(LXXXV.)
Die listigen Erledigten.

[307] Gefangene Leute sind arme und elende Leute / ob sie gleich nicht unschuldig / und wegen ihres Verbrechens in Verhafft kommen / und dardurch bestraffet werden. Unser Erlöser zehlet unter die Wercke der Barmhertzigkeit / die Gefangenen besuchen / und ihnen / wo nit in der That / doch mit Raht und Trost beystehen. Wie nun ein solches Leben viel ärger ist / als der Todt; also ist auch die Gefängschafft / sonderlich wann sie auff ewig / das ist / so lang der Gefangene lebet / oder auff lange Zeit / nemlich zehen Jahre / erstrecket wird / eine Abbildung der finstern und schmertzlichen Höllen Pein / dafür uns Gott gnädig beyüten wolle. Daher ist kein Wunder / wann sich die Gefangenen bemühen / durch allerley listige Räncke loß zukommen / und sich von den Fesselbanden zu befreyen / wie wir hier etliche außgebrochene auf unsern Schauplatz stellen wollen.


I.


2. Die erste Stelle soll haben der Cardinal de Lerma / welcher einen Gefangenen in seinen Schutz genommen / der Hoffnung / seine Sicherheit wegen eines begangenen Ableibs / bey dem König zu erlangen. Als er aber erfahren / daß deß ermordeten Befreunde seinen Tod bey dem Schöpferstul außgewürcket / und der Gefangene hingerichtet werden solte; gehet er selbsten in das Gefängniß / und lässet den[307] Gefangenen seinen Rock anziehen / mit welchem er durch die Wacht / und also entkommen. Er für seine Person hatte keine Gefahr / und verursachte dem König ein Gelächter.


II.


3. Also war zu Zeiten Königs Heinrichs deß Vierten / in der Statt Lyon gefangen der Marggraff Villeroy, und ist durch folgende List entkommen. Er stellet sich als ob er Artzney brauchte / und sprache seinen Kammerdiener Adrian an / ob er wolte mit ihme die Kleider wechslen / und ihme aus der Gefängschafft helffen. Adrian war hirzu willig / und hatte ein Ort ersehen / welcher sich wegen deß bösen Geruchs nicht wol nennen lässet. Dahin brachte Adrian die Würckung der Artzney / und bande auch einen Strick dahin / daß sein Herr darmit sich hinab lassen / und auff freyen Fuß kommen möchte. In dem hinaußtragen deß Gestancks / hatte der Diener den Kopf auf die andere Seiten gewendet / biß er die Schildwacht vorbey gangen / dieses thate auch der Herr / und als er sich an gedachtem Strick abgelassen / ist auf einen Büchsenschuß davon / ein Trop von seinen Freunden / und ein Pferd für ihn bestellt gewesen / daß er also glücklich entkommen. Der Knecht ist auch für unschuldig erkant / und auff seines Herrn inständiges Anhalten / nachmals erlassen worden / welcher gesagt / daß er die Zeit seines Lebens keine so böse Nacht / in einem so guten Bette gehabt.


III.


4. Zu Florentz ist ein vornehmer Spanier wegen eines Todschlags gefangen gesetzt worden / doch der Gestalt / daß man ihm verlaubt mit seinen Freunden und Bekanten die Zeit zu vertreiben. Dieser machte einen solchen Anschlag. Die Edelleute / welche ihn besuchten / spielten untereinander / welcher auf den Knien ein aufgestecktes Goldstück von der Erden aufheben / und zugleich die Hände auf den Rücken halten könte. Der Kerckermeister / auf den es an gesehen / sahe zu / und sagte / daß die Sache sehr leicht / die andern muten ihme eine Prob zu / als er das erste Goldstück mit den Zähnen er greifft / schreyen sie: er habe die Hände von einander gethan.[308] Er sagt darauf / als man ihm noch ein andres Goldstück aufsteckte / man solte ihme die Hände binden / welches auch geschahe / und in deme er bemühet ist nider zu knien / nehmen sie ihme die Schlüssel von der Seiten / sperren auf / lassen den Gefangenen loß / welcher sich auf ein Pferd schwinget / und gemachter Anstallung zu folge / mit einem Rennschiff / von Liborno nach Genua abgesegelt.


IV.


