, S. 33-37.
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