(XXII.)
Die rühmliche Verrzweifflung.

[87] Wie das männliche Alter durch die Ehrsucht / und daß die mehrbejahrten durch den Geitz gefähret werden / als ist die Fleischeslust der Fels / an welchem die Jüngern Schiffbruch deß Glaubens leiden: aller massen wie auß vorhergehender und auch nachfolgender Erzehlung zu verstehen.

1. Luciā / ein Soldat / der seine Tapferkeit unter deß Marggr. Spinola Kriegsheer viel Jahr lang erwiesen / daß er von der geringsten Soldatenstelle / biß zu eines Haubtmannsplatz aufgestiegen / und sich umgesehen / sein Glück durch den Ehestand Ancker fest zu machen; massen die Venus und der Mars sich in dem Hauß der Jungfrauen leichtlich zu fügen pflegen.

2. Ich sage im Haus der Jungfrauen / und verstehe dardurch die Klöster / welche in Flandern solche Nonnen verwahren / die ehelich werden können / und mit viel weniger ärgerniß die Keuschheit freywillig halten / als an vielen andern Orten gezwungen. In so beschaffenem Kloster hatte Lucian eine Jungfer ersehen und geliebet / Namens Gedula; bey ihr auch alsobald solche Gegenneigung verspüret / daß ihr beeder wünschen das Band ehelicher Trauung gewesen.

4. Der Jungfrau Eltern wurde dieser freyer angemeldet / welche ihn betrachtet / als einen Fremden / und einen Soldaten dem sie ihre Tochter abzuschlagen genugsame Ursach hatten / und verbotten deßwegen der Gedula / sie solte Lucians müssig gehen / welches sie zwar zu thun versprochen / aber unter diesem Aschen die Liebesbrunst keines Weges außleschen lassen. Wie der Hunger viel tausend Mittel finden kan sich zu vergnügen so ermangelt es auch den verliebten nit / ihr Verlangen zu ersättigen.[87]

5. Der Eltern Willen zu beugen scheinte fast unmöglich / von einander abzulassen / noch viel unmöglicher. Was Rath wann ein Blinder (als ein Verliebte) den andern (Verliebten) führet / werden sie nicht beede in die Gruben ihres Verderbens fallen? Kurtz / und ohne kürtzliche Umstände die Sache zu sagen / so hat sich Gedula vermittelst einem schrifftlichen Eheversprechen zu unehrlicher Vergnügung bereden lassen / unn nicht bedacht / dz dieses Werck der Finsterniß an das Liecht kommen / und sie in alles Unheil stürtzen werde. Törichte Adamskinder: Solte der nicht sehen / der das Aug gemacht hat / solte der nicht hören / der das Ohr erschaffen / und ihr vermeint eure Schande mit geringen Feigenblättern zu bedecken? Ob die Berge über euch fielen euch zu verbergen / und euch die Hügel verhülten / so soltet ihr doch noch eure Wort / noch eure Wercke / noch eure Gedancken vernichten können. Euer Gewissen ist ein Ankläger und der Richter / welcher euch verdammet.

9. Die Sünde hat unter andern auch diese böse Eigenschafft / daß sie erstlich bedencklich fället / nach und nach aber / als eine Gewonheit ungescheut verübet wird. Also hat auch bey Gedula die Lust empfangen / unnd nach unnd nach eine Frucht erzeugt / so die Mutter in Verzweiflung gestürtzet. Der Schatten der Süssigkeit war entwichen / und die Bitterkeit der Würcklichen Trübsal nahete herzu. Die Wollust / sagte jener / gibt uns zwar Immen-Hönig / aber der Stachel bleibt nicht zu rucke / sondern durchgallet den Geschmack. Wie die so mit Thränen säen / mit Freuden ernden werden / also müssen auch die / so mit Freuden säen / mit Thränen einsamlen.

10. Damit wir aber die beliebte Kürtze nicht überschreiten / ist ferners zu melden / daß das Schmertzenkind Bononi sich in Gedula Leibe durch die Kleider sehen lassen / und war diese Celipso noch unter der Diana keuschen Jungfrauen / welche sie alsobalden ihren Eltern nach Hause / dieselben aber in das Gefängniß geschicket. Der Vater will sie für seinen Augen nicht leiden / damit er sich nicht an ihr vergesse. Die Mutter will ihr die Augen auß dem Kopfe kratzen. Die Obrigkeit / welche deßwegen angeruffen wurde / lässet Lucian / den Thäter[88] suchen / ihn als einen Kirchenrauber und Jungfrauenschänder zu straffen / der sich aber auß dem Staub gemacht / und bey einem seiner Freunde ausser der Statt aufgehalten.

