(XXV.)
Der verzweifflende Spieler.

[96] Die Spanier vergleichen die Augen auff den Würffeln mit den Pillullen / welche in geringer Zahl genommen / einen gantzen Beutel purgieren. Sie verbieten zwar ihren Kindern das spielen nicht / aber das widergewinnen / unnd nicht wollen verlohren haben / dardurch man sich in gar viel grossem Verlust setzet / und wer alles haben will / der verleurt alles.[96]

2. Zu Alicant / einem Meerhafen in dem Königreich Valentz in Hispanien / lauffen die Schiffe von allen Orten ein / als von Sicilen / Genua / Livorno / etc. und auf denselben unterschiedliche Völcker / Lügenkrämer / und Spitzbuben / etc. Gleich wie in Africa unterschiedliche Arten der Thier bey dem Brunnen zusammen kommen / und sich miteinander vermischen / also findet man an dergleichen Orten vielerley Lumpengesindlein / welche sonderlich ihren Durst stillen bey den Zechen / und alldar viel wunderliche Abentheure außbruten / darbey auch das verwägene Spiel die ordentliche Kurtzweil ist.

3. Die Spanier haben unter andern auch dieses Laster / daß sie sehr leichtfertig zu spielen pflegen / daraus viel Unheil / Armut und Todschläge entstehen. Diesem war auch ein Castillaner / Namens Geron / sehr ergeben / weil ihm eines Theils das Glück / anders Theils der Vortheil seinen Beutel reichlich füllte / daß er also auf der hohen Schul Siquenza seine Zeit mit solcher Gewinnsucht (in dem er den Gewinn mit Karten und Würffeln gesucht) zubrachte / und die Bücher den Motten überlassen.

4. Nachdem er nun deß Ortes überdrüssig / und seine Eltern ihm den Verlag nicht ferner herschiessen wollen / macht er sich auf / und raiset nach Valentz die Haubtstadt in dem Königreich / von dar durch Arragon und Catalognen / und komt nach Alicant. Sein Wechselbrief war die Karten / welche ihn aller Orten machten Gelt geben / daß er sich darauff verliesse / als ob das Glück Lehen von ihm hette / und ihm als eine Vassallin zu gehorsamen schuldig were.

5. Dieser Spitzbub oder Leutbetrieger / hatte noch diesen guten Gebrauch an sich / daß er die Armen seines Gewinns theilhafftig machte / und wann er einen betrogen hatte / gab er zwar nicht vierfach wieder wie Zacheus / aber doch den vierten Theil nothdürfftigen Leuthen. Daß dieses Almosen deß Galgens werth / und Gott keinen Gefallen an den übel gewonnenen Gaben / sondern einen Greuel und Abscheu darvor habe / ist aus Heil. Schrifft genugsam zu ersehen. Doch[97] ist das Gemüt gut / welches vielleicht Gott ansihet / gleich wie er den Eifer deß Sauls ihm gefallen lassen / bevor er Paulus worden / weil er vermeint GOtt zu dienen / und um das Gesetz zu eifern.

6. Zu Alicant findet Geron einen Schiffhaubtmann / einen listigern Spitzbuben / als er war / und der den Betrug viel artiger bedecken können. Dieser lässet Geron viel Gelts gewinnen / und nachdem er vermeint reich zu seyn / und nicht bedachte / daß er arm werden könne / gebraucht er auch seiner Kunst / und gewinnet den armen Castillaner ab so viel er hatte / den Mantel und den Degen / ja seine Haut / verstehe von Elendleder / aus welcher er ihm ein Kleidung machen lassen / jedoch ist ihm das flehentliche Elend und die äusserste Armut übrig geblieben.

7. Als ihn nun der Haubtmann der Gallern / besagter massen demanteliret / fragte er ob er mehr spielen wolte? Der Castillaner sagte ja / aber auf Borg / dann er dem Wůrffelknipfer seine Stücklein noch nit abgesehen hatte. Kurtz zu sagen: Geron spielte gegen 50. Cronen zwey Jahr in Knechtschafft die Ruder zu ziehen / und verleurt seine Freyheit / in dem er gehofft / sich herauß zu reissen / und allen Verlust widerumb zu holen.

8. Das Gelt war so bald nit verlohren / so wil man ihn in die Fessel schlagen doch erhält er die Gnad / daß man ihn etliche Tage noch frey gehen lässet / biß die Schiffe abseglen / und er inzwischen Zeit hätte / an seine Eltern zu schreiben oder einen Freund zu suchen / der ihm die 50. Kronen vorstreckte.

