(XCIV.)
Die verantwortliche Vntreue

oder

Der verliebte Pfandmann.

[339] Es ist eine bedenckliche Frage: Ob man dem Vatterland / den Eltern / oder seinem Ehegatten mehr verbunden Treue und Dienste zu leisten. Es scheinet zwar / daß eines bey dem andern seyn könne / und daß wir durch den Ehestand unsern Eltern gefallen / und das Vatterland erhalten und anbauen: doch finden sich viel Fälle / da man diesen widerigen Herren zugleich nicht dienen kan: allermassen auß nachgehender Erzehlung zu ersehen seyn wird.

2. Zu Zeiten König Heinrich deß Dritten hat die Uneinigkeit den Kriegsbrand mit umb sich greiffenden Flammen so angefeuret / daß fast keine Statt / Dorff und Flecken in Ruhe verblieben / sondern theils auf deß Königs / theils auf der Hugenotten Seiten gestritten. Insolcher Zerrittung haben sich wunderliche Geschichte begeben / deren wir etliche in dem ersten Theil bemercket / und noch eine derselben hierbey setzen wollen.

3. Nechst einem namhafften und an einem Hauptstrom gelegenen Fluß / war ein festes Schloß / welches ihr Zufuhr und Nahrungsmittel verhinderte / weil die Statt auff deß Königs / das Schloß aber auff deß Frantzösischen Bunds-Seiten / und stande solches zu Gebott einem Edelmann Oron benamet / deme es an Verstandt und Tapferkeit nicht ermangelte; die Statt auch nicht Mittel finden konte / ihn mit Gewalt auß der Festung zu treiben.

4. Celin war die Statt anvertraut / der hielte Kriegsrath / wie das freye Gewerb wider ein- und anzurichten / daran der Statt ihre Wolfahrt gelegen. Orons Reuter waren täglich für dem Thor / nahmen das Viehe und machten so wol den Strom / weil sie alle Schiffe anzufahren nöthigten / wie auch die Strassen zu Lande unficher.

5. Als man nun hierüber berathschlagt / tritt ein alter vom Adel auf / der erzehlet / wie er ein Heuraths Handlung mit Orons[340] Tochter und seinen Sohne Lucidor begriffen; gabe deßwegen einen solchen Fürschlag an die Hand. Wir wollen sagt er / Oron auß der Festung / und auff unsere Seiten bringen / durch meinen Sohn / den wir als einen Pfandmann hinein / Oron aber hingegen zu Handlung herauß locken / ihn alsdann / weil der Trug in dem Kriege erlaubt / gefangen nehmen / und das Schloß einbekommen.

6. Der Anschlag wird gut / und so viel verantwortlicher gefunden / weil er ohne Blutvergiessen Werckstellig gemachet werden kondte. Lucidor wird unterrichtet / wie er sich in allem verhalten solte / und sonderlich bittet er seinen künfftigen Schwervatter Rupero Mündlich zu sprechen / wie dann auch geschehen / jedoch bleibe Oron in seiner Gewährschafft nechst dem Schloß / und wolte die Sache das erstemahl nicht angehen.

7. Celin bittet Oron durch einen Trompetter / er wolle auf halben Weg zu ihm reiten / und wegen der Gefangenen / so wohl auch wegen Versicherung eilicher Kauffmanns Güter / mit ihm handeln. Lucidor solte hingegen der Geiseler oger Pfandmann in der Festung verbleiben / biß zu seiner glücklichen Rückekunfft. Dieses verwilligte Oron / und vermeint / er habe mit keinem listigen Fuchsen zu handeln / wie er erfahren.

8. Rupero lässet sich / wie leichtlich zu erachten / gerne in diesen Handel ein / gibt aber seinem Sohn Befehl / er solle sehen / daß er auß dem Schloß entkommen möchte. Also kommet Lucidor zu seiner Liebsten / Oron aber auß dem Schloß / und pflegte mit Celin Handlung in einem Flecken / da sie etliche Tage sich nicht vergleichen konten.

9. Inzwischen machte sich Lucidor in dem Schloß lustig / isset / trincket / spielet mit den Soldaten und gewinnet ihre Gemüther / daß sie so genau nicht auf ihn achten. Den / der mit ihme gange / machte er Truncken und schlaffen / daß er also Zeit und Fug auß dem Schloß zu kommen / und sich bey Celin und den seinen wider einzustellen.[341]

10. So bald nun Lucidor wider kommen / nimmt man Oron als einen Gefangenen an / der sich beklagt / daß man ihme Treu und Glauben nicht gehalten / muß aber hören / daß er nicht auff Treu und Glauben / sondern auff Geisel und Lucidor / als einen Pfandman / getrauet; Weil sich nun das Pfand wider gelöset / also habe er solche Veesicherung verlohren / etc.

11. Diese Gefängniß war ein Ursach / daß sich Oron an die Königischen sampt seiner Festung ergeben / und hat Celin Rupero und seinem Sohn Lucidor die Vestung anvertraut / und fragt sich nun / ob Lucidor recht gethan / daß er seinem Vatterland zu dienen / seiner verlobten Laodice Untreu erwiesen / und wenig geachtet / daß ihme Oron seine Tochter nicht mehr lassen wollen.

12. Also haben die Wölffe und Schaffe mit einander Friden machen wollen. Die Wölffe gaben den Schafen ihre Junge zu Geiseln; die Schafe aber ihre Hunde. So bald nun die jungen Wölffe grösser worden / haben sie nicht von ihrer Art lassen können / und die Schafe erwůrget. Daher die Feld-Herren wol in acht haben sollen / wen sie zu Geisel senden / und niemals zu viel auff solche Versicherung trauen; massen der Sieg allezeit angenem / wann gleich die Mittel / solchen zu erlangen / nicht gar rühmlich sind.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. CCCXXXIX339-CCCXLII342.
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