(XVI.)
Der erdichte Todsfall.

[69] Recht sagt jener Altvatter / daß der Streit wider die böse Begierden des lüstenden Fleisches alltäglich / der Obsieg aber selten erhalten werde. Die Jugend / welche ins gemein fleischlich gesinnet ist / lässet sich von ihren sündlichen Neigungen dahin verleiten / daß sie auß dem Laster eine Tugend zu machen pflegen: welche aber ihr Gefäß rein behalten / und nit verunehren / als einen Tempel Gottes / wie der Apostel redet / denen gehet ihr Liebe wol hinauß / da die andern ihr Ungebühr zu spat bereuen. Dieses nothwendige Lehrstück haben wir an Hyacintha gesehen / und soll auch ferners / durch nachgesetzte Erzehlung beglaubet werden.

2. Tarpano ist eine Statt an dem Meer gelegen in Sicilia / welche einen guten Hafen hat / und zu der Kaufmannschaft sehr bequem ist. In dieser waren zween reiche Bürger wonhaft / Namens Americ und Mosco / welche so vergallte Feindschaft gegeneinander geübet / daß sie ihre Freunde auf keinerley Weise haben vergleichen können. Wie aber der Kinder Seelen unmittelbar von Gott eingegossen werden / also sind sie der Eltern Neigung nicht allezeit anhängig / aber derselben Laster unterworffen / wie auch hier Emilio Americis Sohn / Septimiam deß Mosco schöne Tochter brünstig geliebet / ob er zwar selbe nur sehen / niemals aber / wegen ihrer Eltern beederseits Todfeindschafft / mit ihr reden können. Septimia hingegen war Emilio nicht abgeneigt / und suchte Gelegenheit sich ihres Wahns / den sie wegen dieses Freyers Liebe gegen sie gefasset / zu versichern.

3. Endlich haben diese beede durch Zeichen und Schreiben einander zu erkennen gegeben / daß die Vereinigung ihrer Eltern / durch ihre Verehlichung bester massen könte zu Werck gerichtet werden; gestalt zu solchem Ende Gott ihre Hertzen zu ehrlicher Liebsneigung aus sonder Schickung bewogen /[69] unnd daß beederseits Güter hierdurch vereiniget / unnd alle Strittigkeit / so darvon erwachsen / aufgehoben werden könte.

4. Ihre Liebes-Flamme war lange Zeit unter den Aschen der Verschwiegenheit verborgen / doch sahe man etliche Füncklein der Verliebten Augen blincken / und wurde der Eltern Zorn / wider ihre Kinder dardurch brünstigst angefeuret. Erstlich thäten sie beederseits denselben ernstlich Verbott / alle Kundschafft zu unterlassen: Die Liebe aber / welche so starck ist / als der Tod / kunte die Wort leichtlich überwünden / unn auf viel listige Weise Brieffe und Beschenckungen wechseln; dann wie der Eltern unverschuldter Fluch ohne Würckung ist / also findet auch ihr ungerechtes Gebot keinen Gehorsam.

5. In dem nun diese verliebte Hertzen lieber dem Gott der Freundschafft als Feindschafft opffern wolten / werden sie von den aufgestellten Außspähern ihrer Eltern verkundschafftet / und Emilio in ein Gefängniß / wie auch Septimia in einen alten Thurn / als ob beede Vätter solches mit einander abgeredet / zu gleicher Zeit geleget; damit alle Unterhandlung abgesondert / und unterkommen werden möchte.

6. Ist die Liebe ein Feuer / das sich in den Schweffelstrimigen Kiselsteinen bergen kann / so wird es auch wol durch die Mauren einer Gefängniß dringen. Beede Vätter beworben sich ihre Kinder mit guten Heuraten zu versorgen. Americ lässet Emilio etliche vorschlagen / und bedeuten / daß solche der Ausgang seiner Verhafft seyn könne / er lachet aber dieses Vortrags in seinem Hertzen / und hat so viel Verstands / daß er wol ein andere Thier zu finden verhoffet.

7. Auf der andern Seiten gebrauchte sich Mosco noch einer grössern Tyranney / in dem er nach vieler Vätter Gebrauch / seine Tochter versprochen / bevor er ihr ein Wort darvon gesagt / und den künfftigen Ehegatten vorstellig gemacht: denselben aber hat er gewehlet nach der Sonnen der Finsterniß guldnen Stralen; ich will sagen / nach dem Reichtum / und war der Septimia künfftiger Hochzeiter ein alter Gauch welchen das Alter so ungestaltet / daß er vielmehr eine Artzney[70] wider die Liebe / als die Ursache derselben genennet werden mögen.

