(XI.)
Die beständige Vnbeständigkeit.

[49] Die Unbeständigen werden verglichen mit den Wolcken ohne Wasser / mit den Wellen die der Wind beweget / und sonderlich mit dem Angesicht deß Monds / welches ohne unterlaß ab und zu nimmet / ob zwar solche Veränderung nur zu gewissen Vierteln beobachtet wird / daß wir sehen / wie er gewachsen / und nicht wie er wächset: wie er abgenommen / und nicht wie er abnimmet. Jener Edelknab deß Hertzogens von Luna hat über den Mondschein seines Herrn Wappen geschrieben:


Niemals voll.

[nuncallena.]


wol wissend / daß er alsdann wieder abnehmen werde / welches er nit wünschen wolte. Es haben auch etliche bemercket / daß in allen Sprachen die Sonne männliches Geschlecht / und der Mond weibliches: Weil aber die Teutschen allein sagen / die Sonne / der Mond / und nit der Sonn / die Mond beschehe / weil die Weiber bey den Teutschen den Meister spielen.

2. Die beständige Unbeständigkeit deß Monds / wird / wie erwehnt / zu betrachten seyn in der Geschichte / welche wir von Lucrina anführen wollen / und solche hier der vorgedachten Kauffleute Wechselglücke nachsetzen / nicht zweifflend / es werde solche Vergleichung zu Ende der Geschichte / nicht sonder Schicklichkeit erhellen.

3. Antiochus ein Frantzösischer Edelmann in der Normandie hatte unter andern Kindern eine Tochter erzeugt / welcher er den Namen Lucrina gegeben / eine unglückselige[49] Weibsperson / von der Wiegen an / biß in das Toden-Grab. In ihrem Mannbaren Jahren wurde sie wie Jephte Tochter aufgeopfert zu Versöhnung grosser Feindschafft und Rechtfertigung / welche ihr Vatter geführet wider Tirinte / einem Edelmann in seiner Nachbarschafft. Dem er etliche Felder und Wiesen strittig gemachet.

4. Dieser Tirinte war ein Wittber / und hatte etliche erwachsene Kinder / die ihm von der Keuschheit solten geprediget haben; doch ließ er sich durch Mittelspersonen bereden / Lucrinam zu heuraten / und die strittigen Stücke / die er vorhin in Besitz hatte / an statt der Aussteuer / oder deß Heuratguts zu behalten. Lucrina hatte von diesem alten Edelmann niemals anderst / als von einem Feinde reden hören / und truge so wenig Neigung zu seinen grauen Haaren / als er wegen seiner unartigen Sitten / zu ihrer Schönheit; doch führet er sie nach Hauß / eines beschwerlichen Handels abzukommen; weil seine Söhne und ihre Brüder vielmals über dieser Strittigkeit einander für den Klingen sehen wolten.

5. Gezwungener Eyd ist Gott leid. Das Ehegelübt ist eine solche eidliche Verbindniß / deren Zwang viel Ungemach und einen traurigen Außgang zu haben pflegt. Es begange sich der alte Tirinte mit der jungen Lucrina so übel / daß sie keine fröliche Stunde bey ihm / viel traurige aber von ihren Stiffkindern erdulten muste / zu dem wurde sie jährlich befruchtet / und ihre Kinder von den andern / als unehliche und unächte Kinder gehalten / welches das getreue Mutterhertz mit nicht wenig Gall und Gegenhaß angefüllet / und haben ihre Klagen bey Tirinte kein Gehör haben wollen / als der seinen Söhnen erster Ehe / noch darzu recht gegeben.

6. Bey Zuwachsung solches Unheils / befürchtet sich Lucrina mit guten Ursachen / daß wann Tirinte sterben solte / ihre Stiffsöhne das eingebrachte Gut wider strittig machen / und zu ihnen reissen würden: massen alles ligende Haab von ihren mütterlichen Herkommen. Deßwegen trachtet sie ihre Forderung außfindig zu machen / damit ihre Kinder wissen[50] möchten / was sie zu suchen. Uber dieses Vorhaben ergrimmet Tirinte / daß er es / wie zuvor / nit bey bösen Worten verbleiben lassen / sondern sie mit harten Schlägen aus dem Hauß gejagt / und die Rechtfertigung mit Antilochs Söhnen wider angefangen / wo ers mit ihrem Vatter ersitzen lassen /

7. Lucrina ist zu ihren Brüdern geflohen / welche sie freundlich aufgenommen / und diesen Frevel an Tirinte feindlich zu rächen versprochen; massen dann auch erfolgt; als sie ihn auf dem strittigen Erbtheil angetroffen / und nach langem Gefecht verwundet / daß man ihn nach wenig Tagen zu Grabe tragen müssen. Lucrina hatte zwar nit Ursach diesen Fall sehr zu betrauren / doch war ihr leid / daß solches von ihren Brüdern herkommen / und daß ihre Kinder es würden büssen müssen.

