(V.)
Die Jungfrauen Rauber.

[22] Wie die Gerechtigkeit zwo Waagschalen hat / nemlich die Redlichkeit und Mildigkeit; also hat die Ungerechtigkeit List und Gewalt / kan jene die Sache nicht erheben / so muß dieses Gewicht eingeleget werden / das alles überträgt. Wo der Fuchsbalg nicht dienet / da muß man die Löwenhaut gebrauchen. Ein Exempel der verliebten Listigkeit hat der weise Mohr erwiesen; deß Gewalts Beyspiel wird auß nachfolgender Erzehlung zu vernehmen seyn.

2. Graf von Albedeliste / ein vornehmer Spanischer Herr / wurde von dem Hof zu Madrid / als Königlicher Statthalter in die Insulen Baleares / welche das Königreich Majorca genennet werden / abgefertiget. Dieser Herr war ein Schutzhalter und rühmlicher Beförderer der Gerechtigkeit / und den groben Bewohnern ernannter Insulen sehr scharff / wie auch ihre übermachte Laster harter Bestraffung vonnöthen hatten. So bald er nun diese hohe Verwaltung angetretten / läst er das Herrnlose Gesindlein zusammen treiben / und nach Befindung ihres Wandels / miesten Theils auf die Galeren schmitten. Unter andern aber hat er ein sonderliches rechtmässiges Urtheil gefället / in nachgehender Begebenheit.

3. Zween vom Adel / Alfrede und Henrichmond / hatten eine vertreuliche Kundschafft und Gesellschafft miteinander: Ich sage Kundschafft / dann die sich verkuppeln mit Stricken und Ungerechtigkeit / böses zu thun / können keine Freunde genennet werden / die allein die Tugendliebe verbindet. Alfrede hatte seine bulerische oder vielmehr lüstrende Schalcksaugen auf Iliriam eine schöne Jungfrau geworffen / und war solches seinem Gesellschaffter unverborgen / welcher ihm alle möglichste Hülffleistung versprochen.[23]

4. Albanio / der Jungfrauen Vatter / hatte Iliriam in behutsamer Aufsicht / und eiferte sehr ob ihrer Zucht / wie bey den Hispaniern der Gebrauch ist. Alfrede wolte wol einen Buhler / aber keinen Freyer geben / und konte kein Mittel ersinnen / sein bößliches Vorhaben außzuwürcken. Er streicht um das Hauß herum / aber Iliria erscheinet nicht an dem Fenster / noch in der Kirchen / noch weniger in Gesellschaft.

5. Der guldene Haubtschlüssel / sagt man / sperrt alle Thüren: Diese wolt Alfrede auch versuchen / und zwar durch eine alte Vettel / welche versprache Iliriam in deß Alfrede Hände zuliefern / nach dem nemlich die ihren mit Ducaten gefüllet worden. Der Jungfrauen Sinn konte sie zwar keines wegs von der Tugend wendig machen / aber doch hat sie solche in einen Garten zu kommen beredet / von dar sie mit Gewalt entführet werden können / wie dann auch nachgehends beschehen / und sie / uneracht alles Widerstands / in Henrichmonds Schloß / welches er auf einem Berg in der Insul Minorica hatte / gebracht worden.

6. Wie man eilet über einen unflätigen Weg zu gehen / so will ich auch eilen mit wenig Worten zu sagen daß Iliria von Alfrede Henrichmond / mit Gewalt ist genothzüchtiget / und am Leib geschändet worden / wiewol sie in ihrem Hertzen und Willen unbefleckt geblieben. Ihre Traurigkeit war ohne Trost / weil solches nicht von einem sondern von allen beyden geschehen / daß also diese Schand durch keine Verehlichung ausgelöschet werden kunte. Und hörte dieser Frevler an statt der Liebswort / alle die Schmähung / welche ein ergrimmtes Weibsbild in dergleichem Falle außstossen kan.

7. Inzwischen gibt GOtt / der ein Rächer ist solcher viehischen / ja mehr als viehischen Unthaten / Albanio in den Sinn / daß er den begangenen Fall dem Königlichen Statthalter anmeldet / und um gnädige Handbietung / in Underthänigkeit ansuchet. Er hatte auch in sichere Kundschafft gebracht / daß Iliria in Minoricam auf Henrichmonds Schloß geführet worden; deßwegen alsobalden die Schergen mit etlichen Soldaten dahin abgeschicket / so die Jungfrau mit ihren Raubern[24] in Verhafft gebracht / und für den Grafen zur Verantwortung gestellet.

8. Der Graf machet diesen Ausspruch / daß einer unter ihnen Iliriam freyen / der ander aber sie / ihrem Stande nach / außsteuren solte. Beede erbieten sich zu der Außsteuer / aber keiner will die Geschwächte freyen. So müßt ihr beyde sterben / sagt der Graf / und alle eure Güter sollen ihr eine Decke seyn Hierüber verstummten beede / und war dieses endlich die Gnade / daß sie losen musten welcher das Leben lassen solte; der andre muste sie freyen / und Iliria deß verstorbenen Güter zu einer Aussteuer haben.

9. Hier setzte man dieser Gesellen vermeinte Freundschaft auff die Prob; beede wurden feig / wegen deß bösen Gewissens. Henrichmond erzehlet zu seiner Entschuldigung / wie Alfrede der Urheber / und allein verliebt gewesen / dem er vergeblich abgewehret. Alfrede hingegen erzehlte / wie die Missethat Rathgeber unnd Thäter Henrichmond gewesen / ohn welches Schloß und Behausung alles verblieben were / etc. Deßwegen er dann Iliriam heurathen solte / er aber wolte sie aussteuren.

10. Der Graf beharrt sein ausgesprochenes Urtheil / daß nemlich der / so sie außsteuren würde / sterben müste. Als sie dieses hörten / wolten sie beede Iliriam freyen / aber vergebens / sie müsten um den Tod würffeln / unnd hatte Alfrede die geringste Schantz / deßwegen ihm folgenden Tages das Haubt für die Füse geleget wurde / und seine Güter der Iliria zuerkant. Henrichmond aber hat die Geschwächte willig gefreyet / und sich über dieser Heurat nicht wenig erfreuet / weil er Zeit noch keinen Lust zu sterben hatte.

15. Der Königl. Statthalter hat ihm auch ernstlich anbefohlen / er solte Iliriam also halten / daß sie über ihn zu klagen nicht Ursach haben möchte; auf welchen Fall er ihn mit gleicher Straffe / als Alfrede anzusehen / nicht unterlassen würde. Dieses Gebotts hette er aber nicht bedürfft / weil Iliria sahe / daß sie andrer Gestalt nicht wider zu Ehren kommen mögen / hat sie sich gegen Henrichmond so huldreich erwiesen / daß sie in einer friedlichen Ehe ihr Leben zugebracht.[25]

12. Jederman lobt deß Grafen Ausspruch / wie dorten Salomons Urtheil / welches er unter den zweyen Weibern / die umb das lebendige Kind gezancket / gefället / massen Alfrede gleichwol der Jungfrau-Rauber gewesen / und mehr / als Henrichmond gesündiget / und hat dieses Gerücht den in Wollüsten fast ersoffenem Adel / eine grosse Furcht verursachet. Es ist auch hierauß zu erlernen / wie GOtt die mit Unrecht betrübten / wider erfreuen / und ihnen Recht verschaffen kan / ob es wol vor Menschlichen Augen das Ansehen / als ob alle Hülffe verlohren were. Selig ist der alle seine Hoffnung auf diesen Helffer setzet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. XXII22-XXVI26.
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