(XIV.)
Das großmütige Vertrauen.

[60] Wie das Weisse neben dem Schwartzen heller scheinet / und eine schöne Jungfrau unter den ungestalten lieblicher anzuschauen; also leuchtet die Tugend neben den Lastern. Diesem nach wollen wir der vorbesagten Falschheit und ihrer Bestraffung entgegen setzen die großmütige Treue / Glauben und Vertrauen / mit ihrer Belohnung.

2. Zu Zeiten Henrich deß Vierten / deß so wol in Worten als Wercken / grossen Königs in Franckreich / hat sich begeben / daß die Uneinigkeit wegen der Religion den Brand deß Kriegs in alle Landschafften gestecket / und die Gemüter der Brüder und besten Freunde entzweyet. Zu jetzt ermeldter Zeit war ein Edelmann in Bretagne / Theonas genannt /[60] eine Festung von dem Printzen anvertraut / daß dardurch die gantze Landschafft sich wider den König zu entpören gezwungen.

3. Dieser Theonas hatte einen Sohn / den wir Salvium nennen wollen / welcher seine Tapferkeit zu erweisen / auf die Königischen Völcker vielmals ausgefallen und gute Beuten eingebracht: Mars und Venus sind zween Planeten / welche sich wol zusammen finden / und junge Krieger / geben alte Kriecher / wann sie mit Kranckheiten / so theils von Ungemach der Waffen / und theils von dem Wollust der verbulten herkommen / überwunden und zu Boden gerichtet werden.

4. In bedeuter Stadt wohnte auch Arcadius / ein alter Soldat / von geringen Mitteln / der hatte eine Pfleglinge / Lyonelle oder Löwine benamt / eine Tochter seines verstorbenen Bruders / welcher dieser einigen Tochter grossen Reichtum hinterlassen. Ihr Nam war dem Gemüt nit ungleich / welches ein schönes und fast männisches Angesicht beglaubte. Diese Heldin und Huldinne wurde von Salvio dem tapffern Rittersmann bedient / der die eheliche Treue zu Belohnung verhofft / allermassen auch Lyonelle nicht weniger Gegenliebe verspüren liesse / und kunte sie keine grössere Ehre verlangen und erlangen / als mit deß Obersten Sohn vermält zu werden.

5. Der Handel hatte auch erwarten Außschlag gewonnen / wann nit Arcadius solchen unterschlagen / weil er der Pflegtochter Güter in Handen / und nach Gebrauch der bösen Gerhabere ihr bestes suchte / welches ihm durch ihre Verheuratung aus den Händen würde gewunden werden. Solches konte der Lyonella nicht verborgen seyn / und machte sie leichtlich die Rechnung / daß ihr Vetter keinen Mann für sie suchen würde / wann sie nicht selbsten darnach trachtete.

6. Als nun die Werbung angebracht wird / gibt Arcadius zur Antwort / seiner Pflegtochter Vermögen sey also beschaffen / daß sie dergleichen Gedancken noch nit haben könte / zu dem wollen die Kriegsläufften nicht zulassen / daß man die Jungfrauen den Soldaten verspreche / deren Glück eine böse Viertelstund fällen könne / etc. Also wurde die Sache[61] auf die Harre gespielt / und auf ungewisse Zeit ausgestellet.

7. Zu diesem fügte sich noch eine andre Hinterniß / daß nemlich dem Arcadio / als einem versuchten Soldaten von dem Printzen eine Stadt anvertrauet wurde / in deren Festung oder Schloß Zoticus Oberster war: Dahin führte Arcadius seine Pfleglinge / und sein gantzes Haußwesen. Die Abraise war eiligst angestellet / und daß die beeden verliebten sonder Abschied voneinander geschieden / welche doch die Hoffnung wieder zusammen zu kommen etlicher massen getröstet / ob sie wol solcher keine Ursach andichten noch derselben Zeit und Gelegenheit ersehen kunten. Die Unbeständigkeit der Jugend / welche nicht weiter dencket als sihet / hielte beede in beharrlichen Furchten.

8. Der Printz wolte daß diese beede Obersten des Schlosses und der Stadt / miteinander in gutem Vernehmen bleiben solten / weil ihm an diesem Platz sehr viel gelegen / und durch ihre Uneinigkeit leichtlich könte gefähret werden. Zoticus hatte bey sich einen jungen vom Adel von altem Herkommen / welcher in Kriegssachen solte unterrichtet werden. Diesen ersahe Lyonelle / und solte seine Verheuratung mit derselben / das Band seyn der Einigkeit / zwischen gedachten zweyen Obersten; Gestalt darunter gehandelt / und beederseits Freundschafft darein zu willigen nicht abgeneigt.

9. Lyonelle sihet dieses Wetter von ferne / und schreibet Salvio in was Gefahr sie stünde / wann er nicht kommen und sie retten würde. Durch dieses großmütige Vertrauen wurde deß jungen Rittermanns Liebe noch brünstiger / daß er keine Gefahr sich aufhalten lassen / seiner Liebsten Befehl zu gehorsamen. Wie aber?

