(LXI.)
Der danckbare Feinde.

[218] Der Tugend Eygenschafft ist / daß sie allen Haß und Neid großmütig überwindet / und sich ehren und verwundern machet / von ihren Feinden. Daher jener recht gesagt / daß wann man die Schönheit der Tugend sehen könte / wie[218] das Angesicht einer Jungfrauen / daß sie alle Tapfere Leute zu Liebe bewegen würde. In nachgehendem Exempel wollen wir einen danckbarn Feind / vorstellen / welcher auch den / wegen seiner Tugend / geliebt / welcher sein Vatterland verderben und zu Grund richten helffen.

2. Cyrio ein Hauptmann aus Piemont / hat in den Savoischen Kriegen / wieder die Herrschafft zu Genua ein Stättlein in besagtem Gebiete überumpelt / und ob er wol die Plünderung gerne hette verhütten wollen / hat er doch das Thier mit den viel Köpfen nit mehr im Zaum halten können / und sie alle Feindseligkeit / sonderlich aber mit Brennen und Schändung der Weibsbilder / müssen verüben lassen / welches er bey Leibs und Lebens-straff verruffen lassen.

3. Als er nun auff dem Platz hält / und ihm alldar der besten Häuser eines versichert / sihet er eine ehrliche und den Kleidungen nach vornehme Weibspersonen daher schleppen und wie vermuthlich zu der Soldaten sündigen vollbringen / auff die Schlachtbäncke führen. Cyrio entblöset so bald den Degen / und jagt ihnen solches Opfer ab / daß sie Fersengelt geben / und Honoriam die erbare Matronam in seinem Gewalte hinterlassen.

4. Als er sie nun in sein Gehorsam gebracht / hatte es das Ansehen / als ob er mit ihr verrichten wolte / was er andern zu thun verwehret / aber sein Hertz war anderst gesinnet und hätte er sagen können wie Job zu seinen Freunden: Ihr richtet mich wie Gott / als ob euch so wol meine Gedancken bekant weren als dem Allmächtigen Hertzenkündiger: Und daß solches Urtheil falsch / hat er nachgehends im Wercke rühmlicherwiesen.

5. Cyrio befragte Honoriam / ob ihr Eheman noch in dem Leben / oder ob sie eine Wittib? Honoria berichtet / daß ihr Mann einer von den Vornembsten deß Orts und Epher genamet / unschwer zu erfragen seyn würde; Nach solchem Bericht lässet Cyrio ihren Ehemann suchen / und stellet im sein Weib / mit grossem anerbieten alles Schutzes und Schirmes zu. Ob nun solches einem Italianer wohl gefalle / ist denen zu erachten leicht / welchen ihr Eifer voller Sinn bekant.[219]

6. Epher empfähet sein liebes Weib von so getreuer Hand mit tausend Dancksagen / und erbietet sich hingegen zu möglichster Erwiederung. Hieher gehört der Frantzosen Sprichwort (un homme vault un monde) Ein Mann ist einer gantzen Welt wehrt / und der Spanier / welche zu sagen pflegen / man soll auch geringe Sachen beobachten / dann wegen eines Nagels ein Pferdt ein Eisen verliere / wegen eines Eisens bleibe ein Pferd zurücke / wegen deß Pferds der Mann / wegen eines und andern Manns das gantz Schwader oder Esquadron / wegen etlichen Schwader die gantz Reuterey eines Heers, und dieses alles entstehe von einem Nagel. Also hat diese / dem Ansehen nach / geringe Sachen / deß Cyrio Soldaten alle erhalten / welche sonsten weren nidergehauet worden.

7. Die Spanischen Schiffe mit Kriegsvolck beladen / waren zu Genua gelandet / und nach dem sie zu der Herrschafft Heersmacht gestossen / auch auf diesen Ort einen Anschlag / und Verständniß mit etlichen Bürgern deß Orts / darunter auch Epher war / alles Savoisches Volck (wann man die Glocken leuten würde) nieder zu hauen / und das Stätlein zu befreyen; wie dann solches leicht in das Wercke zu richten / weil die Mauren ohne Graben / sehr schwach und nieder / daß solchen zu behaubten so schwer / als unmöglich fallen wollen.

8. Epher war unvergessender Wolthat / welche Cyrio ihme durch sein Eheweib / erwiesen / wolte deßwegen ein danckbarer Feind seyn / und solches Vorhaben besagten Piemonteser eröffnen. So bald es nun Cyrio verstanden / führt er seine Völcker also balden zu dem Hauptheer / und verlässet den übel versehenen Ort / welchen er mit guten Ursachen nicht behaubten können.

9. Hierůber wird nun Epher / als ein Verräther seines Vatterlands / auff Leib und Leben angeklagt. Als er aber ümständig erzehlet / daß ihm seinem wolthätigen Feind zu warnen auß schuldiger Danckbarkeit obgelegen: Daß sich diese Soldaten / ohne grosse Gegenwehr nicht würden hinauß jagen / oder Todschlagen lassen: Daß seine Mittbürger ohne[220] Schwertstreiche ausser aller Gefahr gesetzet worden; und benebens die empfangene Gutthat angemeldet / und gerühmet / ist er also bald der Gefängschafft erlassen / und frey und ledig gesprochen worden.

10. Fast dergleichen rühmliche That hat auch der Frantzösische Hauptmann Bayard gethan / als er etliche schöne Jungfrauen viel Wochen in seinem Zimmer verwahret / und sie hernach ihren Befreunden sondern Nachtheil ihrer Keuschheit / wider verabfolgen lassen: deßwegen auch die Geschichtschreiber diese That mit grossem Ruhm herauß streichen.

11. Die Keuschheit / und der Schutz der Keuschheit so selten er unter Soldaten befindlich / so löblich und glückselig ist er zu schätzen. Alle geile Hängste gehen mit bösem Gewissen an den Feind / weil sie wissen und ihrem Hertzen überzeuget sind daß Gott gerecht / und ein Feind aller Unzucht / auch solche offenbare Wercke deß Fleisches nicht ungestrafft lässet. Hingegen aber regieret Gott alle keusche und reine Hertzen / daß / wie das Unglück von dem Hauß deß Undanckbaren und Unkeuschen nicht weiche; ja / wann es für der Thür ist / wieder weg gehe; Also im Gegensatz das Glück bey den Keuschen und danckbarn Gemütern stetig einkehre.

12. Die Lehre kan / nechst besagtem / seyn / daß ein jeder Oberster in einem Platz / ihm zum wenigsten einen vertrauten Freund unter der Bürgerschafft machen soll / welcher jm dann auf vielfaltige Weise gute Dienste leisten kan. Einen solchen kan er heimlich aller Last entheben / und ihm also verbinden / daß / wann er ein tapferes Gemüth hat / seinen Schaden warnen / und seine Nutzen danckbarlichst befördern wird.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCXVIII218-CCXXI221.
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