(XVIII.)
Der kindliche Gehorsam und Vngehorsam.

[75] Merckwürdig ist / daß unter allen Gebotten GOttes nur das vierdte die Verheissung hat / daß dieselben Nachkommen lang leben sollen auf Erden; darauß zuschliessen / daß GOtt die jenigen deß Lebens unwürdig achte / welche ihren Eltern schuldigen Gehorsam nicht erweisen. Dieses wollen wir in einem doppelten Gemähld vorstellen / daraus zu ersehen seyn wird / die Erfůllung erstermeltem Göttlichen Gebotts.

2. Ein sehr reicher und vornehmer Herr in Franckreich hatte sein Vermögen in freyen und starcken Händen / als der längst seine vogtbare Jahr überschritten / und erwiese in allen seinem Thun / daß niemand mit besserm Recht Reichthum besitze / als welcher denselben mit Verstand handhaben kan. Unter andern Tugenden hielte er seine betagte Mutter in grossen Ehren / und wuste nicht genugsam demütige Wort unnd Geberden zu finden / seine Unterthänigkeit zu erweisen. Er sagte mehrmals zu ihr wie Salomon zu Bersaba: Bitte / meine Mutter / ich will dein Angesicht nicht beschämen / und soltestu die Helffte meines Königreichs bitten: befahle auch seinem Rentmeister / er solte ihr verabfolgen lassen / was und wie viel Geldes sie begehren würde.[75]

3. Als diese Mutter einsten von ihrem Sohne ein gewisses Gefäll zu ihrem Unterhalt begehrte / hat er ihr solches versagt / weil sein gantzes Vermögen / und nicht nur desselben so geringer Theil in ihren Händen / und zu ihren Diensten stünde. Er hat zu Zeiten bekennt / daß er seine Frau Mutter in seinem männlichen alter so sehr fürchte / als vor Zeiten in seiner Kindheit / und wann er von ihr ein Wort höre / so nehme ers mit schuldigster Unterthänigkeit an / als ein Gebott von einem König / dem er zu gehorsamen verpflichtet.

4. Als ihm zu Ausgang des Jahrs sein Rentmeister eine Rechnung ablegte / fand er eine grosse Post / welche er seiner Frau Mutter hatte eingehändiget und befragte sich deßwegen / wohin solche möchte seyn verwendet worden? Der Rentmeister zeigte einen Schein deßwegen vor / und sagte / daß ihm nicht oblege / Rechenschafft darvon zu heischen / er hette aber verstanden / daß solches Gelt den Armen in einem Spital außgetheilet worden were / als er solches vernommen / hat er ihr noch so viel auszahlen lassen.

5. Es hat auch Gott seinen Segen über diesen Herrn und sein gantzes Haus reichlich aus geschüttet / und ihn mit grossem Gut / einer tugendsamen Gemahlin / wohlgeratnen Kindern und langem Leben begnädiget / daß er mehrmahls mit Jacob gesagt / er seye nicht werth aller Barmhertzigkeit deß Herrn.

6. Dieses Exempel kindlichen Gehorsams / wollen wir entgegen stellen / dem Ungehorsam Mularts / einer Wittibe / Namens Cantiaville / übelgearteten Sohns. Diese hatte in dem ersten Jahr ihres Ehestands ihren Mann verlohren / unn mit jr erzeugt erstbenamten hinderlassenen Sohn. Ob sie zwar noch jung und Gelegenheit hatte sich anderweit zu verheurathen / hat sie doch auß Liebe zu ihrem Kind solches unterlassen / und demselben keinen Stieffvatter über den Hals ziehen wollen.

7. Mit was mütterlicher Vorsorge sie diesen einigen Sohn aufferzogen / ist schwerlich auszusagen: Er aber war gleich einem Waldesel von Jugend auff / der mit Füssen nach seiner Mutter schlägt / die ihn säuget und nähret. Die[76] Söhne wähnen / daß das Weibliche / als schwächere Geschlecht / sie nicht regieren und ziehen könne / und vermeinte Mulart er wüste alles viel besser / als seine Mutter / nach dem Gebrauch der freveln Jugend / die zu mancher Wissenschaft kommen wäre / wann sie nicht vermeinet hette / daß sie schon lang darüber hinauß geschritten.

8. Wie übel sich Mulart in der Kindheit und Knabschafft angelassen / ist zu erzehlen unnöthig / und hoffte die Mutter / er werde mit zuwachsenden Jahren sich bessern / und reiffere Früchte eines guten Lebens bringen. Aber vergebens. Alle gute Vermahnungen waren von ihm verlacht / und spottete er seiner Mutter / so offt sie ihm Einhalt thun / und die Unkosten zu aller üppigkeit zurucke halten wolte. Lügen / stehlen / borgen / spielen / fressen / sauffen war seine tägliche Arbeit / so bald er die Jünglings Jahre erreicht / gesellet er sich zu treuhertzigen Dirnen / die ihn aus der Mutter Hauß und Bottmässigkeit zu sich zu ziehen / bemühet waren.

9. Die Mutter wolte ihren Sohn gerne abhalten / und ermahnte ihn mit wolmeinenden Worten / er solte sie ja nicht ferner betrüben / und wann er sie als eine schwache und verlassne Wittib nicht fürchten wolte / so solte er doch Gott fürchten / etc. Dieses und dergleichen höhnte er für eine alte Fabel der müssigen Weiberlein / die nicht wissen / wie jenem jungen Blut um das Hertz ist / etc. Ja er wünschte seiner Mutter längeres Leben nach dieser Welt / und sagte / daß gleich wie es Eltern gebe mit Kindern beladen; also gebe es auch Kinder mit Eltern beladen. Wann er einen um seinen Vatter weinen sehen / hat er gesagt / daß er weinen solte / wann er noch in dem Leben were.

10. Mulart wolte sich in den Ehelichen Stand begeben / weil er aber durch sein ärgerliches Leben in der gantzen Statt berüchtiget / wolte ihm keine Mutter ihre Tochter anvertrauen / weil er derselben so wenig achten würde / als seiner leiblichen Mutter. Er hatte kaum das 18. Jahr erlangt / als das Wort Gottes mit ihm erfüllet wurde / und er als ein böser unfruchtbarer Baum auß dem Lande der Lebendigen abgehangen /[77] unnd sonders Zweiffel in das ewige Feuer geworffen worden.

11. Ein schwindsüchtiges Fieber hat ihn / als eine verzehrende Flamme / nach und nach außgedörret / daß er Zeit gehabt sein Unrecht zu erkennen und zu bereuen / daß ein so böser Sohn einer so wolthätigen Mutter gewesen / und daß dieses die Ursach seines frühzeitigen Todes. Catniaville betrauerte ihren Mulart / wie David den unartigen Absolon; dann wie ungeraten die Kinder sind / so haben sie doch in ihrem Hertzen einen Fürsprecher und Fürbitter / der ihnen Gnad erlanget / so offt sie solches begehren.

12. Ob wol diese Exempel keine besondere Umstände und nicht selten sind / so habe ich sie doch wollen auffmercken / den bösen Kindern zu einer Warnung; den frommen aber zu einem Trost. Welche ihre Eltern nicht fürchten / die sie sehen und hören / wie solten sie Gott fürchten / den sie nicht sehen. Wehe denen die also in Unbußfertigkeit dahin sterben.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. LXXV75-LXXVIII78.
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