(IV.)
Der weise Mohr.

[19] Es ist nichts über Buhler List / sagt das alte Sprichwort. Der Můssiggang macht sie Tag und Nacht sinnen / wie sie zu ihrem Verlangen gelangen können / und ist Jungfrauen hüten / ein vergebliche Arbeit / dann es hülfft nicht / oder es bedarff es nicht: daß also jene zu Anfang deß dritten Theils der Gesprächspiele recht gesungen.


Umbsonst ist all' Hut und Wacht

Néhm ich mich nicht selbst in Acht.


Daß diesem also / wird auch nachgesetzte Erzehlung beglauben / so sich in Hispania zu Xeres / einer Statt in Andalusia begeben.

2. In erstbesagter Statt / zwo Meilen von der Baya de Cadis gegen Africa / oder dem Morenland über gelegen / wohnte ein Rittersmann / Namens Mantica / welcher vermählet war mit einer Tugendsamen Frauen / daß er nicht Ursach hatte / ihre Keuschheit in bösen Verdacht zu ziehen / doch hielte er darvor / daß solche gleich einem köstlichen Balsam in einem Kristallinen und leichtgebrechlichen Gefäse / welche sich am besten verwahren liesse / wann man nicht daran stiesse. Er glaubte kaumlich seinen Augen und seinen Schlüsseln / mit welchen er sich versperrte / noch viel weniger vertraute er seinen Dienern / sondern erkauffte leibeigene Mohren / welche die Sprache nicht verstunden damit sie seiner Gemahlin keine Mähre hin und wider tragen möchten.

3. Mit dieser schönen Gefangenen zeugte er etliche Kinder / welche doch alle gleich den Früchten / so von der Sonnen nicht bescheinet werden / unzeitig abfiehlen / und in ihrer Blüte dahin sturben: ausser einer Tochter / die in dem Schatten gleichsam auferzogen / und wegen ihrer weisen Zärtlichkeit / mit dem Helffenbein / mit der Milch und dem Schnee kunte[19] verglichen werden. Nach ihrer Mutter Todt wurde sie von Mantica gleichsam in einer Gefangschafft gehalten / und keiner andern Weibsperson anvertrauet / weil er solches Geschlecht durchgehender Untreue beschuldigte.

2. Ob nun Mantica seiner Tochter von d'Keuschheit / Einsamkeit und Erhaltung ihrer Ehre geprediget / ist leichtlich zu erachten. Die Mohren mussten ihre Hüter seyn / und solche verkauffte und vertauschte er alle Monat / damit sie die Sprache nicht lernen / und ihr als stumme Leute Speiß und Tranck bringen solten. Sie musste aber doch zu Zeiten in die Kirchen gehen / und Messe hören / welches benebens ihrem Vatter geschehen / und zwar unter vielen Schleyern / daß sie schwerlich gesehen werden mögen.

5. Je mehr eine Sache verbotten / je mehr Lust wird zu derselben gleichsam gebotten: je tieffer das Gold in der Erden verborgen / je emsiger trachtet man darnach: je tieffer die Perlen unter dem Wasser liegen / je mehr Werth misset man denselben bey. Charite war in ihrem Schloß verschlossen / und wuste doch jederman von ihrer Schönheit zu sagen / und mehrte solches das flüchtige Lobgericht / als eine Sache / welche man so selten schauen könte / als den Schatz zu Venedig.

6. Eufranor und Inigo waren die ersten Buhler / welche sich umb Charitte anmeldeten / deren dieser reich / und vermeinet Mantica eine grosse Ehre zu thun / in dem er seine Tochter begehrte: jener aber war ein armer Edelmann / musste von ferne stehen / und durffte seine Augen so hoch nicht auffheben. Inigo bringt seine Werbung mit stoltzen Worten vor / daß Mantica ein grosses Mißfallen / in dem er der Jungfer aufwarten / aber zugleich auch ihrem Vatter Gesetze vorschreiben wollen; Deßwegen er auch schlecht gehalten / und fast abgewiesen worden.

7. Eufranor hingegen erweiset seine Demuth und Ehrerbietung / so offt ihm Mantica mit seiner Tochter zu Gesicht kommet / und trachtet nach Gelegenheit / mit Charite zu reden / welche er auff keine Weise finden können. Nach langem Bedencken macht er Kundschafft mit einem von den Mohren /[20] die ihr zu Dienern bestellet waren / und erhandelt durch eine gute Verehrung die Gelegenheit / daß er an sie schreiben und das Brieflein durch Salameles den erkaufften Mohren / überbringen kan / darauff erhält er gute Vertröstung.