11. Nach dem ersten Fall Evä haben ihren Töchtern die Entschuldigung nicht ermangelt / unnd schutzte Gedula für das Eheversprechen / auf welches sie getrauet / darein ihre Eltern nicht willigen wolten. Hiermit aber wird sie nicht gehört / sondern in eine finstre Gefängniß geworffen / biß sie jrer Weiblichen Bürde erlediget / und dann ferners zur Strafe gezogen werden solte. Was Klagwort diese verlassne Ariadne angestimmet / ist leichter zu gedencken / als zuschreiben: Solte Lucian ihre Klage gehöret haben / er würde nicht unterlassen können / wie Orpheus / diese Eurydice auß der Höllen und Hölen dieser Gefängniß eussersten Vermögens zu retten. Man fragt wegen seiner Person nach / und sagt man von diesem frembden Frantzosen so viel böses / als von einem Hund / den man erträncken will. Wann ein Fremder sündiget / so findet ihn die Gerechtigkeit leichtlich zu Hause; wann er aber von einem Einheimischen beleidiget wird / ist sie schwerlich anzutreffen.

12. Nach dem nun Gedula fast ihre Augen außgeweinet / und sich gespeiset mit grosser Masse voll Thränen / hat sie die Mutter Schmertzen empfunden / und ein todtes Kindlein zu der Welt geboren; Welches dann nicht zu verwundern / weil die Frucht unzeitig / und gleichsam von dem Regen ihrer Augen / abfällig gemacht worden. Als nun die Hebamme dieser betrübten Mutter das Kind zeiget / wirfft sie es auff die Erden / verflucht die Undanckbarkeit seines Vatters / der sie schändlich betrogen unnd elendiglich verlassen / sie zerschmettert die Hirnschalen an der Mauren / und befärbet die Erden mit den zarten Blute. Ja sie klagte sich selbsten an / daß sie eine Kindermörderin welche den Todt verdienet / und wünschte ihr keine Stund mehr zu leben.

13. Der Kläger / welcher sich selbsten beklagt / findet bey den verständigen Richter selten Glauben / und nach dem die Hebamme beständig außgesagt / daß das Kind tod auff die Welt kommen / hat man leichtlich vermerckt / daß solches Vorgeben[89] aus Verzweiflung herrühre / etc. Doch ist das Geschrey außkommen / Gedula werde bald offentlich enthaubtet werden / weil sie ihr eigen Kind ermordet etc.

14. Diese Zeitung ist Lucian zu Ohren gelangt / der sich dann aus rühmlicher Verzweiflung entschlossen / sich bey der Obrigkeit anzugeben / als der Stiffter alles dieses Unheils / und weil er mit seiner Vertrauten nicht leben soll / mit ihr zu sterben: Wie er dann auch solches in das Werck gesetzet / und sich in der Gefängniß eingestellet / sein Leben zu verlieren. Uber diese beede Verliebte und biß in den Todt betrübte verwunderten sich die Richter und Schöpffen höchlich / und weil beede den Todt verlangt und gebetten / haben sie ihnen in solcher Verzweiflung das Leben geschencket / und der Gedula Eltern sind durch diese treue Bezeugung ermildet worden / dz sie in solche Verehlichung gewilliget / ihrer Tochter Ehre und Leben zu erretten. Nach dem nun Gedula Lucians Liebe durch solche Probe erkennet / hat sie ihn verziehen / und sich mit ihm trauen lassen.

5. Der Scribent / welcher diese Geschicht auffgezeichnet / setzet hinzu / daß sich alle Jungfrauen an dieser Gedula spiegeln sollen / und ja nicht verschertzen / was sie die Zeit ihres Lebens nur einmal verlieren können. Eine Jungfrau / sagt er / ist eine schatzbare Perle / wann sie aber solchen Nahmen vernachtheilt / so ist sie ein Perle das in dem Essig verschmiltzt / oder in dem Kot vertretten wird. Ihre Ehre wird stinckend / und ihr Ruhm verfaulet / ja sie wird zu schanden werden / daß man mit Fingern auff sie deutet / und ihre Eltern / von denen sie das Leben empfangen / ihr den Todt anwünschen.


Die ist klug und recht gelehrt /

so sich an andrer Schaden kehrt.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. LXXXVII87-XC90.
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