[Ich lieb den stillen Pfad/ die Ruh der Einsamkeit]

[70] Es hatte aber Strephon/ indem er besagten Brief her vorgelanget/ unvermerkt ein ander Papier mit ausgeschleudert/ welches Floridan aufgehebt/ und ihme/nach beschehener Ablesung des Rosenliedes/ wieder zustellete/ jedoch mit dem bittlichen Zusatz/ er wolte den Innhalt dessen ihnen auch nicht unwissend seyn lassen/ wo ferne er eben dergleichen behandlete und sonsten nicht etwan in heelen Sachen begriffen wäre. Worein Strephon verwilligte/ mit Vermeldung/ daß er ohne daß eine so merkliche Abenteuer ihnen zu entdekken langst gewillt gewesen/ Es solten aber Montano und Klajus gute acht darauf haben/ als die solche zugleich mit/ wiewohl ohne ihr Wissen/ betreffen würde.

Fuhre darauf also fort: Es ist nicht so gar lang daß ich/ meinen Heerden eine fette Weide ausspürende/von ungeschicht auf einen Abweg gerahten/ welchen ich/ weil er mir zuvor unbekandt und daher wegen Neuheit desto annehmlicher/ so lang verfolget/ bis ich vermittels seiner Irrsteige endlich an einen öden Ort kame/ welcher mir wegen seiner einsamen und stillen Gelegenheit so wohl gefiele/ daß ich Papier und den Bleygriffel (allhier ist zu merken/ daß diese Schäfere sich immer zu mit Papier und Wasserbley in ihren Hirtentaschen versehen/ damit ja ihnē bey Gelegenheit an Matery zum Schreibē nicht ermangeln möchte/) ergriefe/ und meine Gedanken von dem alda-wesenden alt-verfallenē Schloß/ anrieslenden Deich/ beystehenden Morast/ und denen mit Baumen verwachsenen Klippen ausbildete in hiesigem Gedichte:[70]


Die Einsamkeit


Ich lieb dē stillē Pfad/ die Ruh der Einsamkeit/

Entfernet vō geplär versüsend meine Zeit.

Hier hat kein Wagenrad den seltnen Weg belastet/

Der Fisch in diesem Deich hat angelfrey gemastet/

Es hat kein Wandersmann/ in seinem Durst entbrandt/

Erhaben aus der Qwell hier Wasser mit der Hand/

Kein leichtgefüstes Reh hat man hier mögen fällen/

Noch in dem dikken Busch nach schwartzē Wildpret stellē/

Es hegt in jenem Schloß der Igel seine Zucht/

Da nur die Fledermauß ihr hole Wohnung sucht.

Das unverschlossne Haus zeigt der gewölbte Bogen/

Der Last hat seinen Grund vorlangsten überwogen/

Das Käutzlein unn der Dachs sind wohnhaft hier zu Land/

Es dekkt das Marderthier mit Jungen diesen Sand/

Im Keller findet man ein Bret von dritten Gaden/

Die Kröten samt der Maus in Otterleiche baden.

Ein Nusbaum wächset dort nächst der verfallnen Tür/

Er stehet Wurtzelfäst/ und grünet hoch herfür/

Der düsterrauhe Wald ümzirkt den öden Rangen/

Den nie-gepflügten Ort/ die dikkbebäumten Hangen.

Wie nennet man den Fluß/ der keinen Namen hat?

Sein Abfall dienet mir jetzt an Begleiters stat.

Ist dann der Schattenwald in diesen Deich gestürtzet?

Sein grünbelaubter Thron ist Mahlerrecht gekürtzet.1

Hör/ leichtes Felsen-Kind/ bin ich hier gantz allein?

Der gelblich-grüne Frosch quakkt aus der Pfützen/ nein.

Mich dünkt in dieser Gruft solt Echo Lieb erfrieren/

Die pfleget meine Pfeiff und mein Gesang zu zieren.[71]

Ich liebe diesen Ort/ der ferne von Geschrey

Mich auf so ödem Weg fürt aller Sorgen frey.

Es überschatten mich der Felsen küle Schatten/

Wo sich mit dem Gesang die Nachtigallen gatten.

Von welcher Brunstbegierd erschallt der schöne Schall/

Hört/ wie im Thal erklingt der hold und helle Hall.

Wie? redet auch der Stein? so will ich gleichfalls singen/

Daß meiner Flöten Spiel soll in der Luft erklingen:


Einsamkeit lehret die lieblichsten Lieder/

Lieder die lauten in Felsen herwieder.

Aber wir sollen die Wildnisse hassen

Weil sie verursacht die Schäfer zu lassen.

Liebet doch/ liebet die Anger und Augen/

Liebet die Hürden und Herden zu schauen.

Flöte/ wir wollen die Wildnisse hassen/

Weil sie verursacht die Schäfer zu lassen.

Fußnoten

1 Nach der Sehkunst (ad opticam) wann im Wasser die Bäume herwiederschatten.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer/ Sigmund von Birken/ Johann Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht. Tübingen 1966, S. 70-72.
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