(LIII.)
Die verliebte Feindin.

[187] Es gleichen grosser Herren blutgierige Anschläge den rasenden Wällen / welche stoltziglich daher wallen / als ob sie das Ufer verschlingen wolten / im Ende aber nichts hinter sich lassen / als einen bald vernichten eitlen Schaum. Dieses hat auch erfahren Käyser Carl der fünffte dieses Namens / als er mit Heeres-Macht bey Marsilien in Franckreich eingefallen / und gefragt / wie viel Tagraisen er noch biß nach Pariß hätte. GOtt aber / dem der Trotz auf eigene Macht jederzeit mißfallen / hat eine solche Kranckheit unter die Käyserische Soldaten gesendet / daß sie unverrichter Sache wider zurucke kehren müssen.

2. In solcher Noth haben zween vom Adel / welche Todtfeinde miteinander waren sich vereiniget; Wie die Haanen zu streiten ablassen / mann sie den Geyer kommen sehen: Ihre Weiber auch / welche nach Avignon / als einen Päbstlichen Platz / der mit den Kriegenden Theilen nichts zu thun / geflohen / haben nicht allein ihre Angesichter / sondern auch ihre Hertzen geschmincket / und einander in Gesellschafften mit freundlichen Reden unterhalten. So bald sich aber der Krieg besagter massen geendet / hat dieser Streit angefangen / und die fast erbliche und unsterbliche Feindschafft sich beederseits erneuret / und zwar nach Art der benachbarten Italianer / welcher Rachgier niemals veralten oder erkalten kan.

3. Nach vielen Wort- und Schrifftwechseln / werffen[187] beede Edelleute Silvin und Polite den Degen zum Richter auf / welcher sie und ihre Gräntzen / darum der Streit ware / entscheiden solte. Silvin hatte zu seinen Beyständen seinen Bruder Fructolum / und noch viere von seinen Befreunden. Polite aber hatte seinen einigen Sohn / mit auch so viel seinen Gesippten auf den Platz geführet. Dieses blutige Mordfechten ist also außgeschlagen / daß Laureau und Fructolus tödlich verwundet / die andern aber theils auf dem Platz / theils bald hernach diese Welt gesegnet.

4. Clione Silvius hinterlassne Wittib wolte Fructolum anfrischen / daß er sich noch einmal an Laureau wagen / und ihres Mannes / und seines Brudern Tod rächen solte: Fructolus aber wolte ihr nicht Gehör geben / und hatte in unentfallenen Angedencken / wie jämmerlich es unter diesen Mordfechtern daher gegangen. Nachdem nun Clione ihre Rache nit werckstellig machen kan / und ihre Kranckheit / in welche sie aus vergallten Hertzen gefallen / als einen Vorbotten deß Tods betrachtet; Bemüssiget sie ihre Tochter Fortunatam / daß sie einen leiblichen Eid schwöret / keinen zu heuraten / welcher ihr nit zuvor Laureau Haubt gebracht / und an ihres Geschlechts Feinde Rach geübet. Diesem Gelübd kommet die Jungfrau nach / und verspricht sie dem zu einer Beute / welcher den Sieg gegen ihren unschuldigen Feind erhalten würde.

5. Der erste welcher dieses Philisters Vorhaut bringen wollen / wurde von Laureau lahm gestossen. Der zweyte bliebe todt auf dem Platz / der dritte musste die Waffen überreichen / umb das Leben bitten. Der vierdte wurde auch so übel empfangen / daß er zu einem Schlachtopfer gemacht worden were / wann ihn nicht gute Freunde errettet / und in das Mittel getretten. Wie die Wasser der Sündflut die Gottlosen ersäufft / und die Unschuldigen in der Archen empor getragen, also sind diese vermeinte Blutbräutigam gefallen / und haben Laureaus Ehren- und Siegsruhm aller Orten erhaben und groß gemacht. Fortunata hingegen verlohre ihre Freyer / und wolte ein jeder lieber anderweits sich verheuraten / als mit Gefahr seines Lebens solche Verlöbniß mit Laureau Tod verbinden.[188]

6. Man sagt / daß der Weiber Zorn hefftiger seye / als der Männer Grimm / weil ihre natürliche Hitze brünstiger und blinder. Dieses ereignete sich auch bey der Fortunata / als sie sich von ihren Bulern und Rächern unglückselig verlassen / ja mehr gehasst / als geliebt sehen můssen. Was unterlässt sie nicht? Sie gedencket sich an Laureau mit eigner Hand zu rächen / und beredet Melicretam ihre Dienerin / daß sie / mit Vorwand in ein warmes Bad zu raisen / ihr eine Gefärtin gibet / und in Mannskleidern verstellet / mit abgeschnittenen Haaren den Namen Natal annimmet / sie aber nennet sich Florent. Weil sie nun verstanden / daß Laureau ein grosser Liebhaber der Music / und sie übertrefflich singen / ihre Dienerin aber auf dem Clavier spielen konte / suchen diese verkappte Jungfrauen Gelegenheit ihr mörderisches Vorhaben in das Werck zu richten.