10. Der Ort war 10. oder 12. Meil Wegs entlegen von der feindlichen Besatzung / dahin Salvius zu raisen hatte / deßwegen er wegen Eil und Sicherheit die Nacht erwehlete / und unter Wegs von einer andern Feindsparthey nach gethaner Gegenwehr sich gefangen geben muste. Floris der Oberste in selber Festung hielte ihn nicht als einen Feind / sondern als einen Gast / mit aller Höflichkeit und Ehrerbietung /[62] vermerckte aber wol / daß Salvius Traurens voll / und wurde von seinen Dienern berichtet / wie er die gantze Nacht mit Seufftzen und Klagen hingebracht.

11. Als ihn nun Floris hierüber besprochen / und ihn sein Anliegen zu eröffnen mit vieler Höflichkeit gebetten / hat er dieses Innhalts geantwortet: Das Glück ist wol blind zu nennen / wann es mich durch die Gefangschafft bey einen so tapffern und höflichen Rittersmann betrüben wil / dessen Lob durch deß Gerüchts Trompeten aller Orten erschollen. Was mir heut widerfahren / kan allen andern redlichen Soldaten morgen auch begegnen: Den Tod hab ich mehrmals ohne Schrecken unter Angesicht gesehen / so hab ich auch bey meines lieben Herrn Vattern Lebszeit / von Gelt und Gut nichts zu verliehren: Ich bin noch kranck noch verwundet an dem Leib / aber mein Hertz ist verletzt / gefangen / und in dieser Sicherheit gefährt / das zu verliehren / was mir in dieser Welt das liebste ist / etc.

12. Nach dem nun Floris alle Umstände befragt / erzehlte ihm Salvius aus großmütigem Vertrauen / was ihm Lyonelle geschrieben / weiset ihm die Briefe / und benetzet dieselbe mit vielen Thränen / welche mit Recht das Blut der verwundten Hertzen können genennet werden / und von den Augen rinnen / als durch welche solche Wunden geschlagen worden. Floris hatte in seiner Jugend der gleichen Anfechtung gehabt / und bedingte mit Salvio 200. Kronen Lößgelt / stellet ihn aber alsbald auf freyen Fuß / und begnüget sich an seiner gegebenen Treue / sich in 14. Tagen wieder zu stellen / darfür ihm Salvius nicht sattsam dancken kan / und gibet ihm Floris etliche Reuter zu / die ihn biß an deß Feindes Schildwacht sicher geleitet.

12. Salvius ist so bald nicht angelangt / daß solches Lyonelle erfahren / ihm Gelegenheit gegeben mit ihr unterrede zu pflegen / und entschlossen mit ihme zu entfliehen: jedoch daß Salvius zuvor schwören müssen / sie nicht zu berühren / biß sie im Beywesen ehrlicher Leute / miteinander / nach Christlicher Gewonheit / getrauet worden / wie er auch gethan und gehalten / deßwegen diese beeden keuschverliebten Glück und Heil nachgefolgt. Lyonelle ziehet sich besser zu bergen Mannskleider[63] an / und fliehet mit Salvio / nimmet mit sich ihren Schmuck / bey tausend Kronen wehrt / und weil die bestimmte Zeit deß Salvij Widerkunfft in Floris Festung herbey nahete / wolte Lyonelle sich mit ihm in der Gefängniß einstellen / und ihren Schmuck zu dem versprochenen Lösegelt darbieten / welchen aber Floris nicht annehmen wollen / sondern aus großmütigen Vertrauen beede Verlobte und Verliebte loß / und sie zu ihrer Trauung sicher begleiten lassen.

14. Arcadius und Zoticus wurden über dieser Flucht klagbar bey dem Printzen / kunten aber keinen Verhülff haben / weil zu befahren / Theonas und Salvius möchten sich in deß Königs Schutz begeben. Zoticus und Palestre / der Lyonelle vermeinter Hochzeiter / wolten Theonas und Salvium fordern lassen / wurden aber von dem Printzen verhindert / und muste Arcadius seinen Willen zu Lyonelle Verheuratung geben / welche Ursach gewesen / daß Theonas Stadt / durch Floris wider unter deß Königs Gehorsam gebracht worden.

15. So mächtig ist das Vertrauen bey den Großmütigen / hingegen aber ist das Mißtrauen eine Quelle der Verrätherey. Großmütig und höflich ist mehrmals beysammen / wie im Gegenstand Unhöflichkeit von dem tyrannischen Pövelvolck gehegt wird. Die Großmütigkeit wird füglich verglichen mit einer stählen Klingen / welche sich beugt / aber nicht bricht / und ist diese Heldentugend bey unsrer verderbten Kriegszucht fast selten / deßwegen auch so viel mehr zu růhmen und zu beobachten.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. LX60-LXIV64.
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