[Wer sieht dich/ Neride/ du Ball der Trefflichkeiten]

[94] Mit diesem beschlosse er abermahls/ und kamen sie beyde in solchem so einen weiten Weg von den Schäfern hintan/ (ungeacht sie ihnen ohne das ein geräumes nachgeschlichen)/ daß sie ferner nicht vernemen konden/ was es zwischen ihnen vor Reden und Gebärden abgabe. Sie hatten zwar bißher beyden mit Lust und Lachen zugehöret/ hielten aber für unnötig/ ihnen nachzufolgen/ und den Ausgang ihrer abenteurlichen Handlungen in fernern Augenschein zu nehmen. Inzwischen konde sich Floridan nicht enthalten/ daß er nicht die überschöne Neride ein wenig beschriebe mit folgenden Klingebände:


Wer sieht dich/ Neride/ du Ball der Trefflichkeiten/1

Vnd fült behende nicht der Liebe liebes Band?

Wer hört von deiner Zier/ und ist nicht flugs entbrandt?

Wer lebt und liebet nicht dich/ Krohn und Zier der Zeiten.

Der Stirne Faltenrokk hält Furchen/ als die Speiten

Damötas kaum gehakkt/ die Nas ist Welt bekandt/

Weil ihre Zinnen sind her aus dem Affenland/

Der Wangen gelbes Feld will noch mit Quitten streiten/

Der Leib ist Schorsteinweis/ zart wie ein Bimsenstein/

Die Beine gräder noch als eine Sichel/ seyn/

Der Haare krauser Pracht kan noch vor Werk gefallen/

Die Zäne zeigen Gold/ der Augen Scharlach blitzt/

Die Lippen sind Lazur/ das Ohr noch trieft und schwitzt/

Wer preist im Anken nicht der Haberkörner wallen.

Fußnoten

1 Sonnet. Mißlob einer Garstigen.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer/ Sigmund von Birken/ Johann Klaj: Pegnesisches Schäfergedicht. Tübingen 1966, S. 94-95.
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