(LXIX.)
Die unbedachtsamen Beichtvätter.

[247] Von Eröffnung der Beicht ist viel Streitens unter den Gelehrten / ins gemein aber werden nur zween Fälle ausgenommen / wann es nemlich die Obrigkeit oder ein Nachtheil einer gantzen Landschafft / und dann eines unschuldigen Leben betrifft: Wiewol auch andre dieses auch nicht zulassen wollen / (vid. Gail. l. 1 observ. 100. num. 8 Vinc. Carocii Quæst. 7. de revel Confess fol 49.) und schreiben / daß solches dem natürlichen Rechten (was ihr nicht wollet / daß euch die Leute thun / das thut ihnen auch nit / Luc. 6.) dem Göttlichen Rechten (Johan. 20.) dem Geistlichen Rechten (Can. si sacerdos de pœnit. dist. 6. can omnis utriusque de pœuit. & remis.) und dann den Bürgerlichen Rechten (l. 1. §. Si quis re bulas ff. deposit quia talis tenetur actione injuriarum & adintresse) zuwider. Wir wollen hier ein merckwürdiges Exempel fügen.[247]

2. Zu Ruan in der Normandia hat sich ein reicher von Adel aufgehalten / welcher keinen Mannlichen Leibes Erben hatte / auf den seine Lehen / so ohne solchen dem König heimfallen würden / kommen möchten / deßwegen er dann sehr verlangt einen Sohn zu haben / und so wol der Hebammen / als seiner Frauen grosse Beschenckungen versprochen / wann sie ihn mit einem männlichen Leibes Erben erfreuen würden / wiewol es nicht an ihnen gelegen / und er sie zu nachgehendem Betrug veranlast.

3. Matera und Sevina / die Edle Frau und Amme betrachten diesen Handel / und wurden Raths / im Falle sie mit einer Tochter darnieder kommen solte / wie solche gegen einem Sohn auszuwechslen. Der Amme waren fast alle schwangere Weiber in der Statt bekannt / und fügte sich / daß eben zu selbiger Zeit / eine Müllerin eines Sohns genesen / als Matera zu kreisten angefangen / und mit einer Tochter darnider gekommen. Servina verschaffte genommener Abrede gemäß / daß der Müllers Sohn / welchen wir Cambino nennen wollen / gegen Falsetta der adelichen Tochter ausgewechselt wurde / und liessen solches die Müllerischen Eheleute gerne geschehen / weil sie wusten / daß ihr Sohn solte adelich auferzogen worden.

4. Massino der Edelmann erfreuet sich höchlich über diesen männlichen Erben und verehret sein Weib und die Amme mit versprochener Beschenckung. Die Müllerin hingegen lässet ihr Falsettam / als ihre eigne Tochter / wehrt und lieb seyn; massen alle Mütter die Züchte lieben / welchen sie die Brüste reichen / und sich dardurch gleichsam ihnen einverleiben.

5. Dieser Betrug bleibt so lange Jahre verschwiegen / daß Cambino mit einem ehrlichen Heuratgut versehen / zu dem Stand der H. Ehe schreitet / wiewol er in seinen Sitten nichts adelichs sehen / sondern allezeit den Bauren blicken lassen. Falsetta hingegen / als ein Müllers Tochter erzogen / liesse nicht gemeinen Verstand / und fast ungewohnte höfliche Geberden vermercken. Doch verbliebe das Geheimniß beederseits verschwiegen.

6. Es fügte sich aber / daß Servina die Amme in tödliche[248] Kranckheit fället / und dem Beichtvatter / unter andern diesen begangenen Trug ungescheut bekennet / deß Vertrauens / daß es bey ihme / der an Gottes Statt die Beicht höret / verschwiegen seyn solte. Nach ihrem Todt kan dieser Beichtvatter nicht schweigen / und weil er beederseits bey dem Edelmann und dem Müller wohl bekant war / lässet er sich auß Unbedacht vernehmen / Matera habe einen guten Wechsel geschlossen / aber nur in der Hofnung darauf gewuchert.