8. Als nun Mosco mit seiner Tochter hiervon redet / als von einer geschehenen und richtig abgehandelten Sache / wider welches sie nichts zu sprechen / bricht sie herauß und spricht: Wann mich dieser Alte / ohne mich / nehmen kan / so muß ich ihm zu theil werden / wann ich aber ein Wort darzu sprechen soll / so werde ich nein sagen / und weil er so alt und stinckend / als ein Todengrab / sol er mich nicht haben / als in dem Tod. Mit dieser Antwort wurde Mosco von der beständigen Septimia abgefertiget / uneracht aller Widerrede / Bedrauung und Schläge / deren sich der Zornige Bößwicht nicht enthalten mögen.

9. Es machte aber Mosco die Anstellung zu der Hochzeit einen weg als den andern / und gedencket sein Kind zu schuldigem Gehorsam zu bezwingen. Dieses hörte Emilio in dem Gefängniß / und erwünschte die Freyheit / mit so viel mehrerm Verlangen / als er beförchten muste Septimia liesse sich endlich den Gewalt überwinden; eilte dewegen Dromede seines Vattern Knecht / der täglich zu ihm geschicket wurde / mit Versprechen und Geschencken zu gewinnen / daß er ihm zu seiner Freyheit behülfflich seyn solte.

10. Emilio stellet sich / als ob er an dem Seitenstechen schmertzlichst darnieder läge / und eines Artzney Verständigen vonnöthen hätte / welcher ihm auch alsobald zugesendet wurde. So bald er in das Gefängniß kommt / ziehet ihm Emilio und Dromede seinen langen Rock ab / und nötigten ihn / daß er sich stillschweigend in das Bette legen must. Emilio hatte ihm einen falschen Bart bringen lassen / mit welchem er sampt dem Rock dem Doctor gleich verstellt / auß der Gefängniß entkommen.

11. So bald nun Emilio erledigt / bringt er ein Geschrey aus / daß er sich auf das Meer begeben / und nach Rom abgesägelt. Inzwischen aber lässet er einen Goldregen auf die Thür der Gefangenen Septimia trieffen / und durch denselben ein Briefflein / in welchem er seinen Zustand eröffnet / und[71] wie die Sache durch einen Schlafftrunck ferner anzustellen / berichtet / etc. Schicket ihr auch nach etlichen Tagen denselben zu / welcher / als ein Schlüssel / ihre Gefängniß eröffnen solte.

12. Septimia lässet ihren Vatter ruffen / nimmet in seiner Gegenwart das Träncklein / und sagt / daß sie ihr / wegen seiner verübten Tyranney / Gifft bey gebracht / und ihre Freyheit durch den Todt bald erlangen werde. Mosco wolte ihr durch Artzney den Gifft wider vom Hertzen treiben / sie wolte aber nichts mehr über die Zunge lassen / sondern fiele als todt in einen sehr tieffen Schlaff. Als nun Mosco solches gesehen / hat er sie in der Stille in das Grab legen lassen / welches ein Gewelb und von Emilio deß Nachts eröffnet / daß sie also von den Todten errettet / in einem Schiffe nach Venedig abgefahren / da sie sich mit einander trauen lassen.

13. Jederman hält Septimiam für todt / und Emilio für verlohren; ihn aber drange die Noth / daß er in Sicilien abraisen / und Lebensmittel zu holen benöthiget war. In dem starbe Mosco jähen Todes / daß er seinen letzten Willen nicht ordentlich verfassen konte; deßwegen die schöne Septimia nach Tarpano wider kommen / und gleichsam auß dem Grabe aufferstanden / doch dergestalt / daß sie von jhren Freunden noch wol erkant worden / welche von der Warheit überzeugt / sie für die rechte Erbin halten musten / Emilio wegen begangenen Jungfer-Raubs hefftig anklagten.

14. Dieser gesellet sich zu Americ / welcher nicht zulassen wolte / daß solche Verlobniß ohne sein Verwilligung bindig / und ihn deßwegen zu enterben bewogen wurde. Emilio aber und Septimia fallen dem Königlichen Statthalter zu Füssen / und erlangen die Gnade / daß Septimia uneracht ihrer Freunde widersetzen / in Besitz ihrer vätterlichen Verlassenschafft gelangt / die Enterbung Emilio auch für nicht erkennet worden.

15. Entlich zahlt Americ auch die Schuld der Natur / und verzeihet / auff vorhergehendes Zusprechen / seinem Sohn Emilio und desselben Weib / daß also die Feindschafft zwischen[72] den zweyen Häusern auff gehoben / und ihre Güter und Gemüter völlig gesammt vnd vereiniget worden.

16. Es ist dieses ein sonders Exempel der beständigen und ehrlichen Liebe / die alle Gefahr überwindet / wann sie zu einem guten Ende ziehlet. Die Eltern welche ihrer Kinder Willen / wider Gebühr zwingen / erleben selten Freude an ihnen / verursachen aber viel Hertzenleid / und müssen doch endlich geschehen lassen / was Gott will. Daher der alten Teutschen Sprichwort sagt: Die Ehen werden in dem Himmel beschlossen / und auff Erden vollzogen: Was mir Gott gönnet kan mir S. Peter nicht nehmen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. LXIX69-LXXIII73.
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