(CXI.)
Die gewissenhaffte Freundschaft.

[329] Ein fröliches Hertz ist eine Gabe Gottes / welches allein den Frommen und Gottseligen gegeben wird: Die Traurigkeit hingegen ist deß Teuffels Haubtküsse / und rühret her von einem bösen Gewissen / welches wol eine Zeitlang schlaffen / in den Menschen aber nicht ersterben kan / und die Höllenangst auch in diesem Leben noch vorbildet. Die Brüder Josephs / als sie Diebstals beschuldiget / und unschuldiger weise überwiesen worden / trösteten sich ihres guten Gewissens / daß sie dieses nit gethan / aber doch betrübte sie darbey auch ihr böses Gewissen / wann sie bekennen / daß sie solches an ihrem Bruder Joseph verdienet. Was nun solcher Gewissens zwang für ängstige Würckung wird auch nachgesetzte Erzehlung beglauben.

2. Octavian und Lobel junge Edelleute in der Lithau (also genennet als der Leute Auen / da die Menschen in grosser Menge / gleichsamb wie das Viehe / weiden) waren von Kindheit auf in vertreulicher Freundschafft erzogen / daß ihr Willen nicht vereinigt / sondern gleichsam einhertzig war. Ihre Eltern wohnten zu Vilna / der Haubtstatt deß Landes / welcher zwar auch gute Bekannte / aber sonder Verbündniß so grosser Freundschaft lebten / wie zwischen ihren Kindern die Tugend gestiftet hatte.

2. Mit zunehmenden Jahren haben sie zugleich alle ritterliche übungen gelernet / und es fast allen andern ihres gleichen bevor gethan. Unter allen Jungfrauen aber war keine / welcher Octavian mehr aufwartete als Paulina / eine von den Reichsten und Schönsten in dem gantzen Lande: Dieses Verlangen[329] mochte nicht ersättiget werden als durch die Ehligung / und machte solcher Hoffnung schwer Gelasius / einer von den vornemsten / welcher gleichfals in Paulinam verliebt / aber stoltz und hochmütig / daß ihm die Jungfrau mehr Haß unnd Feindschafft / als Freundschaft erwiesen / massen solche Abneigung der Demut Eigenschafft ist.

4. Wann man den ersten Kauffmann gehen lässet / so ist mit dem andern halb geschlossen. Octavian hatte ein fast gewonnenes Spiel bey Paulina / Gelasius bey ihren Freunden / deßwegen er auch solchem Seitenbuler sagen lassen / er solte dieser Jungfrauen Dienste müssig gehen / oder er woll ihme übel lohnen. Octavian antwortete / daß ihme Paulina nich gedinget / und eine Auffwartung mit ihrer Huld zu rechter Zeit vergelten würde. Die Freunde wollen haben / Paulina soll Octavian abweisen; sie aber will ihr keinen solchen Mann schaffen der noch in der Liebsdienst Jahren / auß Stoltz / über zu herrschen begehrte.

5. Gelasius fande auf einen Abend Octavian mit Lobel seinem Freunde für Paulina Thür / und daß die Jungfrau auf gegebenes Zeichen / mit ihme zu reden an dem Fenster erschienen. Gelasius ergrimmet auß Eifer und Rache / und weil er Megatim / und einen wehrhaften Knechte bey sich hatte / befielet er diesem er soll sich an Lobel / welcher etliche Schritte beyseits gegangen / machen / er wolte inzwischen deß Octavians Frevel / mit Beystand Megatims bestraffen.

6. Lobel stösset den Knecht alsobald darnider / unn eilet seinem Freunde zu Hülffe / welcher in einen Winckel gewichen / und diese beyde tapffer von sich gehalten. Lobel lauffet also Rückwarts auff Gelasium zu / und sticht ihn durch und durch / daß er zur Erden sincket. Als Megatim nun wider zween stehen sollen / nimmet er die Flucht / und wird also seinen Füssen sein Leben schuldigt.

7. Octavian war in diesem Streit auch an zweyen Orten deß Leibs verwundet / und ausser der Wundärtzte Hülffe / in Lebens gefahr. Die Nachbarschafft läufft über dem Geschrey auß den Häusern / finden Gelasium und seinen Knecht[330] todt / und Lobel bittet / sie solten ihme Octavian zuden Wund-Artzt tragen helffen / wie auch geschehen.

8. In dem nun Octavian von ejner Ohnmacht in die andre fället / und eine zeitlang für Tod gehalten wird / laufft Megatim zu deß Gelasen Freunden / und erzehlet was sich begeben / jedoch gantz fälschlich / daß nemblich Gelasius und sein Knecht verrätherischer Weise durch Octavian und Lobel ermordet worden / Daß sie nun auf solche Anklage in die Gefängniß geworfen werden sollen / ist leichtlich zu erachten / und haben sich die Schergen deß Octavians Schwachheit nicht hindern lassen / Lobel aber ist bey Nacht entkommen.

9. Weil nun Gelasius grosse Freunde unter den Richtern / ist Octavian zu dem Schwert verurtheilt worden / Megatim war Gegner und Zeuge zugleich / ausser ihme aber ist niemād darbey gewesen / als der Knecht / welcher wenig Stund nach empfangener Wunden gelebt. Octvian sagte / daß er diese beyde nicht ermordet / von ihnen zwar were angegriffen / und gezwungen worden / sich zu vertheidigen / weil er aber seinen getreuen Freund nicht namhafft machen wollen / ist die Schuld auf ihme allein verblieben.

10. Octavian war bereit in deß Henckers Handen / und auff dem Richtplatz / als Lobel unter dem Volck hervordringt / dem Nachrichter zuschreyet / er solte innen halten / und ihne an statt dieses Unschuldigen enthaubten / weil er Gelasium und seinen Knecht der sie beede mit Megatim angegriffen / erwürget; wann der deß Todes schuldig / welcher sein Leben vertheidiget / solte man ihn an seines Freundes statt hinrichten / etc.

11. Als solches eröffnet / schreit alles Volck / Gnad / Gnad / Gnad / und befahle der Bannrichter / man solte diese beede wider in das Gefängniß bringen / welches / wiewol nicht ohne Gefahr deß Pöbel-Volcks geschehen. Der Palatin verhöret diese Gefangene selbsten / und bedrohet Megatim mit der Volter / dz also die wahre Beschaffenheit / erzehlter massen herauß kommet / wie nemlich drey zween angegriffen unn von jnen überwunden[331] worden Hierauff ist nun das Urtheil geändert / die beede Freunde loß gelassen / Megatim aber deß Lands verwiesen worden.

12. Uber dieses hat der Palatin dem Octavian die Paulinam / Lobel aber eine andere Jungfrau von seinen Befreunden geworben / und gebetten / sie wolten ihn zu den dritten ihrer Freundschafft annehmen. Dieses ist auch für den König kommen / der diese tapfere Edelleut mit hohen Aemptern geehret hat. Es habe nun Lobel solche Helden-That auß einem Gewissenszwang gethan / oder auß dringender Freundschaft / so ist er doch Lobens werth / in dem er das Leben / welches allen Menschen das Liebste in dieser Welt ist / verachtet / und in die Schantze gesetzet / seinen Freund auß der Gefahr zu retten.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXXIX329-CCCXXXII332.
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