(LXXIII.)
Die bereute Vnbeständigkeit.

[261] In der Schweitz hatte Vilibrod ein Bürgermeister in d' berühmsten Stätte einer einen Sohn / Nahmens Arnold / und trachtete ihn bey seinen Lebeszeiten wol zuverheurathen / ob er gleich noch nit über den Schatten seines Kirchthurns hinaus kommen / und anderer Völcker Sitten erlernet. Dieses alte Teutsche Volck hat noch die unschuldige Einfalt in der unveränderten Kleidung / Reden und Gewonheiten;[261] daß Michael de Montagne vermeint sie tragen deßwegen Lätze / weil sie auch in selben Stücke das Frauenvolck nicht betrügen wollen.

2. In Heuratstifftung folgen die Kinder ihren Eltern / ob sie gleich keine Neigung zu ihren Ehegatten haben / und mehrmals einander nicht kennen / und sehen die Alten ins gemein nach dem Vermögen deß Gelts / und nicht der Personen / so mehrmals gar ungleich an dem Ehelichen Joch ziehen. Wir leben in der güldnen Zeit / in welcher jederman nach Gold sihet / Gold verlangt / und solches für ein allgemeines Maas hält / welches die nichts gelten machet / so dieses Sonnen Metalls ermanglen.

3. Vilibrod hatte nach diesem Schlag sein Absehen gerichtet auf Erdwig eine Jungfrau / welche schöner inwendig (in den Kisten und Kasten) als außwendig in dem Angesicht. Dieses gůldne Kalb solte Arnold anbeten. Der Erdwige Vatter wuste daß Vilibrod seinem Sohne nicht viel mit geben / und seine Neigung mehr zu dem Gelt / als zu der Person gerichtet war / lässt sich deßwegen mit dem Ja- noch Neinwort vernehmen / sondern befahl seinen Entschluß der Zeit / welche ihnen beyrähtig seyn würde.

4. Arnold war gleich einer unbeweglichen Säulen / ein grosser starcker Gesell (das ist ein Schweitzer) auß welchen man vier Spaniolen hätte schnitzen können. Erdwig sahe diesen Aufwarter an als einen Fremden / und gedachte allein / daß / wann dieses grosse Holtz solte brennend werden / daß die Flamme nicht klein sein würde. Der Knab pflegte vielmals mit seiner Liebsten zu reden / und sie wegen deß gůldnen Gesprächs zu lieben / massen der Stachel deß Nutzens so empfindlich / als der Stachel der Wollust.

5. Zu dieser Zeit war Hildigrin / ein Schweitzer in Arnolds Alter und sein Spiesgesell / verliebt in Lucolam / welche die schönste in der Statt / und mehr als andere Verstand hatte. Diese zween nun kürtzten ihre Zeit mit langen Gläsern / welches bey den Schweitzern die gemeinste / und wie sie vermeinen / eine grosse Kurtzweil ist. Die Warheit / welche auß[262] Democratischen Brunnen geschöpfft / sich in das Weinfaß sol gestürtzet haben / hat dieser Freunde Gedancken eröffnet.

6. Arnold lobet den Reichthum / Güter und Baarschafft seiner Erdwig / und verhofft ein mit guten Wein (welches Segen er hoch gehalten) überschüttes Leben / in künfftigem Ehestand zu haben. Hildigrin hingegen rühmte die Schönheit Lucola / und sagte daß vergnügte seyen die gröste Freude / zu dem war Lucola keine arme Jungfrau / und hatte noch ein ehrliches vermögen: Hierüber schertzten diese beede / unnd musste Arnold gestehen / daß Lucola viel schöner / als Erdwig / wiewol sie an Stand und Ehren einander gleich / am Verstand aber hatte Lucola mehr Vermögeiis / wie Erdwig an Reichthum.

