(LXXXIX.)
Der tyrannische Stiefvatter.

[320] Deß Menschen Leben vergleichet sich füglich mit einem Gesang in welchem schwartze unn weisse Noten / so theils hoch / theils nider / theils in der mitten stehen. Wir haben bald Leid / bald Freude / bald Ehre / bald Schande / und so wunderliche Auf- und Absteigungen (intervalla) daß wir bald den Wolbald den Mißlaut / endlich aber den Todt / als das Ende vom Lied / zu erwarten haben. Dieses wird der Meinung angeführet / daß wir in Untersuchung merckwürdiger Begebenheiten / viel mehr traurige als fröliche / vielmehr schwartze als weisse Noten / ja vielmehr böses als gutes befinden / und in solcher Zusammenstimmung beruhet aller Menschen Leben. Diesem nach müssen wir mehr lehrreiche als fröliche Geschichte / deren Außgang doch nit erschröcklich noch mörderisch ist / erzehlen.

2. Philorme ein Hauptmann unter Königl. Majest. in Franckreich Leib Regiment / wartete Honorata / einer reichen Wittib auf / sein flüchtiges Soldaten Glück grundfest zustellen / und brachte sie auch endlich darvon. Diese Wittib hatte ein Töchterlein / welcher ihr Vater Nacherben gesetzet / im Fall sie minderjährig sterben solte. Dieser Heurat war der gantzen Freundschafft zu wider / weil Philorme allein auf den Nutzen / Honorata aber auf die Wollüste gesehen: jedoch haben sie beede lange Zeit einen glückseligen Ehestande / wol begangen / und nichts mehr / als einen Leibs Erben erwůnschet.

3. Mit zuwachsenden Jahren gelanget Coynte zu den Vogtbaren oder Mannbaren Jahren. Die Mutter trachtete sie mit einer ehrlichen Heurat zu versorgen / der Vater aber solche zu verhindern / damit ihm das Gütlein und die Hoffnung zu demselben unvernachtheilet bleiben möchte. Viel machte er mit bedrauen / viel mit falschen Nachreden und durch andere Liste wendig / daß keiner beständig bliebe / unter allen Bulschafften / als Aristo / ein armer Edelmann / welcher der Jungfrauen Gegenliebe / der Mutter Verwilligung / und dann drittens das grosse Vermögen in seiner Liebe beharren machte. Als nun Philorme sich dieses Edelmanns nicht erwehren konte /[321] hält er seine Frau und Stieftochter so übel / daß sie diesen Diener auf eine Zeitlang abschaffen müsten.

4. Honorata sagte ihrer Tochter sie solte seine Freunnschaft biß zu andrer Zeit heimlich erhalten / und dieses war die Ursache / daß sie mit vollem Nutzen nach Hause kame / und die Kinderreiche Wassersucht nicht mehr bergen mochte / sondern Ariston für ihren Ehemann und Vatter ihrer Leibsfrucht dargabe. Als solches Philorme erfahren / schwöret er / diesen Schandflecken / so Ariston seinem Hause angehängt / mit seinem Blute wider abzuwaschen; daher Honorata Ursach nimmt / ferners Unheil zuverhüten / solches Schandmahl mit den Mantel der Ehlichung zu bedecken / welches Philorme / ob er wol durch oberherrliche Hülfe solches zu verhindern gemeint / endlich müste geschehen lassen. Er wolte zwar mit Ariston fechten / sahe aber daß der Außgang / wie er auch seyn würde / ihme nit vortheilig. Dieses Rachbeginnen ohne Gefahr zu Wercke zu stellen / diengt er etliche von seinen Soldaten / die mit Ariston zu zancken anfiengen / und ihn endlich auß dieser Welte in die andre schickten.

5. Solches geschahe eben zu der Zeit / als Coynte solte darnider kommen / und verhoffte dieser Tyrannische Stiefvater den Baumen mit den Früchten durch solchen Streich zu verderben. Doch brachte sie einen jungen Sohn auf die Welt / viel glückseliger als Philorme gerne gesehen. Er konte und wolte das Kind in seinem Hause nicht weinen hören / daher Honorata auf dem nächsten Dorff eine Seugamme bestellet / und ihme also die Ursache deß Häußlichen Kriegs auß den Augen schaffete. Das Kind Protol genannt / gleichte seinem Vater an der schönen Gestalt / und guten Geberden / daß er von seiner Seugamme mit gantz mütterlichem Hertzen geliebet worden.

6. Coynte hatte zwar ihre Ehre / so sie auß blinder Liebe verschertzet / etlicher massen wieder erlanget; sahe aber wol / daß sie so leicht keine Heurat zu hoffen / und begabe sich in ein Nonnen Kloster / die Zeit ihres Lebens mit reniger Busse zu[322] zubringen. Dieses war Philorme wol zu frieden / und hatte nun keine Hinderung in seiner Hoffnung / als den jungen Protol / welchen er auch zu erwürgen getrachtet.

