(LXXV.)
Die Wahnsinnigen.

[270] Die Gauckler und Seildantzer / wie auch andre / welche Trauer- und Freudenspiele auff den Schauplatz bringen / pflegen allezeit einen oder mehr Narren einzuführen / das Volck / welches an ihres gleichen groses Belieben träget / durch abentheurliche Possen zu belustigen. Zu Ende dieses dritten Theils wollen wir von etlichen Wahnsinnigen / welche mit der Vernunfft einen Anstand gemachet / hören / und damit diesen Theil beschliessen.

2. Zu Sevilla in Hispanien / war ein Doctor in dem Narrenhauß / welcher nach etlichen Jahren wider zu recht kommen / und erwiese seinen vorigen Verstand in reden und schreiben / sonderlich aber in einem Brieffe / welchen er an den Ertzbischof aufgesetzet / jn gebührlich bittend / er wolle jm die Gnade thun / daß er auß diesem Elend möge errettet werden / nach dem ihn Gott durch seine Barmhertzigkeit / zuvölligem Verstand[270] widerumb verholffen. Beklagte benebens seine Freunde / daß sie seine Güter inhändig und solche mit falschem vorgeben / er sey nicht bey Sinnen / an sich gebracht. Der Ertzbischoff befihlt einem von seinen Dienern / er solte diesen gewesnen Narren besuchen / und nach befindung seiner Person / wider auf freyen Fuß stellen. Der Verwalter im Narrenhauß sagte zwar / daß dieser zu Zeiten eine Erleichterung seines Unverstands / falle aber bald wider auf die alte Thorheit / wie er / mit ihme redend leichtlich werde abnehmen. Der Diener spricht mit dem närrischen Doctor / und verstehet von ihm / daß dieser Narren Hoffmeister von seinen Freunde Geschencke genommen / und ihn länger alldar aufzuhalten begehre: musse also / wegen seines Reichthumbs / bey gutem Verstandt für einen Narren gehalten werden. Der Diener will ihn so bald mit sich zu dem Ertzbischoff führen / und deßwegen verschaffte er ihm die Kleyder wider / welche der Verwalter nit wollen hergeben / und sich deßwegen noch verdächtiger gemacht hatte / biß endlich der Ertzbischoff schrifftlichen Befehl deßwegen ergehen lassen. Der Doctor sihet sich nun als ein verständigen bekleidet / und bittet deß Ertzbischoffs Diener / er solte ihm verlauben / daß er von den andern Narren / seinen gewesnen Gesellen Urlaub nehmen möge. Der Diener willigte gern darein / und gienge selbsten mit herumb. In der ersten Gefängniß fanden sie einen närrischen Studenten / welchen der Doctor anredete / ob er etwas seinen Freunden zu befehlen / er wolte nun hingehen / und ihm dienen / weil ihm Gott die Gnade gethan / und wider zu völligem Verstand geholffen / etc. Der Student sagte zu den ümstehenden / sie solten zusehen was sie thäten / in dem sie diesen Narren für verständig erlassen wolten / und wissen / daß er auff der Erden Jupiter were / welcher sie mit Donnerkeulen in den Erdboden schlagen / und die gantze Statt verbrennen wolle; oder ja / daß der Unschuldige mit dem Schuldigen nicht verderbe / wolle er das Hauß in welches sie hingehen / also bald mit Hagel und Schlossen in den Brand bringen. Hierauf antwortete der Doctor: So soltu wissen / daß ich Neptunus bin / und alles[271] was du anzündest mit Wasser wider leschen will: deßwegen lasset mir nur meine Freyheit / es soll keine Noth haben mit dieses Jovis Feuer. Als der Diener solches gehört / hat er den Neptuno die Doctors Kleyder lassen außziehen / und wider in sein Kämmerlein versperren.

3. Einer hat ihm eingebildet / er sey von Thon und ein irrden Gefäß / deßwegen jedermann zugeschrien / man soll nicht an ihn stossen / daß er nicht zerbreche.

4. Ein andrer hat ihm eingebildet / er trage Himmel und Erden wie der Atlas / und ist deßwegen gantz eingebogen / als unter einem grossen Last / daher gegangen.

5. Dieser aber war noch lächerlicher / welcher vermeint / er sey enthauptet worden / und habe keinen Kopff / weil ihm solchen sein Fürst / wegen einer Schmachrede / abschlagen lassen. Es hat sich auch ein Artzt gefunden / der ihm versprochen / den Kopf wider aufzusetzen / und hat solches mit einem Hut / der mit Bley außgefüllet gewesen / den er ihme unversehens auff das Haupt gesetzt / verrichtet.

