(LVII.)
Die gerette Schuld.

[203] Fast gleichen Titel könten wir auch nachfolgender Geschichte beyschreiben / ob wol der Erfolg gantz andre Umstände; Wir auch zu beliebter Unterscheidung / jedesmals auf neue Uberschrifften bedacht seyn müssen. Wie Joseph über seiner Unschuld zweyjährige Gefängniß erdulten / unnd Susanna sich für Gericht herum schleppen / Daniel sich in die Löwen-gruben werffen lassen müssen; so leiden auch noch viel heut zu Tage unschuldig und erwarten die Hülffe unn Rettung[203] aus der Höhe; ja solche Leute sind selig / wann sie Glauben und ein gutes Gewissen behalten / daß ihnen die Leute übel nachreden / und daran lügen.

2. Dieses hat erfahren Rupert eines reichen Kauffmanns zu Freyburg in Brißgau Handels Diener. Sein Herr hatte ihm viel vertrauet / wie Potiphar dem Joseph / ja fast alles ausser seinem Weibe / und ist sein Vermögen durch dieses Dieners Fleiß gesegnet worden / wie deß Labans Herde / unter der Hand Jacobs / daß er an seiner Treue und Redlichkeit keines weges zu zweiffeln gehabt.

3. Wie aber das erste Unglück durch ein Weib herkommen / also scheinet daß der Eva Töchter ihrer Mutter noch nacharten / und die Mannspersonen in Angst und Noth verleiten / Walpurg besagten Kauffmanns Eheweib / sahe diesen Ruprecht mit lüstreten Augen an / und ob sie wol sich sehr einfältig stellte / unterliesse sie doch nichts / was zu ihren sůndlichen Willen dienen möchte; wie sie dann in Abwesenheit ihres Manns erwünschte Gelegenheit hatte.

4. Rupert sagte mit Joseph: Wie solte ich so groses übel thun an meinem Herrn / der mir alles vertraut / ausser seinem Weibe. Als sie nun nicht ablassen und von der verbottnen Frucht geniessen will / begehrt er Urlaub von seinem Herrn / kan es aber nicht erhalten / weil er ihm in seiner Handlung sehr nothwendig war / und er eine böse Ehe zu verhütten die Ursach bey sich verschwiegen hielte.

5. Nach dem nun Walpurg nichts nicht außrichten kan / wandelte sie ihre Liebe in vergallten Haß / und gedenckt sich an diesem Verächter zu rächen. Weiber-Sinn kan noch Maß noch Ziel halten / und stürtzen sich von der Höhe in die unterste Tieffe; welches sonders Zweiffel ihrer hitzigen Leibs Beschaffenheit zu zuschreiben. Also wurde Walpurgin gröste Liebe in grösten Haß gegen Rupert plötzlich verkehret. Was thut aber diese Boßhafftige.

6. Sie entwendet ihrem Ehevogt etliche schätzbare[204] Kleinodien / und verbirgt solche unter Ruperts Gerätlein. Ludwig / der Kauffmann missete leichtlich das entwendete / und hielte in dem gantzen Haus nachfrage: Niemand war weniger in Verdacht / als Rupert / dessen Treue / so viel lange Dienst-Jahre beglaubet hatten. Zu dem war auf besagte Kleinodien / als ein Underpfand 2000. Kronen geliehen / die eben zu selber Zeit widerum erleget worden; weil sie noch viel mehrers werth waren.

7. Walpurg räht ihrem Mann / er soll Rupert zu viel nit trauen / seine und der andern Diener Geretlein durchsuchen / weil diese Edelgesteine durch einen Haußdieb müsten entwendet worden seyn / etc. Ludwig läst sich bereden / und findet endlich das verlohrne: Darüber sich dann Rupert / welcher sich unschuldig wuste / sehr entsetzte / und weil solche Erstaunung für eine Bekantniß deß Verbrechens geachtet / alsobald in Verhafft genommen wurde.

8. Rupert war ein feiger und verzagter Mensch / der zwar den Diebstal ablaugnete / als er aber mit der Volter unnd peinlichen Marter bedrauet wurde / bekennte daß er die Kleinodien entwendet / wurde auch deßwegen / als ein Dieb / zum Strang verurtheilet. In dem er nun zu dem Hochgericht sollen geführet werden / hat ihm GOTT in seiner Todes-Angst so viel Verstand gegeben / daß er begehrt von seinem Herrn und Frauen Abschied zu nehmen / welches ihm / weil er bey dem Hause vorbey geführet werden müssen / verwilliget worden.

9. Ludwig und Walpurg fanden sich an den Fenstern / als ihr gewesener Diener auf seine Knie fühle / und sie um Verzeihung bate / daß er / wiewol unwissend / wider sie gesündiget / und wolte er in seiner Unschuld willig sterben / weil er wisse daß er ein Mensch / und dieser Schuld der Natur zu zahlen verbunden / wegen deß beschuldigten Diebstals aber / habe er ein reines Gewissen / wie er auch für GOtt / und seinem Beichtvatter bekennet.

10. Als er nun erzehlter massen Abschied genommen / wird[205] er fort geführet / und hinterlässt der Walpurg solche Gewissens Marter / daß sie als eine unsinnige / aus dem Hause entlaufft / den Scharffrichter inhalten heist / und sich für die Diebin und Ursacherin dieses Unschuldigen Gefängschafft dargiebet; mit Bitte / man wolle sie an seine Stelle in Verhafft nehmen / vnd jhn loß lassen: Erzehlte benebens ungescheut den gantzen Verlauff / und wie sie ihre Liebe in blinden Haß gegen diesen Rupert verwandelt / etc.

11. Der Bannrichter befiehlt sie beede zu rücke in das Gefängniß zu führen / und nach dem die gantze Sache genugsam erkundiget / ist Rupert loß gelassen / Walpurg aber in einem Kloster ihr Leben zu enden / verurtheilet worden. Wie Ludwig ob diesem Handel grosses Mißfallen getragen / ist leichtlich zuermessen.

12. Nach dem nun Ludwig eine Zeitlang seine Frau in dem Kloster büssen lassen / hat er jhr verziehen / weil er sonderlich das beraubte alles wieder bekommen / vnd sie nur mit dem Willen Ehebrüchig worden / welches auch heiligen Männern wiederfahren. Deßwegen hat er sie wieder angenommen / unn wie sie deß Dieners Ruperts Unschuld / aus sonderm Eingeben Gottes / gerettet; als hat er auch sie für unschüldig gehalten / vnd den Diener mit einer ansehnlichen Verehrung von sich gelassen / andern zur Lehre / daß man sich in so wichtigen / Ehr- und Namen betreffenden Händeln nicht übereilen / und dem gefassten Wahn nicht zu viel nachhangen soll.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCIII203-CCVI206.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte
Der Grosse Schauplatz Lust- und Lehrreicher Geschichte, Das erste Hundert. 2 Tle. in 1 Band.