7. Aber der Höchste / so sich der Unschuldigen annimmet / und wie Sprach redet / der Menschen Boßheit und alle ihre Sünde offenbaret / wie die Sonne / hat solche Mörderische That wunderlich verhindert. Honorata bate Philorme er solte ihr verlauben / daß sie ihr Encklein den jungen Protol zu sich nehmen dörffte / er wolte es lang nicht verstatten / endlich aber redet er Herodis Sprache / und wolte es geschehen lassen / solchen auß dem Weg zu raumen. Die Amme welche dieses Kind geseuget / liebet es so sehr daß sie vermeint / sie könte ohn solches nicht leben / und als Philorme sein Stifenckel Protol durch 2 Soldaten abholen lassen / hat sie ihrer Söhne einen in Protols Kleidern gesendet / entweder solchen hoch anzubringen / oder Protol zu sichern.

8. Dieser falsche Protol lebte etliche Monat bey seiner vermeinten Anfrauen / und wurde von Philorme übel gehalten / endlich aber als ein Schlachtopfer seines Geitzes / durch einen langsamen Gifft hingerichtet / dessen Anzeigen der Artzt und alle verständige Nachbaren ruchbar machten. Honorata hette diese That für die Obrigkeit gebracht / wann sie nicht bey ihrem tyrannischen Mann / gleiches Meuchelmords zu besorgen gehabt / und den / der mit ihr ein Fleisch worden / deß Henckers Händen nicht übergebnwollen. Wie sich hierüber Coynta betrübt / können alle treue Mutter Hertzen leichtlich erachten.

9. Daß aber die Weiber nicht wol schweigen können / hat die Seugamme eine Prob geleistet / und den getroffenen Wechsel der Honorata eröffnet / welche dann ihre Nonne mit dieser Zeitung hertzlich erfeuet / und ihr verbotten dieses Geheimnuß niemand zu offenbahren. Als nun Philorme seines Weibs Reichthumb versichert gehalten / und sie entweder mit Gutem / oder mit Bösem ein Testament unnd letzten Willen zu machen /[323] in welchem sie jn zu einem Haupterben einsetzen sollen / zwingen wollen; Hat doch Honorata darzu nicht verstanden / auß Furcht / ihr Mann versiegele solches mit Gifft / oder anderer Meuchelliste; darüber gerathen sie in eine so böse Ehe / daß sich Honorata ihres Lebens / durch Oberherrliche Beschirmung / versichern / und auf eine Ehescheidung zu Tisch und Bette klagen muß.

10. Nach dem sie solches erlangt / hat ihr Philorme auf viel Weise nach dem Leben gestanden / und etliche von seinen Soldaten angestellet / sein Weib zu ermorden. Unter diesen war einer so redlich / daß er der Honorata solches Vorhaben eröffnete / und zugleich vergewisserte / daß Philorme auch Ariston hinrichten lassen. Dieses wirfft Honorata ihrem Mann schrifftlich vor / und setzet noch darbey was den eingeschleichten Protol durch seine Hand widerfahren / mit entschuldigung / daß sie einem solchem Meuchelmörder ferner bey zu wohnen / wie erbegehrte / nicht gedachte. Als Philorme alle seine Bubenstücke verrathen sahe / nimmt er die Flucht / und ist nachmals von einem / der ihn für die Klingen gefordert / durchstochen worden.

11. nach Philorme Todt / hat Honorata den rechten Protol sampt seiner Seugamme zu ihr genommen / und ihn für Aristons und Coynte Sohn / und aller ihrer Güter rechtmässigen Erben erkläret / welcher auch seines guten Verstands feine Proben geleistet / und ob er wol als ein Baurenjung erzogen worden / ist doch in seinen Geberden und Angesicht das Adeliche Geblüt augenscheinlich zu sehen gewesen / und hat er seine Amme / als die Erhalterin seines Lebens / an statt seiner Mutter geehret / lieb und werth gehalten / sich auch als ein gehorsamer Sohn jederzeit bezeuget.

12. Die Lehren auß dieser Geschichte könten fast von allen Personen abgesehen werden / Honorata weiset wie der Ehestand / welcher nur auff Wollust zielet übel außschläget. Philorme lehret die Natur deß Geitzes / welcher sich stürtzet in dem er vermeint sich zu gründen / und wie Friedfertigen der Besitz deß Erdreichs versprochen wird / also werden die Zancksuchtigen[324] darben / und die Kriege anrichten / Mangel leiden / ja verflucht / wie jene gesegnet seyn. An Ariston und Coynte sehen wir / daß bey der Winckel-Ehe kein Heil noch Segen / und wie jener gesagt hat / daß man in Finsterniß leichtlich anstösset. Insonderheit aber ist zuverwundern die treue Liebe der Seugammen / welche ihren eignen Sohn in Gefahr gesetzet / Protol zu versichern / und scheinet die Vrsache seye die Eigenschafft dieser Neigung / welche frey und ungezwungen seyn will. Daher sihet man auch / daß man mehrmahls seinen Freund mehr liebet / als seine Verwandte / welchen man mit Gesippschafft verbunden ist. Endlich ist auch Protols Danckbarkeit nit auß den Augen zu setzen / der die empfangene Wolthat mit möglichster Danck- und Dienstleistung erkennet.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXX320-CCCXXV325.
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