(III.)
Die ungleichen Ehegatten.

[15] Es möchte jemand gedencken / daß ersterzehlte Geschichte vielmehr unter die traurigen / als frölichen zu rechnen / weil Wolffgang ein böses Leben geführet / und nicht wol gutes Ende nehmen mögen. Wann man aber im Gegensatz die vereinigten Edeleute betrachtet / und daß das gantze Land dieses reissenden Unthiers entleidiget worden / muß man bekennen / daß in diesem wie vielen folgenden Fällen die Guten mit den Bösen / und das Glück mit dem Unglücke vermischet ist. Jener wolte behaupten / daß die Comet- oder geschwäntzte Sterne allezeit gutes bedeuten / nemlich den Obsieg eines / oder deß andern Theils: also ist selten ein Geschicht / da es nicht etlichen wol / und etlichen übel ergehet / wie auch folgende zu vernehmen geben wird.

2. Gordia / eine reiche adeliche Wittib / lage in einer benamten Statt in Franckreich kranck an der Wassersucht. Sie ersparte nichts / was zu Verlängerung jhres Lebens diente / unn war sie mit Aertzten / Barbierern / Apotheckern und Warterinnen umgeben / welche sich von jhrem Vberfluß zu bereichern verhofften / vnd nicht weniger mit der unersättlichen Geltsucht / als Gordia mit der Wassersucht / behafftet waren.[15]

5. Unter andern fande sich zu dieser Krancken ein Chymist / benant Rigobert / welcher seine Kunst in einer Zahnbrechers Büchsen meisterlich zu marck brachte / und die krancke Gordian beschwätzte / daß sie die andern alle abschaffete / und sich seinen Verordnungen allein vertraute / massen viel Köche den Brey versaltzen / und viel Artzte zum Grab beförderen.

4. Gordia befande sich nach und nach von dem schweren Wasserfluß entlastet / und bey solcher Genesung / daß sie nicht weiß / welcher gestalt sie seinen Fleiß danckbarlich vergelten und erkennen solte. Sie hette gerne mit dem alten Tobia gesagt: Wann ich dir die Helffte meiner Güter gebe / so were es nicht genug für deine Wolthat. Mit solchen Worten aber hat sie zurucke gehalten / weil sie den Artzt für einen solchen Engel angesehen / der das erbieten nicht außgeschlagen.

5. Gordia hatte vier Kinder / zween Söhne und zwo Töchter / deren ein Sohn und Tochter in den Geistlichen Stande versorget / der ander Sohn und Tochter aber solten weltlich bleiben / und den Gütern vorstehen. Richobert hatte einen einigen Sohn / Namens Philorme / welchen er zu dem studieren aufferzogen / und zu einem Rechtsgelehrten machen wollen. Diesen gedachte er wol anzubringen / und ihn mit Ausbertin / der Gordia Tochter zu verheuraten; allermassen er ihr zu verstehen gegeben / daß ihre Kranckheit noch nicht geendet; sondern die Zweige von diesen bösen Stammen vermittelst der Artzney abgekürtzet / die Wurtzel aber noch nicht völlig außgerissen.

6. Es ist weltkündig / daß in Franckreich die Aemter und Ehrenstelle teuer verkauffet werden / und ob sie wol nur darzu tüchtigen Personen gedeyen solten / so findet sich leider mehrmals das Widerspiel / und wie der Prediger redet / daß auch Narren sitzen in grossen Würden / Knechte (dem Verstand nach) auf Rössen reiten / und Fürsten (mit fürstlichem Gemüt begabte) zu Fusse gehen / wie Knechte. Also verhoffte Richobert mit dem erheuratem Gelt ein solches Amt zu kauffen / von welchem sein Sohn die Zinsse doppelt benützen könte.[16]

7. Gordia liesse ihr diese Heurat wol gefallen / und verhofte ihren Artzt mit solchem fahrenden Haab zubezahlen / welches keiner sonder einen schweren Beutel zu der Mitgabe anzunehmen pfleget / und befahle ihrer Tochter / sie solte sich gegen diesem jungen Advocaten freundlich bezeugen / und als ihren künfftigen Hochzeiter ehren. Ausbertin aber wolte dieses Neulings keine Gunst haben / und hatte sich bereit an einen andern tapfern Edelmann ergeben / der sie nach ihrer Mutter Tod ehelichen solte.

