Abendlied am Sonntag

[3] Nach der Stimme: Christ, unser Herr, zum Jordan kam, usw.


1.

Mein Gott, der Sonntag ist vollbracht

Zu deinem Lob und Ehre.

Was ich gethan hab und gedacht

Von deinem Wort und Lehre,

Das heiligt meinen schwachen Sinn,

Daß ich mich Dir ergiebe.

Nimm mich nach deinem Willen hin

Und gieb, daß ich mich übe,

HERR GOTT, in deiner Liebe.


2.

Weil nun anbricht die finstre Nacht

Und dieser Tag vergangen,

Besinn ich billich und betracht

In mir all mein Verlangen.

Hab ich, HERR Christ, was Guts gethan,

So dank ich deiner Gnade;

Hab ich was Böß gefangen an,

So hilf, daß mirs nicht schade

Auf diesem engen Pfade.


3.

Ich bin nur näher bey dem Tod:

Wer ist, der mir verheisse,

Daß die Nacht nicht in letzter Noht

Mein Lebensfaden reisse?

Dann wie nun dieser Tag vollend

In flügelschnellem Lauffen,

So pfeilt zu mir deß Lebens End,

Bringt mich zum Leichenhauffen

Und läst mich kaum verschnauffen.


4.

Leg ich von mir das Wollenkleid,

So denk' ich gleicher Massen:

Mein Bett und Grab ist nun nicht weit,

Da muß ich alles lassen.

Die Würmer werden meine Deck',

Ein Leilach mich verhüllet,

Und niemand ist, der mich erschreck',

In Todesschlaff gestillet,

Mit Gottes Geist erfüllet.[3]


5.

Weil mancher sich offt niederlegt

Mit vielen Wuchersorgen

Und sich entschlaffend nicht mehr regt

Bis an den jüngsten Morgen,

So denk ich auch zu dieser Zeit,

Wie bald es sey verdorben,

Wie lang, wie lang die Ewigkeit,

So jede Seel erworben,

Böß oder fromm gestorben.


6.

Gleichwie mir nun der süsse Schlaff

Den Tod weist ohne Straffe,

Also, getreuer Gott, verschaff,

Daß mein Tod werd' ein Schlaffe.

Der erste Stein, deß Hauses Grund,

Macht hoch und sicher bauen:

Der Leichenstein und letzte Stund

Läst wahre Christen schauen,

Und ob sie GOTT vertrauen.


7.

Behüte mich, HERR, diese Nacht

Nach deiner grossen Güte,

Befihle deiner Engelwacht,

Daß sie mich heut behüte.

Behüte meinen Leib und Seel,

Der Du nicht pflegst zu schlaffen,

Getreuer Hüter Israel:

Gieb mir des Glaubens Waffen,

Die wahre Ruhe schaffen.


8.

Wann ich nun diese Nacht vollbracht

Nach deinem Gnadenwillen,

So laß mich in der Morgenwacht

Mit deinem Geist erfüllen.

Laß ob mir dein Barmhertzigkeit

Mit vollem Glantz aufgehen,

Gleich wie die Sonne Morgenszeit

Pflegt aus deß Himmels Höhen

In vollem Glantz zu stehen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 3-4.
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