Hoffe, da nichts zu hoffen ist

[29] Ein betrübter Schäfersmann,

Weidend seine Wollenheerde,

Da der Felsen von der Erde

Aufstieg, gleichsam himmelan:

Als nun seine Schafe tischten,

Sieht er aus dem trocknen Stein

Wasser triefen felsenein,

Davon sich die Augen frischten.

Ach, sprach er, in sich entrüst':

Hoff', da nichts zu hoffen ist!


Nachdem stürmten durch das Gras

Wolkenwinde, Donnerblitzen,

Als in dieses Felsens Ritzen

Eine Turteltaube saß.[30]

Wann die schweren Wetter drohen,

Suchet jeder Schutz und Hut.

Sie war schnell dahin geflohen,

Da sich sicher sitzt und ruht.

Ach, sprach er, in sich entrüst':

Hoff', da nichts zu hoffen ist!


Unter nächstem Weidenbaum

Trieb er, vor des Wetters Flammen,

Seine Heerde bald zusammen,

Daß sie alle hatten Raum,

Sich zu schützen vor dem Regen.

Bald die Winde wurden still,

Und die Sonn' ihm kam entgegen,

Und er sang zum Schäferspiel:

Hoffnung deine Seele frist'!

Hoff', da nichts zu hoffen ist!


Ach, was, sagt er, nach und nach

Denk' ich doch mit Fehlverlangen!

Hab' ich denn nicht Trost empfangen

Von des Felsens Thränenbach?[31]

Von der Taube sonder Gatten,

Welche hier in Grüften lebt?

Von der Weiden Schutz und Schatten,

Der ob meinem Haupte schwebt?

Ich hoff', als ein frommer Christ,

Da auch nichts zu hoffen ist.


Quelle:
Auserlesene Gedichte von Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken, Andreas Scultetus, Justus Georg Schottel, Adam Olearius und Johann Scheffler, Leipzig 1826, S. 29-32.
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