6. Zu Sinea war ein Edelmann / der hat das Wasser nicht lassen wollen / weil er vermeint / er würde damit die gantze Statt ersäuffen. Diesen hat ein verständiger Artzt geheilet; er liesse auf seinem Landgut eine alte Scheuren anzünden / und alle die Diener schrien / daß kein Wasser vorhanden / solches Feuer zu leschen / wann er nun nicht wolte sein Gut in der Aschen liegen sehen / so müste er den Vorrath seines Wassers / welches er viel Tage gesamlet / von sich lassen; Als nun dieser wahnwitzige Edelmann den Brand gesehen / hat er solchen zu leschen / die Blasen erleichtert / und ist also wider zu recht kommen. Schônlin. de Melancholia.

7. Man erzehlt auch von einem / der ihme eingebildet / er sey von Glaß / und deßwegen gebetten / daß ihn niemand wolle anrühren oder zerbrechen / hat man ihn nun zu frieden stellen wollen / so hat man ihn in Stro müssen einbinden / und an statt der Speise kräfftige und nährende Säffte / mit Vorwanden sie in den Gläsern zu verwahren / einflössen müssen. Hiervon ist zu lesen La Novela del Licenciato vodriera en[272] las Novelas Exemplares del Cervantes savedra, auß welches Quixote auch vorgehendes erstes genommen.

8. Ein andrer Melancholischer Kopf ist bey Nacht auffgestanden / und hat mit den Händen getapt / daß er zwischen denselben sich an die Nasen gestossen. Solche Begebenheit hat jn wähnen machen / seine Nasen seye länger als seine Hände / unn allen denen so sich zu ihm nahen wollen / zugeschrien / sie solten sich ja nicht an seine lange Nase stossen.

9. Ein Krancker zu Rom hat ihm eingebildet / er schwime in seinem Bette / und müste ersauffen. Als ihm aber der Artzt gesagt / er habe nie keinen Fisch oder Frosch ersauffen sehen / hat er sich zu frieden gegeben / und für einen Fisch (Stockfisch) gehalten. Hierbey werd ich eingedenck / daß ein einfältiger abgestandene Fische hat sehen in das Wasser werffen / und sich über den Fischer erzörnet / daß er so schöne und grosse Fische hätte ertrincken lassen.

10. Ein Baur meinet / da er im Bette lage / er schliefe / als sein Nachbar anklopfte / fragte er: Wer da? dieser antwortete: was thust du: der Baur: Ich schlaffe noch. Wol sagte der Nachbar / wann du nicht schliefest / wolte ich dich üm deinen Wagen ansprechen. Weil du aber schläffest / will ich wider kommen / wann du erwachet bist / etc.

11. Es geschihet auch vielfältig / daß die Leute ihnen in dem Traum solche Sachen einbilden / daß sie selbe für wahr und unzweiflich halten. Also hat einem getraumt / alle Schiffe so ankommen / weren seyn / und ist also in seinem Sinn ein reicher Mann gewesen. Einem andern hat getraumt sein Fuß were steinern worden / welcher gantz abgestorben war. Die Ursache ist / daß die trüben und dicken Dünste / welche in das Hirn gestiegen / selbes so lang einnehmen / als etwan der Taback einem etliche Tage auß dem Mund riechet und sind manche Weiber / wegen dieser Kranckheit für Unholten verbrennet worden.

12. Die Ursachen solcher Wahnsinnigkeit werden von den Aertzten viel angezogen / sonderlich die natürliche Neigung zu der Traurigkeit / welche die Einsamkeit suchen / viel wachen /[273] grosse Bewegungen deß Leibs / Furcht fasten grobe Speisen und trübes Getränck / insonderheit sollen die Thiere / welche ein schwartzes Fleisch haben / gesaltzene Speisen und Wasser Geflügel / als welche alle düstere Dünste in das Gehirn steigen machen / darzu Ursachen geben. Wie nun der Wein unterschiedliche Würckungen hat / daß er einen lachen / den andern weinen / etliche zancken und rasend machet / also heget auch die Trauersucht mancherley Wirckungen. Es fasset also die Einbildung eine Gleichniß von der Leibsbeschaffenheit / dergestalt / daß die truckner Natur sind leichtlich glauben / sie seyn jrrden und von Thon: welche Blehungen haben / vermeinen sie fliegen in den Lüfften / wie die Vögel / welche viel zehen Schleim in dem Magen haben / bilden ihnen ein / sie liegen in Butter und versincken / etc. Dieses aber gehört den Artzneyverständigen zu beurtheilen anheim / und wie man einem durch Briefe an gute Freunde einen Zehrpfenning ohne Geld geben kan; also kan man auch diese Krancken / ohne Artzney / mit verständigem Einrathen / gesund machen / und zu recht bringen.


Ende deß Dritten Theils.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCLXX270-CCLXXIV274.
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