8. Nach dem er nun der Sache solcher gestalt einen erwünschten anfang gemacht / lässet er bey Mantica um Charite anwerben / da bekommt er runde Neinwort / weil unter Inigo und seinem Reichtum keine Gleichheit; hingegen aber gedacht er diese seine einige Tochter Hirtan / einem reichern Herrn zu geben / welcher bereit sich in Handlung hatte eingelassen. Diese nun zu hindertreiben und zu unterbrechen / erdachte Inigo folgende List.

9. Er zoge Salameles / deß vorberůhrten Mohren Kleider an / schwärtzte sein Angesicht / und seine Hände / und kommet also in das Schloß zu der schönen Charite / und spricht ihr mit solchen Worten zu / daß sie ihn zu lieben / seinen Seitenbuler aber zu hassen beginnet. Nach genommenem Bedacht entschleusst sie sich auß der Gefängniß zu entfliehen / allermassen nach wenig Tagen zu wercke gerichtet worden / und weil Salameles mit der Jungfer gemisset worden / konte Mantica keinen andern Gedancken schöpfen / daß dieser schwartze Mohr Urheber solcher That / und wuste nichts von dem weisen Mohren / der den Streich gethan. Jederman lachte dieses betrübten und beraubten Vatters / daß er den pechschwartzen und Nachtfarben Gesellen mehr vertrauet / als den Christlichen Dienern.

10. Eufranor meldet sich bey Mantica an / und verspricht die Charite zu suchen und wider zu stellen / wann ihm Mantica selbe zum Weibe versprechen würde. Inigo und Hirtan nahmen ihr Begehren widerum zurucke / weil sie hörten / daß Charite von einem Mohren entführet / und sonders Zweiffel geschwächet worden were. Dieses machte Eufranors Sache gut / und ergreifft Mantica die Gelegenheit / welche ihm zu Rettung seiner und Charite Ehe angebotten würde.

11. Nachdem nun Eufranor das Versprechen erhalten /[21] wuste er bereit / wo Theogene sein Bruder sich mit Charite auffhielte: eilte deßwegen sie widerum zurucke zu führen / und den Mohren frey zu lassen.

12. Solcher Gestalt hat der listige Eufranor diese Gefangene auß der Gefangschafft mit ehelicher verbindniß erlösst / und erhalten was er sonsten nicht bekommen mögen. Nach Verfliessung 9 Monat wird Charite ihrer weiblichen Bürde entbunden / und bringt einen Mohren zur Welt / deßwegen Mantica nochmals in seiner Meinung bestärcket worden / daß Eufranor / der weisse Mohr / nicht Vatter darzu / welcher wol wuste / daß solches von der Einbildung der um sie gewesenen schwartzen Gesellen herkommen können; deßwegen er sie dann entschuldiget und seinem Schwervatter die begangene Liebslist eröffnet / welcher ihm gewünschet / dz er fort und fort mit seiner Tochter Mohren zeugen möchte / wie auch erfolget / und ob sich zwar Mantica den Wunsch reuen lassen / hat er doch keine andere Enenckelein gesehen: als Mohren / so lang er gelebet.

13. Die Lehre kan seyn / daß man der Jugend nicht zu viel / und auch nicht zu wenig Freyheit lassen soll; und gleich wie man den Pferden den Zaum nicht zu lang muß schiessen lassen / noch zu hoch tragen / sondern gleich halten; so soll man auch die Kinder aufferziehen / daß sie nicht scheu werden. Die grosse Freyheit der Weibsbilder in Franckreich bringt so manches Unheil / als ihre Versperrung in Welschland. Jungfrauen / sagte jener / sind wie das Quecksilber / jemehr man sie innen halten will / je mehr sie auslauffen / und ist es nicht vonnöthen / oder es bedarffs nicht.

14. Es kan auch allhier der Eltern Fluch bemercket werden; und gleich wie die Mütter durch die Einbildung ihren Kindern Zeichen anhängen können; so kan auch der Vätter Fluch sie in nicht mindres Unheil stürtzen / wann sie gleichsam / als die Götter ihrer Kinder / Strahlen auß ihrem Munde wider sie schissen lassen. Der Mutter Segen bauet den Kindern Häuser / aber deß Vatters Fluch reisset sie wider ein.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XIX19-XXII22.
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