7. Laureau empfahet Florent und Natal mit aller Höflichkeit (wir reden nun von ihnen als Jünglingen / welcher Personen sie spielen) gibt ihnen ein Zimmer in seinen Schloß ein / und spricht ihnen über der Mahlzeit sehr freundlich zu / daß Florent diesen ihnen wolgestalten und tapfern Feind vielmehr zu lieben und zu loben / als jämmerlich zu ermorden / Ursach gewinnt: Massen die Neigung der Natur viel mächtiger / als diese welche wir mit blindem Eifer an uns nehmen. Als einsten über Tisch von Fortunata zu reden / und ihr unersättlicher Haß wider den vielmehr obsiegenden Laureau / zu erzehlen kommen / brache er in diese Wort herauß / sagend: Andre mögen ihr ůbels wollen / weil sie mir übel wil; ich aber entschuldige sie / weil sie solches aus Lieb gegen ihre Eltern und aus gethanem Gelübd zu thun schuldig worden. Die Rache wird für eine Großmütigkeit gerechnet / und ist sie nicht allein in so falschem Wahn / sondern folget dem gemeinen Hauffen. Zu dem betrachtet mich diese Jungfrau / als ihres leiblichen Vatters Mörder / der sie hat in die Welt geboren / den ich / als meines Vatters Beystand / todt gestochen. Ob ich nun wol hingegen einwenden könte / daß mein Vatter auch darüber das Leben eingebüsst / daß solches nit durch Verrätherey / sondern[189] für der Faust geschehen / daß wir von ihrem Vatter außgefordert worden / und unsre Ehre zu verfechten schuldig gewesen / ich darüber auch gefährlich verwundet worden: So ist sie doch beleidiget und nit fähig solche Entschuldigung / ohne gefasten Wahn zu betrachten. Ich bin nachmals gesinnet gewesen / ihr zuzuschreiben habe aber besorgt / sie möchte meinen Brief für eine Urkund der Todesfurcht halten / und mich für einen zagen und feigen Mann außschreyen. Ich hoffe aber / daß diese schöne Feindin ihr Unrecht endlich erkennen werde / und wann sie mich ihrer Rache aufgeopfert / betrauren / daß sie den um das Leben gebracht / der nit mehr wünscht / als ihr die Zeit seines Lebens zu dienen. Florent konte sich hierüber deß Weinens nit enthalten / und als er deßwegen von Laureau besprochen / hat er geantwortet / er betraure daß so ein tapferer von Adel so täglich Todesgefahr unterworffen / und setzt hinzu / daß sich vielleicht diese Feindschafft in Freundschafft verwandlen / und aus diesen Dörnern Rosen wachsen möchten.

8. Zu dieser Zeit besuchte Laureau Octaviana / seines Vatters Bruders Tochter / und nachdem sie seinen Zustand beklagt / und wegen viel erhaltenen Obsiegen Glück gewünschet / eröffnet sie ihr Vorhaben / daß sie gesinnet / durch eine Gegenrache an Fortunata / ewigen Ruhm zu erwerben; dergestalt / daß sie besagte Jungfer befeden / mit einem paar Dolchen um Leib und Leben zu fechten. Hierüber hat Laureau hertzlich gelacht / und gesehen / daß es dieser Anjatzonin ein rechter Ernst. Dieses thörige Vorhaben hat er seiner Basen genugsam zu Gemüt geführet / und wie sie / ohne Noth / ohne Ehre / mit unaußbleiblichem Nachtheil ihr Leben in Gefahr setzen würde / umständig erwiesen. Ob sie nun wol solches Laureau erstlich heimlich vertraut / hat sie doch darüber also geeifert / daß sie ungescheut ihre Meinung behauptet; ob wol Florent und Natal darzu kommen / und dieses Vorhaben mit grosser Bestürtzung angehört.

9. Ich hab / sagte Octaviana / so viel Ehre von meinen Eltern / so viel Gelt von dem freygebigen Glück und nit weniger[190] niger Schönheit (wann ich meinem Spiegel glaube) als diese Mörderbraut: Ich könte meinen Freyern dergleichen Gesetze schreiben / daß sie auch bey mir keine Hulde zu erwarten / bevor sie ihren künfftigen Ehegatten hingerichtet: Aber nein / ich wil die Stiffterin so vieler Todschläge / in die Hauptursachen solcher Gefahr mit eignen Händen aus dem Weg raumen.

10. Florent konte sich bey so stoltzen Worten schwerlich der Antwort entbrechen / und weil Natal solches vermerckte / fienge er an auf dem Instrument zu spielen / und Florent darein zu singen. Octaviana hörte die süsse Stimme / aus einem so holden Munde / und betrachtete Florent als einen irrdischen Engel / deme jederman volle Leibsneigung zuwenden musste / und empfande in ihrem Hertzen eine brünstige Bewegung / welche so bald etliche Flammen in ihren lachenden Augen / und seufftzenden Mund sehen liessen. Florent wuste wie dergleichen Personen um das Hertze / und reitzete diese verliebte Feindin mit freundlichen Gegenblicken; daß billich zu verwundern / die seltne Begebenheit dreyer Personen / welche liebten was sie hassten / als Octaviana Laureau und Florent / und solches alles ist aus der Fortunata Verkleidung entstanden.