9. Er wird aller Orten fleissig verwahrt / daß er nit entlauffen konte / der Brief an seine Eltern war wol bald geschrieben / aber der Freund mit dem Geltleihen wolte sich nirgend finden / und war er ein verzweiflender Spieler / der das spielen verfluchte und die Würffel und Karten verschwören wolte / wann er nur einmal aus diesem Unglück kommen könte. In dem er aber kein Mittel seiner Entledigung ersinnen kan / verzweiffelt er und nimmt Strick / oder Halfter / steigt auf den[98] Boden und wil sich erhangen; erträglicher haltend / den Halß / als die Füsse in Banden zu haben / weil jenes den Tod / und dieses ein elenderes Leben / als der Tod / mit sich brächte.

10. In dem er mit diesen Gedancken umgehet / und einen grossen Nagel mit einem Stein in die Wand schlagen wil / hört er an dem klopffen / daß die Wand hohl / und als er sie auffbricht / findet er einen grossen Sack mit Goldstücken / welchen der Wirth dahin verborgen hatte.

11. Mit was frölichem Angesicht Geron diesen Schatz angesehen / ist leichtlich zu glauben: Er nimmet alsobald das Gelt und die Edlen Gesteine / giebt seinem Haubtmann die 50. Kronen / und gehet mit dem Rest durch / mit dem endlichen Vorsatz / die Zeit seines Lebens nicht mehr um Gelt oder Geltswerth zu spielen. Er fragte nit wem solcher Schatz angehörig / und wuste wol / daß es nun sein entnommenes Gut / und wann er schon darüber hätte sollen an den Galgen kommen / so würde es ihm doch leidlicher gewesen seyn / als die erbärmliche Ruderbäncke zu betretten.

12. Bevor er ihm mit diesem ungerechten Mammon Freunde gemacht / und in dem Wirtshauß verstrickt war / gange er den gantzen Tag traurig und sehr gebuckt / daß ihm einer seiner bekanten fragte / was hast du / daß du so traurig bist; darauff er geantwortet: Ich hab nichts / darum bin ich so traurig / dann mein Gelt / meine Kleider / meine Freyheit / ja alle Hoffnung ist verlohren. Wie solte ich können frölich seyn?

13. Als er nun das Gelt entwendet / hat er den Strick oder die Halfter liegen lassen / an welche er sich Judaisiren wollen. Lampo / der Wirt / ein Ertzschinder / der noch den seinen / viel weniger den Armen gutes zu thun pflegen / wolte noch etliches Gelt den verborgenen beylegen / und fand / daß einer seinen Schatz mit dem Strick vertauschet. Wie hefftig dieser Geltfraß erschrocken / kan niemand als ein Geitziger bey sich abnehmen. Kurtz / er verzweiffelt / und hangt sich an den Strick / daß er in wenig Zeit erworget; dergleichen Exempel bey Livio auch genugsam zu lesen ist.[99]

14. Geron kommt wieder nach Haus / und weil ihm Gott so gnädig aus Nöthen geholffen / welcher kein böses Werck ungestrafft / und kein gutes unbelohnt lässet / hat er jm Freunde gemacht mit dem ungerechten Mammon / und seinem Gebrauch nach reichlich Almosen gegeben.

15. Hierauß ist zu lernen / daß das Spielgelt unter das ungerechte Gut zu zehlen / welches nicht auf den dritten Erben kommet / sondern dem ersten Gewinner eines grossen Unglücks sicheres Pfand ist. Das Glück / sagen die Spanier / ist eine Weibsperson / die den jungen Leuten Gunst erweiset / und sich auch wol in die Narren verliebt; jedoch allezeit mit großem Unbestand / daß der sich auf so flüchtige Gewogenheit verläßt / nach dem Schatten greifft / und sich auf einen Rohrstab steuret / der ihn durch die Hand drucket. Aus dem Geltsüchtigen Spielen erwächset wenig Gutes / aber sehr viel Böses / als Verlust der Zeit / Verlust deß Gelts / Verlust guter Freunde / und mit einem Wort die Reue / welche an statt solcher Zeitvertreibung ins gemein zu erfolgen pfleget.

16. Diesem nach ist besser man unterlasse das spielen gar; oder man spiele um so geringen werth / daß der Verlust niemand reuen / noch der Gewinn erfreuen könne. Andern das Gelt / welches er oder der seinigen bedörffen / abzuspielen / vergleichen die Juristen mit einem Diebstal / und überfährt man zum wenigsten das Gebott: Du solst dich nicht lassen gelüsten!


Ende des ersten Theils.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XCVI96-C100.
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