7. Kurtz zusagen / die begangene Falschheit wird eröffnet / und Falsetta an Cambino statt von ihren wahren Eltern / hingegen Cambino wider in die Mühl genommen; weil Matera den Wechsel bekennet / und die Müllerin solchen nicht ablaugnen wollen. Diese Veränderung hat ein Rechtfertigung verursacht / in dem deß Cambini Gemahlin das Heuratgut / als eines der burgerlich gestorben / nicht wider geben wollen / der Falsetta Eltern aber solches keinem Müllers Sohn nicht zu lassen gemeinet waren.

8. Dieser Handel wird in kurtzem Landkündig / und weil der Beichtvatter solchen verschwetzet / und es Leib und Leben nicht angetroffen / ist er von dem Bischoff deß Orts seiner Priesterlichen Ehren und Einkunfften verlustiget worden. Was aber in der Hauptsache für ein Urtheil wegen deß strittigen Heuratguts erfolgt / ist mir nicht wissend / weil ich der Orten nicht / biß zu Außtrag der Sachen verblieben / sondern es nur in dem durchraisen zu Amiens erzehlen hören / als damals das Recht noch schwebte.

9. Nachgehender Fall ist noch mehr zuverwundern / weil nichts Böses aus Bösem erfolgt / wie der Natur gemäß; sondern die Tugend und Unschuld / wider den Lauff der Billigkeit / mit dem Todt belohnet worden. In dergleichen Fällen ist unser Verstand gantz unverständig / und müssen wir auff deß Höchsten allwissende / uns aber unerforschliche Fürsehung / die Sache gestellet seyn lassen.

10. Saturnia / eine von den vornehmsten Frauen in Cordua / war verheuratet mit Craton / einem Spanischen Rittersman / und lebten mit gutem Begehen / daran / nach Zeugniß[249] der Schrifft / Gott ein sonders Wolgefallen hat. Es begabe sich aber daß Auxant / Cratons vertrauter Freund / sich in Saturniain verliebte / und ihr zu unterschiedlich mahlen solches zu vernehmen gebe: wurde aber allezeit mit der Antwort abgewiesen / daß sie ihrem Ehewirth die gegebene Treue nit brechen / und in eine so sträfliche Sünde keines Wegs eingewilligen könte. Auxant wolte diese Hinderniß auß dem Wege raumen / und lässet den Unschuldigen Craton durch etliche Meuchelmörder heimlich hinrichten.

11. Nach solcher That vermeinte Auxant Saturniam zu trösten / in dem er sich für ihren Freyer angabe / und zugleich sich selbst / als ihres ersten Mannes Mörder unbedachtsam verriete. Diese betrübte Wittib merckte wol / daß dieser der Stiffter / wo nit der Thäter und Todschläger ihres abgeleibten Eheherrns; fasste aber jre Seele mit Gedult / und befahle Gott die Rache / und bate noch für diesen ihren Feind / daß jm d' Höchste reuende Erkantniß seiner Sünden verleyhen möchte.

12. Als sich Auxant verrathen sahe / ist ihm die Liebe entfallen / und hat hingegen sich mit der Flucht / in welcher ihn sein böses Gewissen begleitet / zu retten vermeint. Bald hernach wird Auxant durch einen der gedingten Mörder für den Urheber solcher bösen That angeben / und weil er für Gericht nit erscheinen wollen / wird er seiner Ehre und seiner Güter durch richterlichen Außspruch verlustigt / und lässet sich zu entschütten / vernehmen / daß er solchen Mord / auf Geheiß der Saturnia / angestifftet / welches deßwegen soviel glaubiger / weil sie Auxant nicht beklagt / und rechtlich wider ihn verfahren. Hierüber kommet die fromme Wittib in Verhafft / unnd nach vollzogener Bereitung zum Tode / mit dem Schwert gerichtet worden. Ihr Beichtvatter wuste ihr Unschuld / wolte aber nicht aus der Beicht schwetzen / hat aber so unbedachtsam verfahren / als der / von welchem wir zuvor Meldung gethan / und sie also hinrichten lassen / da er doch schuldig gewesen den Richter zu erinnern / der Sachen besser nach zufragen / damit nicht unschuldiges Blut vergossen werde.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCXLVII247-CCL250.
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