(XIII.)
Der Falschheit Bestraffung.

[57] Was zuvor von Esner gesagt worden / daß er ein anders versprochen / und viel ein anders willens gewesen / ist eine gemeine Sache zu unsrer Zeit / in welcher fast alle Redlichkeit entwichen / und der Lügen und Trügerey den Platz geraumt. Die Ursach ist leichtlich zu erachten: der Satan der ein[57] Lügner ist von Anfang / hat seine Werck in den Kindern dieser Welt. Ihre Zungen sind zweyschneidige Schwerter / welche tod schlagen die einfältigen und unschuldigen Hertzen / und werden endlich zu gebührender Straffe gezogen / wann sie am sichersten zu seyn vermeinen / wie aus nachgehender Geschichte ein Beyspiel zu ersehen seyn wird.

2. Zu Marsilien hielte sich Nisa / eine schöne Jungfrau und eintzige Tochter Cinthio eines reichen Edelmanns / sie hatte unterschiedliche Werber wegen ihrer Schönheit und Tugend / unter welchen der mit dem schwersten Metall / ich wil sagen / Licidas der reichste / die andern alle weg gewogen / und von Cinthio zu einem Eydem erwehlet worden / dieser Edelmann hatte Mangel an den Augen / daß sein Angesicht fast verstellet war / und deßwegen von Nisa übel angesehen / ungeacht er derselben mit möglichster Ehrerbietung aufdienete.

3. Hingegen truge sie ehrliche und eheliche Neigung zu Selvage einem Edelmann alten Herkommens / deme es ergangen wie den alten Häusern / welche deßwegen übel versehen / weil sie alt und nach und nach von der Zeit zu Grund gerichtet worden. Dieser war von gutem Geschlecht / aber schlecht und arm / weil seine Vorfahren so viel verzehret / daß ihm wenig übergeblieben. Solches aber betrachtete Nisa nicht / sondern liebte seine Person / ob sie gleich von den Gütern deß Glücks entnommen war.

4. Dieses waren die 2. Seitenbuhler der schönen Nisa / deren der eine ihre / der ander ihres Vatters Gewogenheit erlanget / und war zu erwarten / welcher die Braut heimführen würde. Were es nach jrer Meinung gangen / so hätte Selvage gewonnen / aber deß Vatters Wille hielte ihren Willen in Zaum / daß sie verzögerte / was sie nicht unterbrechen vermochte.

5. Cinthio hatte eine Pfleglinge in sein Hauß genommen / von seinem armen Freunde / der ein zeitlang zuvor gestorben / Namens Livia / welche als eine Befreundin für Nisa Dienerin und Gespielin gehalten wurde. Die Armut hatte Livia unter dem Schatten dieser Behausung / als in eine Freystadt getrieben / und aus einer armen Magd in einen leidlichen[58] Stand gesetzet / daß sie Ursach gehabt / sich darmit zu begnügen / und ihr Wolthäterin nicht zu betrügen / wie folgen wird.

6. Diese Livia muste wissen / was mit Licidas und Selvage vorgienge / und ware sie von Cinthio befehlt / Nisam zu bereden / daß sie ihren Eltern gehorsamen / und Licidas heuraten solte. Licidas und Selvage aber gaben ihr beede Gelt / sie solte auf ihren Wege seyn / und versprache sie allen dreyen Theilen zu dienen. War sie bey Nisa / so redete sie übel bey allen beeden / und verhoffte einen oder den andern für sich darvon zu bringen. War sie bey Cinthio / so klagte sie über Nisa / daß sie ihren Bitten und Vermahnungen nicht statt geben wolte: War sie bey Licida / so redete sie übel von Selvage / und bey Selvage übel von Licida.

7. Diese listige Livia gleichet dem Raben in der Fabel / welcher den Wolff und den Hund miteinander zancken sahe / und sich darüber freute / weil er verhoffte / es solte einer oder der ander erbissen / und ihm zur Speise werden: Es hat sich aber der Hund mit dem Wolff verglichen / unn ist deß Raben Hoffnung zu schanden worden. Also ergange es fast dieser Livia auch / in dem sie die Rechnung machte; Licidas nimmet Nisa / so ist Selvage mein: oder Nisa nimmet Selvage / so ist Licidas mein.

8. Nisa bittet ihr Gespielin Liviam sie soll ihr doch bey Cinthio das Wort sprechen / daß er ihren Willen nicht zwingen wolte / und betrachten daß sie Licidas nicht lieben könte / ob er gleich reich; hingegen aber sich mit Selvage / welcher adelich und arm / wol begehen würde / etc. Livia versprache ihre Dienstleistung / und ihr Verlangen äussersten Vermögen zu fördern / hatte aber nichts weniger in willens.

9. Als nun Cinthio mit Livia zu reden kommet / verbirgt sich Nisa hinter die Tappeten / und hörte wir Livia ihrem Versprechen zuwider / ihre Verheuratung mit vielen falschen Vorgeben zu hintertreiben gedencket / daß Nisa erzörnet / sich nicht länger verbergen kan / und hervor springt / dieser Doppelzünglerin die Augen außzukratzen / daß Cinthio Fried bieten / und dieser Zweykampff unterkommen musste.

10. Hierdurch wurde der Livia Falschheit eröffnet / und[59] sie aus dem Hauß gejaget. Nisa aber liesse sich bereden / daß sie sich zu Folge ihrer Eltern Willen / an Licidas ehelich ergabe / und Silvage sahe sich von der Livia Versprechen betrogen / vermeinend Ursach zu haben / sich an ihr / nach der Italiäner Art / zu rächen. Wie aber?

11. Er lässet ihm ein grosses Messer schleiffen / verwartet sie Nachts / und schneidet ihr eine Schrammen über das gantze Angesicht / daß sie die Zeit ihres Lebens diese Bestraffung ihrer Falschheit / tragen müssen / und war dieser Schnitt also beschaffen / daß er die Zunge verletzet / und den Mund von einem Ohr biß zu dem andern ergrössert. Solcher Gestalt ist sie gestraffet worden / mit dem sie gesündiget hat.

12. Diese Geschichte beglaubet das Sprichwort / welches saget: Untreu trifft seinen eignen Herrn / und redet der königliche Prophet David wider niemand öffter / als wider die falschen Zungen / die Gott und Menschen ein Greuel / und haben gewißlich solche Leute den Glauben verlaugnet / in dem sie ihren Trug und Verrähterey nit nur für den Menschen / sondern auch für Gottes Augen zu verbergen vermeinen / oder sich selbst fälschlich bereden / daß ihm Gottloses Wesen gefalle / welches beedes straffwürdig ist.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. LVII57-LX60.
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