7. In dem sie nun ihre Bulschafften / also auf die Schnellwage legen / wolte Arnold die in der gantzen Statt berühmte Lucolam genauer betrachten / ob er zwar nur seine Augen in dem Kopff hatte / so musste ihme doch diese Schönheit auch das Hertz eröffnen / und mehr Liebe gegen Lucolam als Erdwig erwecken. Diese Unbeständigkeit ist mehr zu verwundern bey einem Schweitzer / der wie ein viereckigter Glotz fast unbeweglich war / als bey einem leichtgeistigen Frantzosen. Gleich wie aber der Schütz / welcher mit seiner Hand zu zittern pfleget / niemals den Zweck treffen wird / also hat die Unbeständigkeit kein gewisses absehen / und bringen solche Fehler Leid und Reue.

8. Zu Bestättigung dieser neuen Liebe redet Arnold sehr schimpflich von Erdwig / daß sie so ungestalt / und vielmehr eine Artzney für die Liebe / als eine Anreitzung zu derselben seyn könte. Erdwig Vatter werden dergleichen Wort zu Gehör getragen / darüber er sich hefftig erzürnet / und dem alten Vilibrod deßwegen verweißlich zuredet / welcher seinen Sohn bespricht / und befiehlt der Lucola müssig zu gehen / und der Erdwig widerumb aufzuwarten.

9. Der Junge Hacht vermeinte / daß ihme seines Vatters Ambt und Ansehen die Wahl gebe unter allen Jungfrauen; Folgt deßwegen vielmehr seiner / als seines Vatters Neigung.[263] Erdwigs Vater verbietet Arnold sein Hauß / und seiner Tochter / daß sie nit mehr mit ihme reden solte; wiewol beedes überflüssig / weil er sich offentlich für der Lucola Hochzeiter außgegeben / deßwegen auch mit Hildegrin in eine Todtfeindschafft geraten / vnd Lucola Vatter Arnold gebeten / er solt seine Tochter mit so viel auffwarten verschonen.

10. Dieses alles machet Arnold nicht wendig / und als jhm auff eine Zeit Hildigrin hey Lucola Hauß begegnet / hat das Schwert entblösset / und als Arnoldo deßgleichen gethan / haben diese beede zusammen gestrichen / und Hildegrin seinen Nebenbuler halb Tod auf dem Platz liegen lassen / deßwegen er dann sich mit der Flucht retten müssen. Arnold aber ist nach etlichen Monden / vielen außgestandenen Schmertzen und Aufwendung grosser Unkosten wider geheilet worden.

11. Es begabe sich ferner / daß Visard Hildigrius Vatter / an Vilibrodsstatt zu dem dreyjährigen Bürgermeisterampt kommen / und seinen Sohn Landshuldigung zu wegen brachte. Arnold wil sich rächen / hat aber so viel Hertz nicht / daß er solches für der Klingen thäte / sondern sticht ihn mit einem Dolchen / wie wol nicht tödtlich / und konte kaumlich in eine Kirchen entfliehen / darauß ihn entlich der Hunger getrieben / und in Band und Eisen gebracht / er hätte ohne alle Gnaden sterben müssen / wann nicht Hildegrin und Lucola für sein Leben gebetten / als welcher Verehligung inzwischen vollzogen worden. Nach den nun Arnold ohne Hoffnung die Lucolam zu bekommen / kehret er wider zu Erdwig / findet aber die Thür verschlossen / und einen grossen Korb darfür / daß er Ursach gehabt / seine Unbeständigkeit zu bereuen / und seines Vaters Ansehen / welcher inzwischen gestorben / nicht rachgierig oder mörderisch zu mißbrauchen.

12. So ergehet es allen / welche das ungewisse für das gewisse erwehlen / der Eltern mehr verständigen Recht nicht folgen / und ihren ungehaltenen Begierden nachhängen. Recht hat jener die ersten Gedancken mit der Jugend / die nachgehenden und reiffe Betrachtung mit dem Alter verglichen / unnd haben unsre Vätter pflegen zu sagen / daß die Alte was recht[264] ist erkennen / und die Jungen / was recht ist / wissen solten. Ein verständiger und sinnreicher Mann hat hierüber dieses Beyspiel gegeben. Ein Krancker (Arnold) hat ihm von dem Artzt (seinem Vatter) keine Artzney vorschreiben lassen / selbe auch nicht gebrauchen wollen; ist darüber noch kräncker worden / und (der Hoffnung nach) endlich gestorben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCLXI261-CCLXV265.
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