5. Ein andrer hat nichts als Essig trincken wollen / selben aber an die Gitter der Gefängniß gegossen / und die Steine darmit so weich gemacht / daß er sie endlich ausheben / und dadurch entrinnen können. Bettinus weiset in seinem Apiario, wie man solche eiserne Gitter mit einem Feuerspiegel zerschmeltzen soll.


V.


6. Zu Paris war ein vortrefflicher Beutelschneider auf Handhaffter That ergriffen / und stunde in Gefahr / daß man ihm seinen Eß- und Trinckbeutel zuknipffen solte. Diesem brachten seine Gesellen / vorgenommener Abrede noch eine Pasteten / darinnen eine Winden / ein Hammer / Strick und dergleichen Brechzeug / sich aus der Verhafft loß zu würcken / welches er auch zu seinem Unglück gethan; dann so bald er entkommen / hat er dem Nechsten / so jm begegnet / den Mantel genommen / und ist darüber wider gefangen / und folgenden Tag mit dem Strang hingerichtet worden.


VI.


7. Der Hertzog Sabelli ist bey Brisach in einer alten Frauen Kleid die ihme Wasser gebracht / und sich aus Geitz erkauffen lassen / glückselig entronnen: hätte sonsten nicht wenig Lößgelt bezahlen müssen.


VII.


8. Zu Pariß war ein Teutscher / Schulden wegen in das Gefängniß geworffen. Dieses erfähret seine Liebste / kommet ihn zu besuchen / und als sie ihn schlaffend gefunden / nimmet sie seine Laute / spielet / biß er erwacht / sagte ihme alsdann / er solte auffstehen / und mit ihr / weil sie alle seine Schulden bezahlt /[309] nach Hause kommen. Ob dieser Frembde durch diese Rettung erfreuet worden / ist unschwer zu ermessen.

9. Ein lustiger Kopf hat sich unterstanden die Gefängnisse / von welchen man saget / daß keine schön seye / mit nachfolgenden Ursachen zu loben. Erstlich sagte er / sind die Gefangene aller Auflagen / Wachten / Schantzens und Herren-Dienste befreyet / über welche sich andere sehr beschweren. Ja wann die Statt an vier Orten brennen solte / sind die Gefangenen nit verbunden zu retten / und sich in Gefahr zu begeben.

10. Zum andern sind die Gefangenen wolbedient / sorgen noch für Essen / noch für Trincken / und hat man zu Zeiten mehr Mühe mit ihnen zu reden / als mit einem grossen Herrn. So bald sie die Ehre haben das Gefängniß zu betretten / müssen sie den Willkomm zahlen / und sind meisten theils in den Fürsten Höfen / oder Rathhäusern zu Herberge.

11. Drittens / sind die Gefangenen befreyet von der Sonnen Hitze / vor unverschämten Mücken / den beschwerlichen Winden / sie haben noch Pferde noch Laquayen von thun Sie haben Zeit ihren Gedancken nach zu setzen / zu lesen und zu schreiben / zu schlaffen und zu wachen / sonder Verhinderimg und andere Beschäfftigung. Ja in der Gefängniß ersparen die jenigen viel / welche zu frühe gebohren / und vor ferten verzehret / was sie heur einzunehmen haben.


VIII.


12. Zum Beschluß dieser Erzehlung wollen wir bey bringen / wie noch eine seltene Art / aus der Gefängniß zu entkommen / zu Lyon ergriffen worden. Ein Edelmann lage auff Leib und Leben gefangen / weil er seinen Feind / wider deß Königs Verbott / vor der Fauste erstochen. Seine Freunde erkaufften die Torner / daß sie die Vhren in der Statt umb eine gantze oder anderhalb Stunde zurücke gezogen / wie auch auff den Tag / als er sterben sollen / beschehen. Inzwischen aber flehen die Freunde den König umb Gnade an / und erlangen abschlägige Antwort / biß endlich die Zeit vorůber / und der König vermeint / daß der Ubelthäter bereit von dem Leben zu dem Todt hingerichtet:[310] da dann der König sich erbitten lassen / und ihme das Leben zu schencken verwilliget. Die Freunde eilen zu der Gefängniß / und finden ihn / weil die Stund uhren zu rücke gezogen worden / noch in dem Leben. Als solches der König erfahren / hat er zwar den Verurtheilten erlassen / die Thörner aber nach Verdienste abgestraffet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCVII307-CCCXI311.
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