8. Gordia war in diesem Fall nicht zuverdencken / daß sie ihren Artzt durch solche Heurat ihr mehr und mehr zu verbinden gehoffet / und erinnere ich mich hierbey / daß König Ludwig der eilffte dieses Namens in Franckreich seinen Artzten und Barbieren nicht nur seinen Leib / sondern auch die höchsten Aembter seines Königreichs zu verwalten anvertrauet; deß ungezweifelten Versehens / sie solten solches dankbarlich erkennen / welches aber schlechtlich beschehen / und hette solche Ehe den Tod Gordia vielleicht befördert / damit das Gütlein dem Artzt unnd seinem Sohn in die Hände gefallen were; wann die Heurath besagter massen ihren Fortgang gewonnen.

9. Harduin der Außbertin Buler / bemühte sich den junge Schrifftling auß dem Sattel zu heben / und riehte seiner Liebsten / sie solte ihrer Mutter zu Gemüte führen / daß sie keine leibeigene Magd were / welche man an statt der Bezahlung dem Artzt übergeben möchte; sie solte ihm seinen Sold mit Gelt und nicht mit ihren Kindern bezahlen / etc. Er aber an seinem Ort wolte der Sache auch Rath zu schaffen wissen.

10. Harduin war ein Soldat / unnd führte auff eine Zeit Philorme für die Statt spatzieren / mit ihme wegen Ausbertin zu sprechen / sagend; welcher gestalt er von vielen Jahren hero dieser Jungfrauen aufwarte / und ihrer Gegeliebe versichert were / deßwegen wolte er ihn bitten / daß er darvon abstehen / unn sich anderweits bewerben solte / Philorme antwortete darauf / wie er von Gordia Verlaub und Versprechen / daß diese ihre Tochter ihm solte beygeleget werden / unnd daß Ausbertin[17] schuldig ihrer Frau Mutter zu gehorsamen nach den Gesetzen / welche in Geistlichen unnd weltlichen Rechten solches vermöchten und haben wolten; deßwegen er auch nicht zu weichen gewillet / etc.

11. Harduin versetzet hierauf mit der Hand / schlägt den Legisten zu Boden / tritt ihn mit Füssen / und haut ihm den flachen Degen etlichmals über das Haubt / daß Rigobert sattsame Ursachen / Harduin wegen verübten Frevels zubeklagen / und seinen Sohn von zugefügten Wunden zu heilen. Unter schwebenden Recht begegnet Harduin Rigobert selbsten / und wird von ihm den Sohn gleich gehalten / und viel gefährlicher verwundet; Hierüber führet er eine neue Klag / und bittet diesen Edelmann in Verhafft zunehmen / kan es aber nicht erhalten.

12. Als einst Philorme bey Nacht seiner vermeinten Hochzeiterin eine Music brachte / begegnet ihm Harduin widerum / und gibt ihm einen tödlichen Stich / daß man ihn wenig Tage hernach zu Grabe getragen. Ausbertin erlangte auch endlich von Gordia die Einwilligung / daß sie sich mit Harduin trauen lassen / als welcher sie von einem beschwerlichen Menschen erlöset / und sie zu Lohne besser verdienet / als der Artzt / so ihrer Mutter der Wassersucht abgeholffen.

13. Die Lehr wollen wir in folgende Fabel setzen. Ein Löw bate den Ratzen / er solte den Strick / an welchen er gebunden / abnagen / er wolte ihm zu Lohn geben / was er begehren würde. Der Ratz thut es / und heischet deß Löwen Tochter zur Ehe / verhoffend mit dieser Königlichen Heurath zu hohen Ehren zu kommen. Der großmütige Löw williget in sein Begehren / damit man ihn keiner Undanckbarkeit beschuldigen könne. Als nun die Hochzeit herbey kommen / legte die Löwin seine Patte ungefähr auf den Ratzen / und zertrückte ihn: Also erlangte die Heurath ihre Endschaft. Ausbertin war eine Adeliche Jungfrau / unn Philorme einer vō der Federn / d'ohne diese Bulschaft länger hätte leben können. Der Poet sagt dieser Meinung:


Wer sucht zu freyen sonder Weh /

Nehm seines gleichen zu der Eh.[18]


Hiervon ist umständig zu lesen / das VIII. Gesprächspiel.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XV15-XIX19.
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