8. Lucrina war eine schöne / höfliche / junge Wittib / und gefiele Milon einer Parlaments-Person / in der Nachbarschafft / einem sehr reichen / und noch mehr geitzigen Mann. Dieser war alt und hatte doch niemals heuraten wollen / weil ihn seine Kranckheiten / oder vielmehr die Liebe der Freyheit abgehalten: In dem Alter wolte er diese Wittib vielmehr zu einer Warterin seines Ziperleins / als zu einem Weibe seines Ehebetts ehlichen / und weil Lucrina in grosser Armut lebte / liesse sie sich leichtlich bestellen / diesem halb todten und halb lebendigen (also nennet man die jenigen / welche mit unheilsamen Kranckheiten behafftet sind) zu dienen / und verhoffte eine reiche Belohnung nach seinem Absterben.

9. Es hatte ihr aber Tirinte nicht weniger Verdruß und überlast / als dieser Geitzhals ihm selbsten aufgebürdet. Wann er den Schmertzen deß Ziperleins empfande / muste sie Schelt-Trau und Zanckwort hören; wann er ein wenig Ruhe / lage er über seinen Schultbüchern / und ruckte ihr täglich fůr / daß sie ihm nichts zugebracht / und er sie doch ernehren / kleiden und unterhalten müste / etc. Dieser Geitzhals war wie ein Ratz in der Goldgruben / der niemand nutzet als in dem Tod / da man das Gold in seinem Eingeweid zu finden pfleget.[51]

10. Nach Milons Absterben / wurde Lucrina mit dieses Reichen Ersparung getröstet dann ob er sich wol selbsten gerne zu einem Erben eingesetzet hätte / so hat er doch niemand / nach ihm getreuer erfunden / als diese seine ehliche Warterin / die er auch zu seiner Erbin seiner Güter benennet / und ihr befohlen / wol Hauß zu halten / ob er gleich nit zugegen seyn werde. Dieses Milons Vermögen fande sich viel grösser / als man nit vermeint / und war Lucrina Glück gleichsam in dem Vollmond / dessen hellen Schein viel verwunderten / und nicht wenig desselben Einfluß zu geniessen verhofften.

11. Lucrina wurde durch dieses Sonnen Metall viel schöner / weil ihr Hertz erfreuet / und aller außgestandnen Traurigkeit vergessen hette. Wie aber ein schwaches Hirn den starcken Wein nit ertragen kan; also ist der blöde Weiber-Sinn beharrlicher Glückseligkeit nit fähig. Dametes ein vornehmer Herr mit vielen Kindern und Schulden beladen / führte ein ansehliche Hofstadt: hatte viel Knechte / Pferde / Hunde und ein geringes Einkommen. Dieser gedachte sich bey dieser reichen Wittib wiederum zu heilen / und Lucrina / die nach der Weiber Art / nicht wenig ehrgeitzig war / willigte leichtlich in dieses Herrn gethane Werbung.

12. Milons Gelt hatte einen freygebigen Verschwender gefunden; das liegende Haab wolte verpfänden / weil die bewegliche Güter nach und nach verzehret waren. Hierwider eiferte Lucrina / mochte aber dem Mann / so wenig / als den abnehmenden Mond / nicht wehren; sondern hören / daß sie durch ihn zu hohen Ehren gelangt / und seinem Stand und Herkommen nit gleichen mögen / wann sie nit der Reichthum darzu gewürdiget / etc. Kurtz zu sagen / Lucrina musste erfahren / daß man auf hohen Stülen übel sitzet. Wolte sie nit alle Tag einen Haußstreit haben / so musste sie ihrem Herrn nichts einreden; biß endlich der Tod diesen Krieg beygelegt / und sie von so herrlicher Dienstbarkeit befreyet.

13. Aus dem Schiffbruch und Außwurff ihrer Güter hat sie noch viel gerettet / daß sie noch wo nicht reichlich / doch[52] ehrlich zu leben hatte. Den ersten Mann hatte sie genommen genötiget / den andern freywillig / wegen seines Gelts; den dritten aus Ehrgeitz / und den vierdten bulet sie aus Lieb / welches war Alcippe / ein sehr wolgestalter Jüngling / von seinem Bruder aber nach dem Recht der ersten Geburt / alles Haabs entsetzet. Dieser liesse sich nicht lang zu anständiger Heurat bitten; sondern verzehrete bald gar / was von Milons Verlassenschafft noch übrig / daß Lucrina noch in dem ersten Kuß-Jahre in die äusserste Armut gesetzet / und gedemütiget wurde / in dem sie sich zu ihren Kindern erster Ehe / welche sie in ihrem reichen Ehrenstande verachtet / begeben muste / die sie doch als eine Mutter / aufgenommen / und in ihren betagten Jahren wol versorget.

14. Dieses war das vierdte Viertheil der ?artigen Unbeständigkeit / und Lucrina Zu- und Abnehmen. In der Jugend wurde sie von Alten / und in dem Alter von Jungen geliebet / und hatte eine Prob gethan fast aller Eitelkeiten dieser Welt / nemlich der Liebe / Reichtums / Ehre und Wollust / welches alles so nichtig und flüchtig / als deß Menschen Leben selbst / von dem jener recht gesagt / daß wann man von unserm Thun die Eitelkeit absondern wolte / daß nichts nit würde überbleiben.

15. Nechstbesagtem ist auch eine feine Lehr kindlicher Schuldigkeit / welche ihre liebe Mutter nicht entgelten lassen etlicher unbedachtsamer Worte; sondern sie in ihrem Alter versorget / weil sie nach Sirachs Erinnerung / nicht vergessen / wie sauer sie ihrer Mutter worden sind.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XLIX49-LIII53.
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