11. Noch viel grössere Verwirrung hat eine neue Fügniß verursacht. Montor / einer von den benachbarten Edelleuten / hatte von Fructulo / der Fortunata Gerhaber verstanden / daß seine abwesende Pflegtochter niemand freyen würde / als den Obsieger Laureau; entschleusst sich deßwegen sein Glück auch zu versuchen / und seinen Ruhm / durch die Niderlage so berühmten Rittermanns groß zu machen. Dieser Hoffnung befedet er Laureau schrifftlich auf bestimmte Zeit / 3. Meil von seinem Schloß zu erscheinen / und Kugel mit ihm zu wechseln. Laureau wolte sich von Octaviana bitten / noch von Florent flehen zurucke halten lassen / endlich aber wurde er von ihnen dahin beredet / daß Natal vorauß reiten / und sich umsehen solte / ob nicht vielleicht Verrätherey obhanden / und er übermannt mehr als eines Feinds zu erwarten.

12. Als Laureau solches verwilliget / hat Florent einen[191] Brief an Montor geschrieben / und ihm befohlen / daß er mit Laureau bey Vermeidung ihrer höchsten Ungunst nicht zu Streichen kommen solt. Montor bedencket sich hierüber / und stehet zwischen der Liebe und der Ehre zweiflend / welche er verlassen solte: Die Befehdung zurucke zu nehmen / bedünckte ihm seinen Ehren gar zu nachtheilig: Fortunata Liebe zu verlassen / welcher wegen er diese Gefahr angetretten / so schwer als unmöglich. In diesem Zweiffel wehlet er einen Mittelweg / und stellet sich / als ob er Fortunata Hand für nachgemahlet / und den Brief für falsch hielte; deßwegen er nit Ursach ihrem Befehl zu gehorsamen. Natal wolte in so beschaffenen Sachen wol dienen / und beglaubet den mündlichen Befehl / mit Offenbahrung ihrer Person / daß Montor überzeugt / und sich mit dem falschen Brief nit mehr entschuldigen können. Wie dem allen / so beharrt er seine Befedung / und wil seines Gegentheils erwarten; forschet aber inzwischen von Fortunata und wird mit vielen er dichten Fabel bezahlt.

13. Natal kehrt zurücke / unn bringt die traurige Bottschafft / daß Montor an benamten Ort seines Gegners allein warte / darüber dann Florent nit wenig betrübt / und einen Zuseher deß Streits geben wil. In dem nun beede unverzagt auf einander treffen / scheust Laureau Montor durch den rechten Arm / daß er keiner Waffen mehr gebrauchen kan / und mit dem Pferd zu Boden sincket. Laureau heischet / er solle das Leben bitten / Montor aber wil lieber sterben / und erhält durch solche kühne Antwort / das / was er von seinem Gegentheil nicht begehren wollen. Florent und Natal / welche wie gesagt / von ferne Zuseher gewesen / eilte zurücke der Octaviana den Sieg ihres Vettern anzukündigen / und wurde Florent mit mehr als höflicher Freundlichkeit empfangen.

14. Laureau begleitet Montor in das nächstgelegene Städtlein / unnd macht zu seiner Heilung möglichste Anstellung / unnd verbinden sich diese beede mit unauflöslicher Freundschafft. Auf befragen aber / warum doch Fortunata nicht ablasse ihn zu verfolgen / hat Montor ihren Brief / welchen sie durch ihre Dienerin in Mannskleidern[192] ihme einhändigen lassen / vorgezeigt / und beglaubt dz solcher Befedung von Fructulo / und nicht seiner Liebsten angesponnen worden.

15. So bald Laureau solches zu Hause erzehlet / und sonderlich von der Dienerin in Weibskleidern gedachte / trachtete Florent sich aus dem Staube zu machen / mit Vorwand / daß seiner Vettern einer gestorben / dessen reiche Verlassenschafft ihme zu gefallen / und mit diesem Schein entkame er der Octavia / und Laureau: So bald er aber nach Avignon gekommen / und die Weibskleider wider angenommen / hat Fortuna Natal wider zurucke gesendet / und sich schrifftlich mit sondrer Höfflichkeit zu erkennen gegeben / darauff dann Laureau eiligst den Weg nach Avignon genommen / und das Ende deß traurigen Freuden-Spiels / ich will sagen / Eheliche Verlöbniß mit beeder theile hertzlichem Behagen geschlossen. Ob diese Geschichte also verloffen / lassen wir H. du Belley verantworten / lernen aber daraus / wie die Verliebten aus dem Liecht ihres Verstandes vorsetzliche Finsterniß / und aus der Finsterniß ihrer Begierden Liecht zu machen / sich entblöden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CLXXXVII187-CXCIII193.
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