(XXIV.)
Das Affterkind.

[93] Wann du Honig findest / sagt der weise Mann / so geniesse es mit Mässigkeit / damit es der Magen deuen / und nicht wider geben möge. Der Geyer / in der Fabel / hat zu viel von eines andern Thiers Eingeweid gefressen / und solches mit dem seinen wider herauß göcken müssen / und der Fisch schlucket mit dem Anbiß auch den Angel ein. Ungerecht Gut hat Adlers Federn / welche auch das Wolerworbene auffressen. Also hat Jesebel deß Naboths Weinberg begehrt / und das Königreich verlohren / und straffet Gott noch heut zu Tage / auff viel unerwarte Weise alle / die Güter mit Unrecht an sich bringen / wie auß nachgesetzter Erzehlung ferners zu verstehen seyn wird.

2. Nechst Heydelberg ist ein kleines Stättlein / benamt Hirschhorn / darinnen wohnt ein reicher Edelmann / welchen wir mit seinem Vornamen allein / Ludwig / nennen wollen. Dieser hatte seine Jugend mit aller Uppigkeit zugebracht / derer Werckzeuge der Reichthum und Müssiggang zu seyn pfleget / auch endlich mit reifferm Verstand auch Alter sich geheurat / damit er einen Erben erziehlen möchte / und sein grosses Vermögen nicht lachenden Freunden / denen er nicht hold gewesen / hinterlassen müste.

3. Nach dem er nun sich mit Plaudilla / einer schönen Jungfrauen / aber schlechter Ankunfft / und noch schlechterer Einkunft / verehlichet / hat er jre Tugend / Bescheidenheit / Freundlichkeit und Dienstleistung brünstig geliebt / ob sie wol der Päbstischen Religion zugethan / und darvon nicht zu bringen gewest. Als sie nun in erwünschtem Stande mit einander leben / und sich wol begehen / kommt der Todt / und will das Band dieser Ehegatten mit seiner Sensen entzweyen / doch lässet er Ludwig so viel Zeit / daß er sein Hauß beschicken / und in seinem letzten Willen Plaudillam zu einer Erbin seiner eigen Güter einsetzen kan: Die Mannslehen aber / deren am meisten / muste er / wider seinen Willen / an seine nechste Vettern fallen lassen.[94]

4. Plaudilla fande sich zwar auff der Meinung / daß sie schwanger / es waren aber die Anzeigen so gar zweiffelhaftig / daß man nichts gewisses davon sagen können. Nach dem Tod Ludwigs haben seine Vettern die Hand auf die Güter / und ihnen angefallene Lehen geschlagen / ungeacht Plaudilla / gebetten / sie solten Jahr und Tage zuvor vorbey streichen lassen / und erwarten / ob sie nicht Gott mit Leibesfrucht segnen würde. Aber vergebens.

5. Plaudilla kommt darnider / und bringt ein todes Kind auff die Welt / welches sie leichtlich auß der Welt getrieben und viel tödliche Schmertzen gekostet. Die Vettern vertheilen unter sich die Güter / und beginnen auch der Plaudilla zu entziehen / was ihr Ludwig in seinem Testament zugeeignet hatte. Gott der ein Schutzherr ist / der die Wittib / und ein Vatter der Waisen / machte diese Geitzhälse auff eine seltne Weise zu Schanden / und bezeugte / dz er gerecht unn seine Gerichte gerecht.

6. Nach dem Kindbett befande sich Plaudilla mit einem auff geschwollenen Leibe / welches die Artzneyverständige den bösen Feuchtigkeiten / und einer angesetzten Wassersucht zuschreiben wolten / und riethen ihr / sie solte nach Baden ziehen / und durch die gesunden Wasser desselben Orts / den Leib erwärmen / erweichen / und erleichtern; Welches sie auch unverzögert zu Wercke gerichtet.

7. Zu Baden hielten sich damals auff der Churfürst von Mäintz / und Churfürst von Sachsen / daß wenig Raum in allen Herbergen / und Plaudilla bey einem schlechten Bürger kaumlich unterkommen konte. Deß folgenden Tags nach ihrer Ankunfft / fühlte sie Kindswehen / und als die Wehmuter oder Amme herbey gebracht wurde / gebiert sie einen schönen jungen Sohn zu der Welt / von dem wir diese Geschicht / das Affterkind benamet haben / als welches sieben Monden nach seines Vatters Todt / und 10. Wochen nach dem ersten Kindbett auf die Welt gekommen.

8. Dieses ist alsobalden für die Churfürsten / als ein sonderes Wunderwerck gebracht worden / und hat der damahlige Churfůrst zu Mäintz / selbsten zu Gevattern stehen wollen /[95] und der Churfůrst zu Sachsen hat diesem Affter-Kind tausend Reichsthaler verehren lassen / unnd benebens an Chur-Pfaltz geschrieben / daß die geitzigen Freunde deß verstorbenen Ludwigs / die Güter raumen / und der Plaudilla wegen ihres jungen Sohns Ferdinands völligen Besitz überlassen müssen. Etliche erzehlen diese Geschichte mit wenig andern Umständen / und soll die Amme einen Betrug damit verübet haben / und eines Můllers Sohn für den jungen Hirßhorn eingeschleicht und angegeben haben / der auch nichts adeliches im Gemüt und Geberden erwiesen / ohne Erben verstorben / und seinen Vettern die Güter nach seinem Tod lassen müssen.

9. Dieses Wort Affterkind (zu Latein Posthumus) ist eines von den fast vergessenen / und wird bey Luthero Goldast und Heinisch gefunden. Also sagen wir: Affterdarm / Afftermontag / Afftergeburt / Afftersabath / Afftertheilung (subdivisio) Affterreden / Affterlehen / Affteranwald: Dann Affter ist so viel als nach / hinter / folgend. Werden wir also fälschlich beklagt / daß wir neue Wörter aufbringen / wann wir die alten woldeutenden und nothwendige Reden unter der Banck herfür ziehen und gebrauchen.

10. Die Lehre ist leichtlich zu verstehen / daß nemlich Gottes Hand niemals verkürtzt ist / den seinigen zu helffen / ob wir gleich mit unsern Sinnen solches nit begreiffen oder ergründen mögen. Er / sagt ein Gelehrter / ist der alte Haußhalter / laß ihn machen / und glaub nur daß er dir helfen wolle / unnd helfen könne: Er wird es thun zu der Zeit / weiß er viel besser als du / etc.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XCIII93-XCVI96.
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